„Ihr werdet mich nicht los“

Linken-Sympathieträgerin Petra Pau will auch nach dem Ende ihrer bemerkenswerten Bundestagskarriere politisch aktiv bleiben

 

Ihr werdet mich nicht los

 

Die rote Kurzhaarfrisur machte sie zu den auffälligsten Köpfen in der deutschen Politik, eine Frau der lauten Töne war Petra Pau aber nie, auch wenn sie viel zu sagen hat. Vor allem wenn es um Bürgerrechte und Demokratie geht oder den Kampf gegen soziale Ungerechtigkeiten, Rassismus, Rechtsradikalismus und Antisemitismus. Im Oktober gab die Linken-Politikerin bekannt, dass sie sich aus dem Bundestag zurückzieht. Mehr als ein Vierteljahrhundert „Hohes Haus“ sind genug. Wenn sich Ende März das neue Parlament konstituiert, ist Schluss für die 61-Jährige. Die einst von Peter Ramsauer (CSU) als „gottlose Type“ titulierte Frau aus dem Osten geht als Rekordhalterin. Niemand vor ihr in der Geschichte des 1949 gegründeten Deutschen Bundestages hatte die Vizepräsidentschaft so lange inne (2006–2025) wie Petra Pau. Komplett ins Private zurückziehen will sie sich aber nicht, wie sie im Interview mit der „Hellersdorfer“ verrät. Dafür ist sie zu sehr Vollblutpolitikerin. 

Frau Pau, Sie gehörten sage und schreibe sieben Legislaturperioden dem Bundestag an. Jetzt sind Sie auf Abschiedstour. Wie fühlt sich das an?

Man macht vieles zum letzten Mal. Das ist schon eine intensive Zeit. Aktuell bin ich dabei, mein Büro aufzuräumen. Dort stapeln sich gerade die Umzugskisten. Wie Sie sich vielleicht vorstellen können, hat sich über die Jahrzehnte eine Menge Material angesammelt, das jetzt archiviert werden muss. Man kann sich da schnell drin vertiefen und ist plötzlich 20, 30 Jahre zurückversetzt.

 

Nehmen Sie uns doch kurz auf Zeitreise mit.

Zum Beispiel sind mir Korrespondenzen zum Einwanderungsgesetz aus meiner ersten Legislatur in die Hände gefallen. Ich durfte damals für die PDS-Fraktion in der Einwanderungskommission mitarbeiten. Außerdem habe ich gerade alle Dokumente zur letzten Debatte im Bonner Bundestag archiviert. Es ging um die Errichtung des Mahnmals für die ermordeten Jüdinnen und Juden Europas. Bestandteil des Beschlusses von 1999 war, dass aller NS-Opfergruppen adäquat gedacht werden soll. Die Umsetzung hat lange gedauert. Ein Denkmal steht immer noch aus – und zwar das für die Zeugen Jehovas. Es soll am Goldfischteich im Tiergarten errichtet werden. Themen wie diese begleiten mich in meiner politischen Arbeit von damals bis heute. 

 

Wann war Ihnen klar, dass Sie nicht mehr für den Bundestag kandidieren? Gab es einen Schicksalsmoment?

Nein, die Entscheidung ist in mir gereift. Als ich 2021 angetreten bin, hatte ich schon im Kopf, dass es die letzte Wahlperiode sein könnte. Ganz sicher bin ich mir seit zwei Jahren. Ich wollte selbstbestimmt gehen. Nachdem ich die Entscheidung im Herbst öffentlich gemacht hatte, erhielt ich etliche Anrufe und Nachfragen, ob ich denn trotzdem diese oder jene Termine wahrnehmen könne und zu Veranstaltungen komme. Gestern erst hat mich die Stadtpräsidentin von Wismar gefragt, ob ich am 2. Oktober die Festrede zum Tag der Deutschen Einheit halten möchte. Offenbar haben mich die Leute noch nicht satt. Das ist ein gutes Gefühl. Der Zeitpunkt war der richtige.

 

Langeweile wird also nicht aufkommen?

So schnell bestimmt nicht. Meine Lesungen gehen ja auch weiter und der Deutsche Bundestag gewährt mir bis zu vier Jahre lang ein kleines Büro. Ich bleibe politisch aktiv. Trotzdem wird mein Lebensalltag künftig anders aussehen. 27 Jahre lang haben die Sitzungswochen meinen Rhythmus und den meiner Familie bestimmt. Das ist jetzt vorbei. Es beginnt ein neues Kapitel, auf das ich mich sehr freue. Mein Mann und ich sind Anfang des Jahres dem Kleingartenverein am Kienberg beigetreten. Und kürzlich war ich in der Kleist-Bibliothek, um Bücher aus meiner aufgelösten Bundestagsbibliothek anzubieten. Da habe ich mir gleich den Veranstaltungskalender mitgenommen. 

 

In ein paar Tagen, am 18. März, reden Sie vor dem Brandenburger Tor. Sie kämpfen gemeinsam mit anderen Abgeordneten und einer Bürgerinitiative schon lange dafür, dieses Datum zum Gedenktag zu machen – bisher vergeblich. 

Die Benennung des Platzes war ein Teilerfolg, aber wir lassen nicht locker. Der 18. März ist für Deutschland ein historischer Tag. Ich verbinde damit in erster Linie die März-Revolution von 1848, aber eben auch die ersten und einzigen freien Wahlen 1990 in der DDR. Hätte mir damals, ich war 26 Jahre alt, jemand gesagt, du wirst mal Abgeordnete und Vizepräsidentin des Bundestags, ich hätte ihn zum Arzt geschickt. Heute weiß ich: Es war der Ausgangspunkt meiner politischen Laufbahn. Im April 1990 klingelten ein paar junge Leute von der örtlichen PDS an meiner Tür. Ich wohnte in der Ludwigsfelder Straße. Sie meinten zu mir: „Wir haben gehört, dass du Ahnung von Schule hast. Willst du nicht im Mai für uns für die Bezirksverordnetenversammlung in Hellersdorf kandidieren?“ Am Ende fand ich mich als Schriftführerin im Ausschuss für Straßenumbenennungen wieder. 

 

Das war nach dem Mauerfall ein großes Thema im Ostteil der Stadt.

Ja, wir konnten damals auch viel Unsinn verhindern. Zum Beispiel gab es einen Antrag der SPD-Fraktion, alle Straßen nach Sternbildern oder Blumen zu benennen, um nie wieder Ärger damit zu haben. Andere wollten einfach alles durchnummerieren. 

 

Gab es da auch unglückliche Entscheidungen? 

Dass Albert Norden von den Straßenschildern getilgt wurde (jetzt Cecilienstraße, Anm. d. Red.), verstehe ich bis heute nicht. Die Benennung der Heinrich-Grüber-Straße in Kaulsdorf und von Straßen und Plätzen in Helle Mitte nach Henny Porten, Alice Salomon, Janusz Korczak, Fritz Lang und Kurt Weill, finde ich hingegen sehr gelungen.

 

Apropos Straßennamen: Es gibt ein Foto von Ihnen – damals Berliner Abgeordnete und PDS-Landesvorsitzende – mit Grünen-Politikerin Renate Künast, wo Sie im November 1995 das Clara-Zetkin-Straßenschild in Mitte verteidigen.

Ja, das war unser Protest gegen eine Anweisung aus Bonn. Der Umzug des Bundestags vom Rhein an die Spree war bereits beschlossene Sache, als jemandem plötzlich auffiel, dass die auf den Reichstag zuführende Straße den Namen „Clara Zetkin“ trug. Zetkin war Frauenrechtlerin, Sächsin und Antifaschistin. Das alles hätte man ihr vielleicht noch durchgehen lassen, aber den Namen einer Kommunistin sollte die Straße auf keinen Fall tragen. Also wurde daraus die Dorotheenstraße – nach einer preußischen Kurfürstin.

 

Petra Pau (l.) und Renate Künast von den Grünen (r.) kämpften Seite an Seite für den Erhalt der Clara-Zetkin-Straße in Berlin-Mitte – vergeblich. 1995 erfolgte die Umbenennung in Dorotheenstraße. © J. Henschel
Petra Pau (l.) und Renate Künast von den Grünen (r.) kämpften Seite an Seite für den Erhalt der Clara-Zetkin-Straße in Berlin-Mitte – vergeblich. 1995 erfolgte die Umbenennung in Dorotheenstraße. © J. Henschel

 

■ Für noch mehr Aufsehen sorgte im Berliner Wahlkampf 1995 ein gemeinsamer Auftritt mit CDU-Senator Elmar Pieroth. 

Wir kandidierten beide in Hellersdorf und kamen für eine Diskussionsveranstaltung mit Talkmaster Erich Böhme im Kulturforum zusammen. So etwas hatte es nie zuvor gegeben. Pieroth bekam von seinen Leuten Ärger – „mit Kommunisten redet man nicht“ –, und ich von meinen. Für die Veranstaltung hatten zwei Mitglieder der Jungen Union extra ein rotes Sofa rangeschleppt. Einer davon war ein gewisser Mario Czaja. 

 

■ An den Sie 2021 Ihr Bundestagsmandat im Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf abtreten mussten. Während Czaja schon länger dafür wirbt, den Unvereinbarkeitsbeschluss zur Linkspartei aufzuheben, tut sich seine CDU damit nach wie vor schwer.

In Marzahn-Hellersdorf haben wir den Umgang miteinander schon immer anders gehandhabt. Das gilt für Monika Grütters ebenso wie für Mario Czaja. Ich halte das nicht nur für richtig, sondern sogar für wichtiger denn je.

 

■ Sie spielen auf das Erstarken der AfD an, die bei dieser Bundestagswahl im Bezirk stärkste Kraft geworden ist.

Ich glaube, alle Demokratinnen und Demokraten in diesem Land, ob Parteien oder Organisationen der Zivilgesellschaft, müssen sich darüber Gedanken machen, wie wir gemeinsam Menschen für die Demokratie zurückgewinnen können. Deswegen sehe ich auch die vieldiskutierte Kleine Anfrage von CDU und CSU mit über 500 Unterfragen zu Nichtregierungsorganisationen so kritisch. Die Art und Weise, wie hier nachgefragt wurde, kannte ich bisher nur von der AfD. Das grenzt an Denunziation. Ich hoffe, die Union fängt sich wieder. Wir brauchen einen respektvolleren Umgang miteinander. Im Übrigen: Wer den Bundeshaushalt lesen kann, der weiß auch, welche NGOs eine Förderung erhalten. 

 

■ Auch wenn sie im Westen aufgeholt hat, konnte die rechtspopulistische und in Teilen rechtsextreme AfD die besten Ergebnisse wieder im Osten einfahren. Hält uns das die ungleiche Einheit auch 35 Jahre nach der Wiedervereinigung vor Augen?

Klar ist damals eine ganze Menge schiefgelaufen. Die AfD aber repariert das nicht. Das versuche ich auch den Menschen, die zu uns ins Wahlkreisbüro kommen und hier Hilfe bei Mietschulden oder anderen teils existenziellen Problemen erhalten, immer wieder deutlich zu machen. Die AfD bringt weder Lohn- noch Rentengleichheit oder die Anerkennung von Lebensleistung. Sie wird auch keine EU-Fördermittel oder dringend benötigte Fach- und Arbeitskräfte ins Land holen. Im Gegenteil: Der Erfolg dieser Partei kann zum Standortnachteil werden. Er macht Pflegekräften aus dem Ausland Angst. Und nicht nur denen: auch Wissenschaftler, Entwickler, Ingenieure und viele Menschen, die hier arbeiten und das Land mit am Laufen halten, machen sich Gedanken über die Zukunft und die Sicherheit ihrer Familien.  

 

■ Haben Sie das Gefühl, damit bei den Leuten durchzudringen?

Ich sage mal so: Steter Tropfen höhlt den Stein. Und ich kann versprechen: Ihr werdet mich nicht los, was diese und viele andere Themen anbelangt. Natürlich erreicht man im persönlichen Gespräch nur einen Bruchteil der Menschen. Deswegen freut es mich, dass meine Partei aus der Krise heraus Instrumente wie den Mietwucher-Rechner und den Heizkostencheck entwickelt hat, um vielen Menschen ganz konkret zu helfen. 

 

■  Auch im Social-Media-Wahlkampf hat die Linkspartei große Präsenz gezeigt.

Vor allem haben wir Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die die sozialen Medien auch beherrschen. Ich gestehe, ich werde in meinem Alter nicht mehr auf TikTok ankommen und am 26. März aus Gründen, die ich wahrscheinlich nicht erklären muss, auch meinen ­Account bei X lahmlegen. 

Ich muss schon sagen: Die Genossinnen und Genossen an der Basis haben auf ganzer Linie einen furiosen Winterwahlkampf hingelegt. Und wenn ich auf den Wahlabend, die Ergebnisse und diese unheimlich starke, übrigens auch junge Fraktion im Bundestag schaue, dann kann ich mit einem wirklich guten Gefühl aus diesem Mandat herausgehen.

 

■ Frau Pau, wir danken Ihnen für das Gespräch. Alles Gute für Sie!