Marzahn-Hellersdorf ächzt unter dem Lehrkräftemangel

Gastbeitrag von Marion Hoffmann, Co-Vorsitzende der SPD im Bezirk und ehemalige Schulleiterin

Marzahn-Hellersdorf ächzt unter dem Lehrkräftemangel

Die ISS Mahlsdorf gehört mit der Johann-Julius-Hecker- und der Konrad-Wachsmann-Schule zu den am stärksten unterversorgten Integrierten Sekundarschulen in Berlin.
Die ISS Mahlsdorf gehört mit der Johann-Julius-Hecker- und der Konrad-Wachsmann-Schule zu den am stärksten unterversorgten Integrierten Sekundarschulen in Berlin.

Mit Aufhebung der Lehrkräftezuweisung im Land Berlin werden die Bildungsunterschiede in der Hauptstadt verstärkt. Von der neuen Regelung der Bildungsverwaltung profitieren lediglich als unproblematisch wahrgenommene Regionen und Bezirke. Schülerinnen und Schüler in Bezirken wie Marzahn-Hellersdorf sind in negativer Hinsicht besonders betroffen, da die Anzahl nicht besetzter Stellen steigen und die Möglichkeiten einer guten schulischen Bildung sinken werden. Der Senat muss diese Fehlentwicklung umgehend beenden und sich auch um die Schulen und Kinder in den Randgebieten unserer Stadt kümmern.

Der Tagesspiegel hat zum Schulstart eine interaktive Karte online gestellt, aus der man die Lehrkräfteausstattung sämtlicher allgemeinbildender Schulen Berlins ablesen kann. Helle bis dunkle Punkte machen den Status jeder einzelnen Schule kenntlich – Blau bis Grün für gute Versorgung, braune Farben für unterschiedliche Grade mangelhafter Ausstattung. 

 

Dass Berlin in Gänze zu wenig Lehrer hat, ist bekannt. In diesem Jahr fehlen fast 1.500 Vollzeitstellen, was einer durchschnittlichen Unterversorgung von etwa 4 Prozent entspricht. Das klingt nicht übermäßig beunruhigend. Die Dramatik wird erst bei der Verteilung des Mangels deutlich. Da gibt es Stadtgebiete, in denen sich hellbraune mit hellblauen Punkten mischen, zum Beispiel in den Innenstadtbereichen von Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg. Auch im Westen und Südwesten der Stadt (Charlottenburg-Wilmersdorf und Steglitz-Zehlendorf) ist die Lage entspannt.

Um die unterversorgten Schulen zu erkennen, muss man in den westlichen Bezirken schon sehr genau suchen. Leicht fällt diese Suche hingegen in den nördlichen Gegenden von Marzahn-Hellersdorf.

 

Hier findet sich auch die Schule mit der berlinweit schlechtesten Ausstattung an Lehrkräften: Sie belegt Rang 101 von 101 aller integrierten Sekundarschulen. 1.093 Unterrichtsstunden wären zu erteilen, 777 werden tatsächlich gehalten. Auch an vielen Grundschulen der Marzahner und Hellersdorfer Neubaugebiete gibt es bereits jetzt gravierende Personallücken. Beim Großteil aller Neubesetzungen handelt es sich zudem um Quereinsteiger. Das dürfen und wollen wir nicht hinnehmen. Die jetzigen Regelungen verschärfen und verschlechtern diesen Zustand auf Kosten der engagierten Pädagoginnen und Pädagogen vor Ort. Wir fordern eine Umkehr dieser Politik. Die besten Lehrkräfte und Sozialarbeitenden sollen in die am meisten benachteiligten Kieze. 

 

Berlins Schüler erzielen bei deutschlandweiten Tests im Lesen, Schreiben, Rechnen regelmäßig miserable Ergebnisse. Innerhalb Berlins gehören die Sprach- und Rechenleistungen der Marzahn-Hellersdorfer Grundschüler zu den schlechtesten.  Kindern aus einkommensschwachen, bildungsarmen Familien fällt es naturgemäß besonders schwer, in der Schule einen guten Abschluss zu erreichen, weshalb sie auch in der nächsten Generation armutsgefährdet sind. Bei jungen Menschen mit Migrationshintergrund verringern sprachliche Probleme zusätzlich ihre Erfolgschancen. Bei den Einschulungsuntersuchungen des Bezirks werden in den besonders armen Regionen bis zu 80 % schulischer oder sonderpädagogischer Förderbedarf attestiert. Eine Unterausstattung der Schulen in diesen Gebieten hat für die Schülerinnen und Schüler besonders dramatische Auswirkungen. 

Was kann Berlin tun, um den sich ständig verstärkenden Negativtrend in der allgemeinen Schulausbildung zu stoppen?

 

Wo und wie finden wir die fehlenden Lehrkräfte? Wie schaffen wir es, dass den Lernenden an den Berliner Schulen die Kenntnisse und Fertigkeiten vermittelt werden, die sie für ein selbstbestimmtes, konstruktives Mitwirken in unserer freiheitlichen Gesellschaft benötigen?

Eine „Bildungsarmut“ breitet sich aus, im Marzahn-Hellersdorfer Norden schon deutlich beobachtbar. Das hat extrem negative Folgen – nicht nur für die Lebensqualität der Betroffenen, sondern auch für die Wirtschaft, lokal und international, und damit für unser aller Wohlstand und letztlich Deutschlands Stellung in der Welt.

Leider gibt es nur wenige Maßnahmen, die wir unmittelbar zu einer Linderung des Problems ergreifen können:

  1. Wir müssen die gewaltige Kluft zwischen bildungsreichen und bildungsarmen Berliner Gegenden verringern, indem wir in Extremfällen (50. Schule Buch 125% ­ Johann-Julius-Hecker-Schule Marzahn Nord 71%) die Schulaufsichten wieder ermächtigen, Lehrkräfte bestimmten Schulen zuzuweisen, das heißt also, die freie Schulwahl zu begrenzen.
  2. Lehramtsstudierenden, Seiten- und Quereinsteigern sowie Lehrkräften im Ruhestand muss es unbürokratisch möglich gemacht werden, an Schulen mitzuarbeiten.
  3. Gehaltsprämien für Lehrkräfte an Problemschulen müssen als echter Anreiz bemessen werden.
  4. Der Sprachunterricht für Schüler mit Migrationshintergrund muss personell und finanziell ausreichend gefördert werden.
  5. Bezirke mit besonderem Lehrkräftemangel, wie zum Beispiel Marzahn-Hellersdorf, sollten darüber nachdenken, wie sie durch Informationsmaßnahmen und ein äußerlich ansprechendes Lernumfeld die Schulen für Mitarbeitende von außerhalb attraktiv machen können. Der unter der Ägide der Marzahn-Hellersdorfer Schulaufsichts-Referatsleiterin Cathrin Braun entstandene Imagefilm über Marzahn-Hellersdorf ist da ein anregendes Beispiel.
  6. PKB-Mittel sollten den Schulen zu einer freieren Verwendung als bisher zur Verfügung gestellt werden?
  7. Die Pflege der Schuleinrichtungen muss ausreichend finanziert werden, sodass zum Beispiel die Toiletten zweimal täglich gereinigt werden können. Es hat Bewerber gegeben, die sich in einer Schule nur die Toiletten angesehen und daraufhin ihre ablehnende Entscheidung getroffen haben.

Mittel- bis längerfristig ist unerlässlich, dass die wissenschaftliche und praktische Ausbildung von vornherein miteinander verzahnt werden und auch eine Verkürzung der Ausbildung erreicht wird. Es muss intensiv und institutionsübergreifend darüber nachgedacht werden, wie sich die hohen Abbrecherzahlen reduzieren lassen.