25 Jahre Alice-Salomon-(Fach-)Hochschule in Marzahn-Hellersdorf
Neues Zuhause für engagierte Geister
Vor 25 Jahren nahm die damalige „Alice-Salomon-Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik Berlin“ (ASFH) in der Hellen Mitte den Lehrbetrieb auf.
Die heutige Hochschule, seit 1. April 2009 ohne „F“ und mit den Universitäten auch formal auf Augenhöhe, residierte bis 1998 in der Goltzstraße 43/44 in Schöneberg. Namenspatronin Alice Salomon (1872-1948) hatte dort 1908 die Soziale Frauenschule gegründet. Sie gehörte zu den ersten promovierten Frauen in Deutschland, war eine herausragende Vordenkerin und Wortführerin der Frauenbewegung, Sozialreformerin und Begründerin des modernen Berufsfeldes „Soziale Arbeit“ in Deutschland.
Schwierige Standortsuche
Mit den Jahrzehnten war der Altbau in Schöneberg zu klein geworden. „Die Fachhochschule ist überfüllt! Die Fachhochschule muss einen Neubau kriegen! Möglichst schnell! Egal wo!“ – So wurde im Juni 1992 im Kuratorium der ASFH vor Abgeordneten, Senatoren und Staatssekretären argumentiert. Die Mehrheit des Lehrkörpers hoffte auf einen Neubau in Spandau. Als alternativer Standort bot sich noch das Klinikum Herzberge in Lichtenberg an. Doch es kam anders und die Standortentscheidung wurde ohne den künftigen Nutzer getroffen. Am 25. November 1992 beschloss das Abgeordnetenhaus, die ASFH an den äußersten östlichen Stadtrand nach Hellersdorf zu verlegen. 92 Prozent der Fachhochschulmitglieder waren dagegen. Aus Sicht der politischen Entscheidungsträger aber fiel die Wahl auf den Bezirk, weil dort öffentliche, kulturelle und Bildungseinrichtungen fehlten, wie es sie in den traditionell gewachsenen Bezirken ganz selbstverständlich gab. Der Bau einer überregionalen Einrichtung ließ eine Magnetwirkung für andere Ansiedlungen erwarten.
Ärger über „Zwangsumzug“
Am 1. April 1993 wurde ein Architekturentwurf ausgewählt. Das Rennen machte die Arbeit des Büros Winking Architekten (siehe Porträt). Rektor Reinhart Wolff zeichnete am 4. März 1994 die Pläne für das Vorhaben in Hellersdorf rechtskräftig ab. Am 28. August 1995 wurde schließlich der Grundstein für die Fachhochschule gelegt. Die neu gewählte Rektorin, Christine Labonté-Roset, richtete deutliche Worte der Kritik an den Senat, dem sie vorwarf, die Schule an den Rand zu drängen und Einwände etwa hinsichtlich der Lage an einem sehr verkehrsreichen Platz (seit November 1995 Alice-Salomon-Platz) voller Lärm und Abgasen nicht ernst genug zu nehmen. Demonstrativ verweigerte sie auch die Teilnahme an den traditionellen drei Hammerschlägen. Mit der Bemerkung „Hellersdorf ist nicht Sibirien“ trug der damalige Bausenator Nagel nicht unbedingt zur Beschwichtigung bei.
Ziegelbau mit Charme
Von den Querelen unbeeindruckt wuchs der 37 Millionen Mark teure Neubau zügig in die Höhe. Bereits im November 1996 konnte die Richtkrone aufgezogen werden. Ziegelfassaden und Gebäudedimensionen der Hochschule passten zum städtebaulichen Gesamtkonzept von Andreas Brandt und Rudolf Böttcher. Neben den anderen Stadthäusern am Platz reiht sich das Gebäude in die vorgegebene Blockgeometrie ein. Die Eingangshalle beherbergt eine Mensa mit Cafeteria und erschließt Bereiche wie Bibliothek, Seminarräume und Werkstätten. Am Eingang mit Information und Pförtner führt eine breite Treppe über eine dreigeschossige, offene Galerie zu wichtigen Hochschulbereichen. Die Aula sowie Räume für Medien, Tanz und Musik liegen in den ersten beiden Obergeschossen, während die drei oberen Etagen internen Funktionen von Verwaltung und Forschung zugeordnet sind. Die Hauptfassade im Innenhof wird durch die Halle geprägt und ist von werkstattartigem Charakter. In der Außenfassade zeigt sich das Haus als Ziegelbau. Die zurückgestaffelten Geschosse sowie der Innenhof erhielten eine helle Putzfassade. Das Raumangebot für die damals rund 1.200 Studierenden und Lehrenden konnte gegenüber dem alten Standort verdoppelt werden.
Baulich im Wandel
Über die Zeit lässt sich Veränderung und Entwicklung am Gebäude in den Aspekten Ästhetik, Funktionalität und Technik erkennen. So gestaltete die deutsche Installationskünstlerin Barbara Noculak 2008 den Eingangsbereich der inzwischen bundesweit größten staatlichen SAGE-Hochschule (Soziale Arbeit, Gesundheit und Erziehung) neu. Integrierte Schrifttafeln in deutscher und englischer Sprache aus Edelstahl und ein Schwarz-Weiß-Fotoporträt der Namenspatronin hinter Glas markieren seitdem den Eingang zur Hochschule. Auf dem Dach installierten die Berliner Stadtwerke 2020 eine 97 Kilowatt starke Photovoltaikanlage, womit die Alice-Salomon-Hochschule (ASH) Berlin ihrem Ziel der Klimaneutralität einen großen Schritt näherkam.
Und da die Hochschule, wie schon einmal vor 30 Jahren, abermals aus allen Nähten platzt, wurde im September 2021 am nahen Kokoschkaplatz der Startpunkt für den Neubau eines Erweiterungsgebäudes gesetzt. Bis 2024 entsteht ein 5-geschossiges Sockelgebäude sowie ein daraus hervorragender etwa 40 Meter hoher Hochhausturm mit 10 Etagen. Ein zweigeschossiger Gebäudeeinschnitt formuliert den Haupteingang und interpretiert das historisierende Motiv der im Städtebauentwurf angelegten Kolonnade auf zeitgenössische Weise.
Zum Impulsgeber avanciert
Erst mit der Erfahrung vor Ort fand ein allmähliches Ankommen der Hochschule in Hellersdorf statt. Heute entfaltet sie allmählich die erhoffte Wirkung auf die sozialräumliche Umgebung und Infrastruktur. Das Interesse einer integrierenden Stadtentwicklung ist eine Saat, die nach und nach in Form von Projekten und Partnerschaften zwischen Hochschule und dem Bezirk aufging. 25 Jahre nach dem Umzug ist die ASH Berlin als lebendiger Ort von Bildung, Wissenschaft, Forschung, Lehre und Transfer ein bedeutender Teil der kommunalen Bildungslandschaft. Sie ist mit ihren 4.300 Studierenden aus Hellersdorf nicht mehr wegzudenken. „Jede Kommune kann sich glücklich schätzen, eine Hochschule vor Ort zu haben. Wenn sich dann noch durch gegenseitiges Engagement eine verlässliche und an den Interessen beider Seiten orientierte Zusammenarbeit entwickelt, ist das ein Glücksfall“, sagte einst Bezirksbürgermeisterin a. D. Dagmar Pohle.
Prof. Bernhard Winking
Architekt und Stadtplaner
Der 1934 in Osnabrück geborene Bernhard Winking absolvierte nach einer Maurerlehre zunächst ein Ingenieurstudium für Hochbau in Münster und studierte später Architektur an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. 1965 gründete der Niedersachse die Architektengemeinschaft Patschan Winking. Im selben Jahr übernahm er eine Lehrtätigkeit an der HFBK Hamburg, wo er 1978 zum Professor für Bauplanung berufen wurde. Zwischen 1972 und 1988 war Winking Mitglied im Vorstand des Bundes Deutscher Architekten (BDA) Hamburg. 1982 erfolgte seine Berufung in die Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung.
1993 gründete er das Büro Prof. Bernhard Winking Architekten BDA mit Standorten in Hamburg und Berlin. 1997 stieg Martin Froh bei ihm ein. Gemeinsam haben beide das Stadtbild vieler deutscher Städte wie Braunschweig, Husum, Dresden, Frankfurt am Main und München mitgestaltet. Für sein Lebenswerk verlieh die Freie Hansestadt Hamburg Bernhard Winking im Jahr 2016 den Fritz-Schumacher-Preis. Zu seinen mehr als 120 realisierten Bauten im In- und Ausland gehören neben der Alice-Salomon-Hochschule auch die Gebäude in Wulfen, an der Hamburger Fleetachse und auf der ehemaligen Spiegel-Insel.
Der Bauhistoriker Dr. Oleg Peters schaut in den „Rückspiegel“ und gibt in dieser Serie regelmäßig Einblicke in wenig Bekanntes auch aus den Anfangsjahren des Bezirks. Er porträtiert damalige Akteurinnen und Akteure und stellt historische Hintergründe dar.