Wohnen an der Wuhle

Aus unserer Rubrik: „Neues von gestern – Bezirksgeschichte(n)

Wohnen an der Wuhle

Vor 30 Jahren beschloss der Senat, auf einem 142-Hektar-Areal in Biesdorf-Süd einen neuen Stadtteil als städtebauliches Entwicklungsgebiet zu gestalten.

Wie ein großer Schmetterling sollte Biesdorf-Süd aus der Luft aussehen. Sieben Bebauungspläne wurden im Geltungsbereich der Entwicklungsmaßnahme aufgestellt. Teilgebiete waren u.a. die Grüne Aue (9,6 ha), die Paradiessiedlung (10,2 ha), der Elsterwerdaer Platz und der Habichtshorst (40,5 ha). Das gesamte Investitionsvolumen wurde bei einer veranschlagten Bauzeit von 15 Jahren auf sechs bis sieben Milliarden D-Mark geschätzt. Marzahn und auch der Senat verbanden mit dem Vorhaben große Hoffnungen. Aber der Standort war herausfordernd. Ziele wurden entwickelt, wieder verworfen, gelegentlich trat Stillstand ein. 

 

Wachstumsfantasien

Nach der Wiedervereinigung fiel im Zusammenhang mit den fünf städtebaulichen Entwicklungsgebieten in Berlin immer wieder der Begriff der „neuen Vorstädte“. Eine eigene Qualität sollten sie bieten, einen spezifischen Charakter jenseits der innerstädtischen Wohnlagen, aber auch in Abgrenzung zu den Hinterlassenschaften des Siedlungs- und Großsiedlungsbaus aus der Zeit der Teilung. Für Biesdorf-Süd errechneten die Planer ein Potenzial von rund 4.500 Wohnungen für 13.500 Menschen. Die dazugehörige Infrastruktur sollte einen Anziehungspunkt von überörtlicher Bedeutung bilden: Für das neue Mittelzentrum waren rund 50.000 m² Verkaufsfläche und 280.000 m² Büros angedacht. 8.500 neue Arbeitsplätze sollten entstehen.

 

Ausstellung im Foyer des Marzahner Rathauses, September 1999
Ausstellung im Foyer des Marzahner Rathauses, September 1999


Handelszentrum am Elsterwerdaer Platz im Bau
Handelszentrum am Elsterwerdaer Platz im Bau

Rotstift bei sozialer Infrastruktur 

Treuhänderischer Entwicklungsträger war ab Juli 1994 die Deutsche Bau- und Grundstücks AG. Aus dem ausgelobten Realisierungswettbewerb für das Gesamtprojekt ging im Oktober 1994 der Entwurf des Berliner Architekten Bernd Albers als Sieger hervor. Er schlug eine Blockstruktur vor, die dem Angerdorf ein Stück „Europäische Stadt“ anfügen sollte. Die Blöcke waren auf beiden Seiten eines zweifach geknickten Freiraums aufgereiht, der von einer „natürlichen“ Gestaltung im Süden über den steinernen Stadtplatz am U-Bahnhof Elsterwerdaer Platz wiederum in einen Grünraum übergehen und das Wuhletal mit dem Biesdorfer See verbinden sollte. Analog war vorgesehen, die offene Bebauung im Bereich der heutigen Siedlung „Im Habichtshorst“ allmählich zu verdichten – bis hin zu einer fünfgeschossigen Platzkante am Markt samt Hochhaus. Diese überdimensionierte Planung erfuhr von Beginn an immer wieder Abstriche. Während der Wegfall des 60 Meter hohen Büroturms sicher kein Verlust war, schmerzte die deutliche Verringerung der öffentlichen Gelder für das Projekt sehr. So fielen kommunale Einrichtungen wie Kita, Schule, Jugendklub den „Sparmaßnahmen“ zum Opfer. 

 

Von den Plänen zu den Kränen

Die Bauarbeiten begannen mit der Sprengung eines 66 Meter hohen Schornsteins der ehemaligen NVA-Kaserne am 3. September 1997. Der heftige Knall weckte seinerzeit nicht nur das sonst so beschauliche Biesdorf aus dem Dornröschenschlaf, sondern war das Startsignal für den Beginn eines Baubooms. Im Anschluss an die Abrissarbeiten wurden in diesem Teilgebiet etwa 200 Reihenhäuser und eine Kindertagesstätte errichtet. Die angekündigte Grundschule Habichtshorst ließ hingegen fast 20 Jahre auf sich warten. Die neuen Wohnsiedlungen erhielten Namen wie Habichtshorst, Grüne Aue, Biesdorfer Stadtgärten oder Altes Gut und spiegeln Biesdorfs Charakter als grünen Stadtteil wider. In den letzten drei Jahrzehnten gab es durch intensive Bautätigkeit einen erheblichen Bevölkerungszuwachs, was bis heute eine Herausforderung für die Infra­struktur bedeutet. 


Prof. Bernd Albers 

Architekt und Städtebauer

 

Der 1957 im westfälischen Coesfeld geborene Albers brachte sich mit Engagement und Überzeugung in die Entwicklung der Hauptstadt ein. Städtebau war seine Passion.  Albers lernte sein Architektur-Handwerk in Berlin. Er studierte von 1980 bis 1987 an der Universität der Künste Berlin und an der Technischen Universität Berlin. Die anschließend gestartete Hochschulkarriere umfasste die Stationen Zürich, Bologna, Neapel und Potsdam.  

Sein erstes Büro hatte der Architekt 1988 in Zürich eröffnet. 1993 erfolgte der Umzug nach Berlin. Seit der Wiedervereinigung setzten er und sein Team entscheidende Impulse für die Berliner Stadtentwicklung. Mitte der 90er lieferte er das Konzept für ein 100 Hektar großes Gebiet südlich von Alt-Biesdorf beiderseits des U-Bahnhofes Elsterwerdaer Platz, in dessen Zentrum ein Marktplatz entstand. Als der Berliner Senat 1995 die Aufwertung der Citybereiche beschloss, legten Bernd Albers und Dieter Hoffmann-Axthelm für die historische Mitte das „Planwerk Innenstadt“ vor. Mit dem von 2011 bis 2017 in Kreuzberg entstandenen Stresemann-Quartier beteiligte er sich am Wiederaufbau des Potsdamer Platzes. Auch in Stuttgart, Potsdam (Barberini) und Dresden waren seine städtebaulichen Ideen gefragt. Einen bemerkenswerten Erfolg konnte Albers mit Silvia Malcovati und Vogt Landschaftsarchitekten 2020 beim Internationalen Städtebaulichen Ideenwettbewerb Berlin-Brandenburg 2070 einfahren. Dabei ging es um Ideen zum Zusammenwachsen von Landschaft und Stadt.


Ambivalente Bilanz

Was bis heute entstand, kann sich aber trotzdem sehen lassen. Die drei großen Einfamilienhausgebiete Habichtshorst, Grüne Aue und Gut Champignon wurden mit mehreren 100 Häusern bebaut. Vor zwei Jahren stellte die STADT UND LAND 515 Wohnungen auf dem Areal des alten Gutshofes Biesdorf fertig. Weitere Beispiele für erfolgreiche Entwicklungen sind das bis Ende 1998 errichtete Bau- und Gartenfachmarktzentrum an der B1, die im Frühjahr 2003 eröffnete BMW-Niederlassung an der Ecke Alt-Biesdorf/Blumberger Damm und das Biesdorf-Center an der Weißenhöher Straße. Es war mit über 220 Millionen DM das größte Investitionsvorhaben. Im Februar 2008 ging direkt nebenan das Polimedica Gesundheitszentrum an den Start. Auch Grünflächen und Straßen wurden neu angelegt. 

 

Aus heutigem Blickwinkel erweisen sich die realisierten Maßnahmen als sinnvoll, zeigen aber auch, dass ein städtebauliches Vorhaben dieses Ausmaßes einen langen Atem benötigt. Nur die kontinuierliche Anpassung der Nutzungsstrukturen und städtebaulichen Dichten, die Diversifizierung des Angebots hinsichtlich Lagegunst, städtebaulicher Formen und Preisniveaus sichert künftig die Vermarktungsfähigkeit der noch vorhandenen Flächen. 

 

NVA-Kasernen Habichtshorst
NVA-Kasernen Habichtshorst

 

Der Bauhistoriker Dr. Oleg Peters schaut in den „Rückspiegel“ und gibt in dieser Serie regelmäßig Einblicke in wenig Bekanntes auch aus den Anfangsjahren des Bezirks. Er porträtiert damalige Akteur:innen und stellt historische Hintergründe dar.