Vier Etagen im Dienst der Gesundheit

Aus unserer Rubrik: „Neues von gestern – Bezirksgeschichte(n)“

Vier Etagen im Dienst der Gesundheit

Poliklinik und Apotheke am Springpfuhl im Rohbau, September 1978
Poliklinik und Apotheke am Springpfuhl im Rohbau, September 1978

Vor 45 Jahren wurde die erste kommunale Poliklinik im heutigen Bezirk Marzahn-Hellersdorf eröffnet.

Polikliniken gelten als Symbol der Gesundheitspolitik der DDR und verkörperten die sozialistische Umgestaltung des ostdeutschen Gesundheitswesens nach 1945 am deutlichsten. Von 1979 bis 1990 wurden in den neu gegründeten Bezirken Marzahn und Hellersdorf jeweils fünf davon errichtet. Insgesamt investierte der Staat dort in den Bau von Gebäuden des Gesundheits- und Sozialwesens 260 Millionen DDR-Mark. Dazu gehörten auch insgesamt 14 Alters- und Pflegeheime sowie zwei Großapotheken. Zudem versorgte die bereits am 2. Januar 1979 fertiggestellte Betriebspoliklinik des VEB Elektroprojekt und Anlagenbau nicht nur seine zu Spitzenzeiten 7.000 Mitarbeiter sowie Beschäftigte zwölf weiterer Betriebe, sondern auch Bürger aus den Wohngebieten. Die Zentrale Poliklinik der Bauarbeiter tat dies ebenfalls. 

 

Ärzte unter einem Dach

Das Modell der Poliklinik war keine Erfindung sozialistischer Gesundheitspolitiker. Die Vorläufer dieser medizinischen Einrichtungen gehen bereits auf den Arzt und Sozialhygieniker Christoph Wilhelm Hufeland zurück, der 1810 in Berlin für die Eröffnung der ersten Poliklinik überhaupt gesorgt hatte. Diese Traditionslinie aufgreifend, wurde eine der drei kommunalen Marzahner Polikliniken nach ihm benannt. Dort behandelten Ärzte unterschiedlicher Fachgebiete die Patienten unter einem Dach. Das hatte den Vorteil, dass diese keine langen Wege auf sich nehmen mussten, um Fachärzte oder eine spezialisierte Weiterbehandlung zu erreichen. Die Mediziner konnten gemeinsam dieselbe Infrastruktur nutzen. Durch vorhandene Labore und Röntgenabteilungen wurden Doppeluntersuchungen vermieden. Zudem existierte nur eine einzige Patientenakte, auf die sämtliche Ärzte Zugriff hatten. Die Ärzte waren bei der Poliklinik angestellt und mussten nicht als Freiberufler permanent betriebswirtschaftlich denken. 

 

Großapotheke am Helene-Weigel-Platz mit gestalteter Fassade, 1988
Großapotheke am Helene-Weigel-Platz mit gestalteter Fassade, 1988

 

 

Erst(e) Poliklinik …

Poliklinik hieß also auch in Marzahn das Zauberwort für die gesundheitliche Rundumversorgung der Bürger. Die räumliche und organisatorische Beschaffenheit der Bauten bot gute Voraussetzungen dafür. An der Ostseite des Helene-Weigel-Platzes wurde am 5. Oktober 1979 die erste kommunale Poliklinik des neuen Bezirks übergeben. Anfänglich sorgten insgesamt 330 Mitarbeiter für die komplexe medizinische Betreuung von etwa 60.000 Bürgern. In den vier Etagen des Hauses befanden sich Abteilungen für Allgemeinmedizin, Kinderheilkunde und Dermatologie sowie eine Röntgenabteilung und ein Zentrallabor. Das von einem Architektenteam des Berliner Wohnungsbaukombinates um Werner Macht und Jürgen Frank entworfene würfelförmige Gebäude wurde in Stahlbetonskelettbauweise mit einer Leichtmetall-Glas-Fassade ausgeführt. Zum 31. Dezember 1989 gehörte die Poliklinik mit 549 Mitarbeitern zu den zehn größten Betrieben und Einrichtungen des Bezirks. Heute firmiert sie als Sana Gesundheitszentrum Marzahn „Ernst Ludwig Heim“.

 

… dann Apotheke

Am 21. April 1980 wurde in unmittelbarer Nachbarschaft die erste Großapotheke eröffnet. In dem von Architekten des Wohnungsbaukombinates um Heinz Tellbach und Jan Sichau entworfenen, 3,75 Millionen DDR-Mark teuren Stahlskelett-Gebäude befanden sich auch Spezialgeschäfte der Orthopädie und Augenoptik sowie der Bereich Pharmazie und Medizintechnik. Besonderes Schmuckstück war die Ostfassade. 2007 wurde das vom Maler und Grafiker Peter Hoppe (1938-2010) gestaltete etwa 70 m² große Mosaik bei der Wärmedämmung „überkleidet“.

 

Bauverzögerungen

Während Wohnungen, Schulen und Kitas am Fließband gebaut und zumeist pünktlich übergeben wurden, erwies sich ausgerechnet die Fertigstellung der Polikliniken sowohl bautechnisch als auch zeitlich schwierig. Die vorgegebene durchschnittliche Bauzeit von 296 Arbeitstagen wurde in keinem Fall eingehalten. Nach mehrjähriger Verzögerung erfolgte am 15. Juli 1985 in der heutigen Mehrower Allee 22 die Übergabe der zweiten kommunale Poliklinik „Christoph Wilhelm Hufeland“.  Nummer drei, „Theodor Brugsch“, in Marzahn-Nord (Havemannstraße 24) öffnete mit fast dreijähriger Verspätung am 5. Februar 1990 ihre Türen.

 

Nicht tot zu kriegen

Das Grundprinzip, die gesamte ambulante Betreuung unter einem Dach zu bündeln, hat man inzwischen wiederentdeckt. Es wird zunehmend in Ärztehäusern und Medizinischen Versorgungszentren gelebt. Allerdings können in diesem Prozess die noch vorhandenen baulichen Hüllen nicht so ohne weiteres übernommen werden. Wechselnde Eigentumsverhältnisse und veränderte Nutzungskonzepte verhindern oft eine Kontinuität, wie sie etwa bei der ehemaligen Poliklinik am Helene-Weigel-Platz gelungen ist. Es bleibt in diesem Bereich viel zu tun. Marzahn-Hellersdorf gehört zu den medizinisch unterversorgten Gebieten in Berlin. 


Poliklinik der Bauarbeiter

 

Die dritte in Marzahn errichtete Poliklinik stellt eine Besonderheit dar, denn sie versorgte die 75.000 Beschäftigten auf den Baustellen und in den Baubetrieben der Hauptstadt. Während das Richtfest noch planmäßig Anfang Dezember 1978 in der Allee der Kosmonauten 47 gefeiert wurde, konnte die für Mitte Dezember 1979 geplante Fertigstellung nicht eingehalten werden. Am 26. Juni 1981 wurde die von Günter Boy entworfene, von Kollektiven des VEB BMK Ingenieurhochbau Berlin projektierte und mit dessen Kooperationspartnern gebaute Einrichtung übergeben.

Direktorin war die Verdiente Ärztin des Volkes und Obermedizinalrätin Dr. Ruth Beer. Als Leiterin des Fachgebiets „Betriebsärztliche Versorgung der Berliner Bauarbeiter“ leistete sie mit ihren Kolleginnen und Kollegen einen wichtigen Beitrag zum Wohnungsbau. Die Einrichtung war zudem Arbeitshygienisches Zentrum des Bauwesens der DDR. Nach der Wiedervereinigung erfolgte die Umfunktionierung zu einem privat geführten Gesundheitszentrum mit eigenständigen Arztpraxen und Dienstleistern. Seit Ende 2018 ist es Teil der MEDICUM Gesundheitszentren.


Der Bauhistoriker Dr. Oleg Peters schaut in den „Rückspiegel“ und gibt in dieser Serie regelmäßig Einblicke in wenig Bekanntes auch aus den Anfangsjahren des Bezirks. Er porträtiert damalige Akteur:innen und stellt historische Hintergründe dar.