Nur noch mit NC oder Probetag aufs Gymnasium

Bildungspolitikerin aus dem Bezirk übt an Teilen des neuen Berliner Schulgesetzes Kritik

Nur noch mit NC oder Probetag aufs Gymnasium

Ab dem kommenden Schuljahr gibt es ein neues Aufnahmeverfahren fürs Gymnasium: Das Probejahr wird abgeschafft. Dafür können Eltern nicht mehr selbst die weiterführende Schulart für ihr Kind wählen. Das regelt künftig der NC. Nur wer in den Hauptfächern Deutsch, Mathematik und erste Fremdsprache einen Schnitt unter 2,3 hat, wird zugelassen. Besteht trotz schlechterer Zensuren der Wunsch, das Gymnasium zu besuchen, geht es zum eintägigen Probeunterricht.

Das neue Gesetz stammt aus der Bildungsverwaltung von Senatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) und wurde im Sommer mit den Stimmen von Schwarz-Rot im Abgeordnetenhaus beschlossen. Kritik an einigen neuen Regelungen kommt diesmal nicht nur von der Opposition. Sie sei bitter enttäuscht von der Gesetzesänderung, erklärt eine SPD-Bildungspolitikerin aus dem Bezirk: Marion Hoffmann. Die ehemalige Leiterin des Victor-Klemperer-Kollegs wirft der Senatorin vor, die Gymnasien zu Eliteschulen machen zu wollen und dadurch auch die Platznot an den Integrierten Sekundarschulen zu verschärfen. Zwar begrüße sie die Abschaffung des Probejahrs ausdrücklich, macht Hoffmann klar, die neuen Zugangsbeschränkungen aber seien mit ihren Werten nicht vereinbar und würden zu mehr Bildungsungerechtigkeit führen.

 

Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) befürchtet, dass die Bildungskarrieren von Kindern durch die höheren Hürden fürs Gymnasium künftig noch stärker vom familiären Hintergrund abhängen als ohnehin schon. In einer Stellungnahme heißt es: „Eltern, die über ausreichende Ressourcen verfügen, werden selbst gut unterstützen oder Nachhilfe organisieren und finanzieren können“. Im Umkehrschluss blieben Kinder aus Haushalten mit besonderen Herausforderungen auf der Strecke. Befürworter des Gesetzes halten dagegen, man könne nicht das Probejahr abschaffen, ohne gleichzeitig mit anderen Instrumenten die Eignung fürs Gymnasium festzustellen. Der Senat gibt an, dass 2022/23 insgesamt 34 Prozent der Schüler:innen ohne Gymnasialempfehlung das Probejahr nicht bestanden haben. 


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Verengung auf drei Fächer sinnvoll?

Bislang flossen in die Förderprognosen für die weiterführenden Schulen alle Fächer ein. Die Hauptfächer sowie Natur- und Gesellschaftswissenschaften wurden doppelt gewertet. Die Abkehr von dieser Bewertung stößt bei Marion Hoffmann auf Unverständnis. „Wer in Naturwissenschaften ein Ass ist, muss nicht zwangsläufig Deutsch und Fremdsprachen gut können“, merkt sie an. Die Bildungssenatorin verteidigte die Priorisierung der Kernfächer im April im Bildungsausschuss mit den Worten: „Wer nicht lesen, schreiben und rechnen kann, hat auch Schwierigkeiten in anderen Fächern.“ Hoffmann entgegnet: „Ich möchte mal die großen Bildungspolitiker oder Manager in den Führungsetagen fragen, was sie beim Übergang von der Grundschule zum Gymnasium für Noten hatten.“ Ob das Minimum immer eine zwei in besagten Fächern war, wage sie zu bezweifeln. Gerade Jungs, die sich gewöhnlich etwas später als Mädchen entwickeln, drohten auf der Strecke zu bleiben, warnt die Sozialdemokratin.

 

Probeunterricht an nur einem Tag

Ob ein Kind trotz Notendurchschnitt von 2,3 oder schlechter für das Gymnasium geeignet ist und zugelassen werden darf, soll künftig ein eintägiger Probeunterricht zeigen. Wie dieser konkret Aufschluss über die Kompetenzen des Kindes geben soll und was dort künftig abgefragt wird, ist derzeit noch in der Erarbeitung. Fest steht: Der Probeunterricht soll von Tandems aus Grundschul- und Gymnasiallehrkräften gestaltet werden und schriftliche wie mündliche Tests umfassen. Durch den Probetag laste viel Leistungsdruck auf den Kindern, gibt Marion Hoffmann zu bedenken – und sie stellt fest, dass von den strengen Regeln für den Übergang aufs Gymnasium zuallererst ausgerechnet der Jahrgang betroffen ist, der wegen Corona im ersten und zweiten Schuljahr meist Homeschooling hatte.

 

Davon abgesehen komme die Neuregelung aber auch sonst zur Unzeit, findet Hoffmann. Wie kein anderer Berliner Bezirk ächzt Marzahn-Hellersdorf derzeit unter dem Lehrkräftemangel. Für Kinder aus Schulen mit einer Menge Unterrichtsausfall, einer hohen Quereinsteiger-Quote und vielen Vertretungsstunden könnte es besonders schwer werden, den NC zu erreichen oder den Probeunterricht zu bestehen. „In der Koalition geht man davon aus, dass die Lehrkräfte-Tandems die besondere Situation der Schulen in den jeweiligen Bezirken im Blick haben und berücksichtigen“, verrät Marion Hoffmann. Ob diese Abwägung auch funktioniere, wenn ein Sechstklässler aus Marzahn-Hellersdorf auf ein Gymnasium in Steglitz-Zehlendorf gehen möchte, sei mindestens fraglich. In dem Zusammenhang bekräftigt die Leiterin des BVV-Schulausschusses ihre Forderung nach einer Rückkehr zur Lehrkräftesteuerung.