Wie wollen wir künftig miteinander reden?

STADT UND LAND lud zur Diskussionsveranstaltung ein

Wie wollen wir künftig miteinander reden?

Hassreden, Beleidigungen und Shitstorms sind in den sozialen Medien weit verbreitet. Das verändert auch den Diskurs im übrigen Leben. Ob auf Arbeit oder in der Schule, zu Hause am Essenstisch oder im Parlament: Immer mehr Menschen beklagen, dass Kommunikation vermehrt aus dem Ruder gerät. Diese Entwicklung in unserer Debattenkultur hat die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft STADT UND LAND kürzlich zum Thema einer Dialogveranstaltung gemacht. 

Unter der Überschrift „Cancel Culture – wie wollen wir miteinander umgehen?“ diskutierte Moderatorin Anke Plättner am 28. November 2023 mit den Podiumsgästen im Xelor Kesselhaus in Neukölln über das aktuelle Meinungsklima und die Grenzen gegenseitigen Respekts. 

 

Altes Format neu aufgelegt

Das Format sei nicht ganz neu, verriet STADT UND LAND-Geschäftsführer Ingo Malter. Allerdings sei die Vortragsreihe „STADT UND LAND im gesellschaftlichen Dialog“ zum Thema Integration etwas in die Jahre gekommen und in der Corona-Zeit völlig eingestellt worden.  Sie wieder aufleben zu lassen war eine bewusste Entscheidung: „Wir erleben in unserem tagtäglichen Geschäft, dass Dialoge schmalspurig werden, der Ton etwas aggressiver wird – vielleicht durch die sozialen Medien, in denen man anonym alles sagen darf, nichts begründen muss.“ Das reaktivierte Diskussionsformat solle Raum für Dialog bieten, so Malter. 

 

„Cancel Culture“ – nichts Neues

Bevor die Podiumsteilnehmerinnen und -teilnehmer in die Debatte einstiegen, erläuterte der renommierte Philosoph und stellvertretende Vorsitzende des Ethikrates Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin in einem Impulsreferat, dass „Cancel Culture“ zwar ein relativ neuer Begriff sei, es sich in Wirklichkeit aber um ein uraltes Phänomen handele. „Gecancelt“ wurde tatsächlich auch schon in der Antike. Nida-Rümelin versteht darunter eine kulturelle Praxis, die sich in drei Eskalationsstufen vollzieht: Erstens: Es wird versucht, missliebige Meinungen zu unterdrücken. Zweitens: Man schließt Personen mit bestimmten Meinungen aus Diskursen aus. Drittens: Diese Menschen werden sozial oder beruflich marginalisiert oder vernichtet und in einigen wenigen Diktaturen sogar ermordet.

 

Sorge um die Demokratie

Zwar unterstellen Konservative und Rechte vor allem dem linken Lager, „Cancel Culture“ zu betreiben, tatsächlich werde es aber überall praktiziert, wie der Münchner Philosoph unter anderem am Beispiel des Republikaners Ron DeSantis skizzierte. Der Gouverneur von Florida habe den US-Bundesstaat zur „woke“-freien Zone erklärt und dabei Forschungs- und Meinungsfreiheit massiv beschnitten. Auch in Europa würden politische Auseinandersetzungen immer diffamierender geführt. Es falle den Leuten schwerer, andere Meinungen, unterschiedliche religiöse Überzeugungen und Lebensformen auszuhalten. „Wir sind dabei, kulturell zurückzufallen hinter ein Niveau, das schon einmal erreicht war – und das ist demokratiegefährdend“, konstatierte Julian Nida-Rümelin.

 

Kommunikation auf Augenhöhe

„Was sagen Sie nicht mehr in der Öffentlichkeit?“, wollte Moderatorin Anke Plättner von der Autorin Sineb El Masrar wissen. Die 42-jährige Tochter marokkanischer Einwanderer erklärte: Ich merke schon, dass ich manchmal überlege, wie ich etwas formuliere, damit ich nicht ganz so vielen Menschen auf den Schlips trete“ – etwa, wenn sie über die Radikalisierung innerhalb muslimischer Communities rede. Sich selbst komplette Sprechverbote zu erteilen, sei für sie aber keine Option: „Wir dürfen nicht den Lauten, die kein Interesse haben, Probleme zu lösen, das Feld überlassen.“

Oliver Tautorat, Schauspieler und Intendant des Prime-Time-Theaters im Wedding, sprach über politisch inkorrekte Witze und kulturelle Aneignung in seinen Aufführungen, zum Beispiel wenn er als männlicher Halbgrieche in die Rolle der türkischen Mama Hülia schlüpfe. Sein Publikum nehme ihm das nicht übel, so Tautorat. Für ihn stehe aber fest: „Humor hat da Grenzen, wo er verletzend ist.“ Manche Comedians in Deutschland würden diese Grenze viel zu häufig überschreiten. „Man muss auf Augenhöhe sein mit denen, über die man redet oder die man spielt. Und man muss unbedingt ein liebevolles Interesse an Menschen haben. Dann kann man nicht viel falsch machen“, ist er sich sicher.

 

Andere Meinungen gelten lassen

Auch die Ärztin und Trainerin für gewaltfreie Kommunikation, Dr. Angela Keim, plädierte für Debatten auf Augenhöhe. Zudem müsse man davon wegkommen, immer nur aufs Rechthaben zu pochen. Sie wünsche sich, dass Gesprächspartner auch hinter Aussagen, mit denen sie vielleicht nicht einverstanden seien, eine Motivation finden, die sie verstehen könnten.

 

„Während wir hier so wunderbar und offen sprechen mit großem Respekt voreinander, habe ich Veranstaltungen vor meinem geistigen Auge, in denen das ganz anders verläuft“, bemerkte Ingo Malter. Etwa wenn es um Neubauvorhaben gehe, sei die Stimmung mitunter von Aggressionen geprägt. Er suche noch nach Wegen, „so einen Dialog, wie wir ihn hier gerade führen“, in den Alltag zu übertragen. „Wie kommen wir wieder ran an die Menschen? Wie teilen sie uns mit, was sie denken, fühlen und haben möchten? Und wie können wir ihnen vermitteln, was wir gerade brauchen und was unsere Argumente sind?“ Seine Hoffnung sei es, sagte der STADT UND LAND-Geschäftsführer, dass das neu aufgelegte Diskussionsformat vielleicht einen Beitrag dazu leisten könne. Es soll im nächsten Jahr fortgeführt werden.