Aus unserer Rubrik: "Neues von gestern – Bezirksgeschichte(n)
Heilende Architektur
Medizin und Gesundheit haben im Wuhletal eine lange bewegte Geschichte. Vor 130 Jahren wurde die „Anstalt für Epileptische Wuhlgarten“ eröffnet. Heute setzt der Gesundheitscampus rund um das Unfallkrankenhaus die Tradition fort.
Krankenhäuser gehörten schon immer zu den anspruchsvollsten architektonischen Aufgaben. Kaum ein anderer Gebäudetyp vereint derart viele medizinische, organisatorische und technische Anforderungen unter einem Dach. Was oft zu kurz kommt, ist das Menschliche: eine an den Bedürfnissen der Kranken und Pflegenden orientierte Architektur. Dass es anders geht, zeigt der historisch gewachsene Gesundheitscampus rund um das Unfallkrankenhaus Berlin (ukb). In seinen sichtbaren baulichen Hüllen bildet der Klinikkomplex zwischen Wuhletal und Blumberger Damm das sich stetig verändernde Selbstverständnis der modernen Medizin exemplarisch ab. Es ist ein Glücksfall, dass an diesem Standort auf Gesundheitsbauten spezialisierte Architekt:innen wie Hermann Blankenstein, Karl Schmucker und Christine Nickl-Weller am Werk waren. Alle drei prägten deutschland- und sogar weltweit diesen Bautypus und verstanden ihn auch als Heilmittel.
Mit Blankenstein fing alles an
Das „Kuratorium für die Irrenpflege der Stadt Berlin“ beschloss Ende 1885, für die „hilfsbedürftigen Krampfkranken“ Berlins eine eigene Anstalt zu bauen. Die damals festgelegten Standortkriterien zahlen sich bis heute aus: Lage außerhalb der Stadt, aber gut erreichbar, nutzbares Trinkwasser, saubere Luft, guter Baugrund und kulturfähiger Boden, großes Terrain (ca. 100 Hektar) mit ausreichend Raum sowohl für repräsentative Grünanlagen und Erholungsgärten als auch für gärtnerische und landwirtschaftliche Nutzflächen sowie Abwasseranlagen. Am 18. Januar 1888 konnte die Stadt Berlin vom Rittergutbesitzer Werner Siemens das passende Areal in Biesdorf erwerben.
Die Planung der Anstalt lag in den Händen des Berliner Stadtbaurates Blankenstein. Er galt damals neben Heino Schmieden (1835–1913) als versierter „Krankenhausarchitekt“. Seine Skizze für den Neubau genehmigte die Stadtverordnetenversammlung am 22. März 1889. Am 15. November 1893 wurde die „Heil- und Pflegeanstalt für Epileptische in Wuhlgarten“ eröffnet. Sie war damals mit ihren Klinikgebäuden, der Kirche, den Werkstätten, der Landwirtschaft, der eigenen Wasser- und Energieversorgung und den weitläufigen Park- und Grünanlagen eine autarke und für die Gründerzeit sehr moderne Einrichtung des Gesundheitswesens. Blankenstein schuf hier am Rande und unter Einbeziehung des Wuhletales ein städtebauliches Ensemble, das beispielgebend für die Berliner Architekturgeschichte war und seit 1989 unter Denkmalschutz steht.
Klinik-Neubau à la Schmucker
Hundert Jahre später, im Juni 1991, fasste der Berliner Senat den Beschluss zum Bau eines leistungsfähigen Unfallkrankenhauses gemeinsam mit den gewerblichen Berufsgenossenschaften. Das beauftragte Büro ,,Karl Schmucker + Partner" lieferte dafür im März 1993 den Vorentwurf. Die architektonische Gestaltung von Karl Schmucker orientierte sich einerseits an Blankensteins historischem Krankenhausensemble und andererseits an modernen filigranen Stahl-Glas-Fassaden. Am 1. September 1997 war Eröffnung.
Auf einer Grundstücksgröße von sieben Hektar wurde eine Nutzfläche von 39.000 m² untergebracht. Das Krankenhaus entstand entlang einer zentralen, 165 Meter langen Magistrale. Dadurch konnte das Bauvolumen in kleinere anschließende Kopfbauten gegliedert werden, die eine Integration in die denkmalgeschützten Pavillonbauten des Parks schaffen. Für 240 Millionen Euro entstand das modernste Krankenhaus Europas.
Der Campus wächst weiter
In den letzten 25 Jahren entwickelte sich rund um das Unfallkrankenhaus auch unter Einbezug der denkmalgeschützten Bauten ein 100 Hektar großer Gesundheitscampus mit heute mehr als 2.500 Beschäftigten. Der Standort ist zu einer bedeutenden Adresse der Gesundheitswirtschaft in der Metropolenregion Berlin-Brandenburg geworden. Neben dem ukb sind in den vergangenen Jahren etliche neue Kliniken entstanden. Ein Wachstumsende ist noch lange nicht absehbar.
Reha-Klinik mit heilenden Wänden
So eröffnete im Januar 2021 eine neue Rehabilitationsklinik. Sie beherbergt die Fachbereiche Integrative Rehabilitation, Beatmungsentwöhnung (Weaning), Neurologische Rehabilitation und Sportmedizin. Insgesamt stehen 151 Betten zur Verfügung. Für die Gestaltung des Reha-Neubaus zeichnete das Büro der Architektin Prof. Christine Nickl-Weller verantwortlich. Die Expertin für „Heilende Architektur“ weiß wie kaum eine andere auf der Welt um die positiven Effekte von Lichteinfall, Wand- und Bodengestaltung, Raumanordnung und Akustik auf den Genesungsprozess. Der von ihr entworfene, 135 Meter lange Bau mit seiner Fassade aus orange-roten Klinkern ist in fünf Segmente gegliedert und erinnert an die klassische Formensprache der denkmalgeschützten Campusgebäude. Gleichzeitig lassen großformatige Fensteröffnungen keinen Zweifel am innovativen und zeitgemäßen Charakter aufkommen. Das Interieur der 70-Millionen-Euro-Klinik ist von einer hellen Atmosphäre geprägt. Zwei große Innenhöfe holen Licht über bodentiefe Verglasungen in alle Bereiche. Immer wieder öffnet sich der Blick in die grüne Parklandschaft. Der Neubau wurde im Westen und Süden mit Verbindungsgängen im Untergeschoss an die Bestandsgebäude angebunden.
Spezialist:innen am Werk
Herrmann Blankenstein (1829-1910) legte den Grundstein für den heutigen Gesundheitscampus. Von 1872 bis 1896 war er als Stadtbaurat Leiter der Berliner Hochbauverwaltung. In seiner 24-jährigen Amtszeit plante er alle kommunalen Gebäude, darunter 120 Schulen. Von den 20 Gesundheitseinrichtungen sind die Irrenhäuser zu Dalldorf und Herzberge, das Hospital- und Siechenhaus in der Prenzlauer Allee, die Krankenhäuser am Urban und in Moabit sowie die 1893 in Betrieb genommene Anstalt für Epileptische in Wuhlgarten die bekanntesten.
Ende 1993 erfolgte an letzterem Standort der erste Spatenstich für das heutige Unfallkrankenhaus. Das beauftragte Architekturbüro „Karl Schmucker + Partner“ verfügte über jahrzehntelange Erfahrungen im Krankenhausbau. Unter der Leitung von Karl Schmucker (geb.1928) entstanden auch das Diakonissen-Krankenhaus Mannheim, die Berufsgenossenschaftlichen Unfallkliniken in Ludwigshafen-Oggersheim und Tübingen, das Psychiatrische Landeskrankenhaus in Hirsau und die Universitätsklinik Mannheim.
Gemeinsam mit Ehemann Hans Nickl entwirft Christine Nickl-Weller (geb. 1951) Krankenhäuser, in denen sich die Patient:innen so wohl fühlen, dass sie nachweislich schneller genesen. Seit 1989 führt das preisgekrönte Architektenpaar ein Büro mit Standorten in München, Berlin, Zürich, Peking und Jakarta. Christine Nickl-Wellers Entwürfe richten sich stark an den wissenschaftlich erwiesenen Wechselwirkungen zwischen gebauter Umgebung und körperlichem wie psychischem Wohlbefinden aus. Als Leuchtturmprojekt in Deutschland gilt das Kreiskrankenhaus Agatharied im oberbayerischen Landkreis Miesbach.
Der Bauhistoriker Dr. Oleg Peters schaut in den „Rückspiegel“ und gibt in dieser Serie regelmäßig Einblicke in wenig Bekanntes auch aus den Anfangsjahren des Bezirks. Er porträtiert damalige Akteur:innen und stellt historische Hintergründe dar.