Geplatzte Architekturträume (I)

Diese Entwürfe für Marzahn-Hellersdorf haben nie das Licht der Welt erblickt

Geplatzte Architekturträume (I)

Panorama der Hellen Mitte, 1991 © Wolf R. Eisentraut
Panorama der Hellen Mitte, 1991 © Wolf R. Eisentraut

Jeder Mensch erlebt Fehlschläge – für Architektinnen und Architekten gilt das aber in besonderem Maße. In den die Großsiedlungen Marzahn und Hellersdorf planenden Kollektiven entstanden nahezu täglich Unmengen nicht realisierter Ideen und Entwürfe. Dass sie begraben wurden, lag nicht unbedingt daran, dass sie schlecht waren. Mal entschieden sich die Verantwortlichen für einen anderen Weg. Mal scheiterte ein Projekt komplett. Mal platzten Zeit- und Budgetpläne oder Architekten und politische Entscheidungsträger redeten aneinander vorbei. 


 Aus fürs Warenhaus

Würde man die Pläne aller ungebauten Vorhaben für Marzahn und Hellersdorf aus den Schubladen ziehen und übereinanderlegen, wäre der Papierstapel hoch wie ein Wohnhochhaus am Helene-Weigel-Platz. Genau dort setzte auch 1978/79 – wie immer am Ende eines Fünfjahrplanes – die erste Streichwelle ein. Berlin durfte nur noch ein Warenhaus bauen. Dies sollte trotz der Nähe zum Alexanderplatz am Fennpfuhl entstehen und nicht im entfernteren Marzahn. Das 1975 für den Standort Springpfuhl bestätigte und geplante Warenhaus mit 6.000 Quadratmetern Verkaufsfläche fiel dem Rotstift zum Opfer. 

Gestrichen wurde auch die teure Stahlbetonskelett-Wohnscheibe entlang der Märkischen Allee mit Baukosten von 80.000 DDR-Mark je Wohnung. Dafür entstand ein normaler WBS-70-Plattenbau. Die Kosten pro Wohnung reduzierten sich auf 35.000 Mark der DDR.

 

Keine U-Bahn nach Marzahn

Durch die Maßgabe, bis 1990 die Wohnungsfrage zu lösen, lastete enormer politischer und ökonomischer Druck auf Architekten und Städteplanern. Die davonrennende Zeit, ständige Eingriffe in die materielle Sicherung und knapper werdenden Kassen Ende der 1980er Jahre zeigten ihre Auswirkungen. Die Liste der verworfenen Projekte ist lang. Sie reicht von einer U-Bahn-Anbindung nach Marzahn bis hin zu einem Heizkraftwerk auf Braunkohlenbasis im Raum Ahrensfelde. 

Planungen gab es auch für die Gaststätte „Zur Schmiede“ im alten Dorf Marzahn, eine Fußgängerbrücke über die Landsberger. Allee sowie für ein Rathaus und ein Kino an der Marzahner Promenade. 

Die Marzahner Promenade sollte ein Kino und ein Rathaus bekommen. © „Zweifach war des Bauens Lust“
Die Marzahner Promenade sollte ein Kino und ein Rathaus bekommen. © „Zweifach war des Bauens Lust“

Wohnhochaus als Entrée

Eine der ausgefallensten nicht realisierten Visionen ist der Zentrumseingang der Marzahner Promenade. Vorgesehen war ein markantes, weithin sichtbares vielgeschossiges Wohnhochhaus – ein Gebäude, das ausruft: Hier ist Marzahn, der neue Bezirk! Der Entwurf starb u.a. wegen einer erneuten Einsparungswelle. Anstelle des außergewöhnlichen, zeichenhaft gestaffelten Wohnhauses entstanden später schlichte elfgeschossige WBS 70. Insbesondere gegen individuelle und vom allgemeinen Schema abweichende Ideen waren die Widerstände oft erheblich. Ästhetische und gestalterische Argumente halfen nicht, dafür aber beharrlicher Widerstand oder auch Sturheit. Eine Eigenschaft, über die beispielsweise der Architekt Wolf R. Eisentraut verfügt (siehe Buchvorstellung unten). 

Geplanter Zentrumseingang für die Marzahner Promenade, 1982 © „Zweifach war des Bauens Lust“
Geplanter Zentrumseingang für die Marzahner Promenade, 1982 © „Zweifach war des Bauens Lust“

Bürgerpark mit Bad und Bühne

Die Fläche des heutigen Bürgerparks Marzahn, eine grüne Oase im Meer der Platten, diente in der Bauzeit als Zwischenlager. Ein Berg aus Aushubmassen blieb als Rudiment. Keiner fühlte sich für den Abtrag zuständig. Warum daraus nicht einen Hügel formen, der sich aus dem leicht geneigten Gelände des Parks erhebt, dachte sich Architekt Eisentraut und skizzierte die Idee eines Wasserfalls, der aus dem Berg quillt und in einen kleinen Badesee mündet. So entstand, mit wasserspeienden Tierfiguren bereichert, außerplanmäßig in Marzahn das Kinderbad „Platsch“ – bis heute der einzige legale Open-Air-Badeort im Bezirk. Die in die hügelige Landschaft eingebettete Freilichtbühne schaffte es dagegen nicht, das Licht der Welt zu erblicken.

 

 Das Freilufttheater im Bürgerpark Marzahn wurde nie realisiert. © Wolf R. Eisentraut
Das Freilufttheater im Bürgerpark Marzahn wurde nie realisiert. © Wolf R. Eisentraut

Unvollendetes Zentrum für Hellersdorf

Ende September 1990 war Wolf R. Eisentraut einer von über 60 Teilnehmern am ersten gesamtdeutschen stadtplanerischen Wettbewerb für das Hellersdorfer Bezirkszentrum. Sein Entwurf sah u. a. ein als Rathaus genutztes Hochhaus im Kreuzungsbereich des heutigen Alice-Salomon-Platzes und einen kleinen Badesee südlich der U-Bahn-Trasse vor. Über die heutige „Helle Mitte“ und insbesondere den Alice-Salomon-Platz wird aktuell wieder geredet, gestritten, verhandelt und diskutiert. Ein Blick in die kreativen Wettbewerbsbeiträge von 1990/91 könnte vielleicht eine Inspirationsquelle sein. Die nachträgliche Umsetzung der einen oder anderen Idee täte dem etwas trist daherkommenden Ortsteilzentrum sicher gut. Viele Wettbewerbsteilnehmer brachten damals spannende freiraumplanerische Aspekte ein, die keine Berücksichtigung fanden. 

 

Aus dem Badesee südlich des U-Bahnhofs Hellersdorf wurde ebenfalls nichts. © „Zweifach war des Bauens Lust“
Aus dem Badesee südlich des U-Bahnhofs Hellersdorf wurde ebenfalls nichts. © „Zweifach war des Bauens Lust“

Ein Sieger – viele Verlierer

Die übliche Vorgehensweise, für prestigeträchtige oder teure öffentliche Projekte Wettbewerbe auszurufen, bringt pro Vorhaben nur einen Sieger hervor, dafür aber viele Verlierer und damit haufenweise Altpapier. Bis heute verhindert eine Vielzahl weiterer Gründe, dass mit Leidenschaft entworfene Pläne umgesetzt werden.

Sicher gab und gibt es aber auch etliche Visionen für Marzahn-Hellersdorf, deren Nichtzustandekommen bei der Bevölkerung Dankbarkeit auslöst. Welche Architektursünden im Bezirk leider keine reine Fantasie geblieben sind, könnte das Thema eines weiteren Artikels sein. Wobei dafür eine Folge vermutlich nicht reichen dürfte.


Wolf R. Eisentraut

Architekt

 

Kürzlich erschien im Berliner Lukas Verlag unter dem Titel „Zweifach war des Bauens Lust“ ein Buch von Wolf R. Eisentraut. Die kurzweiligen Texte sind mit 360 meist farbigen Abbildungen und Arbeitsskizzen ausgeführter Bauten und nicht realisierter Planungen aus der 50-jährigen Berufskarriere des Stararchitekten illustriert. Das in seiner Dimension DDR-weit einmalige Hauptwerk von Eisentraut – die Planung und Ausführung der Marzahner Promenade – bestimmte 14 Jahre lang sein Schaffen. In dieser Zeit gab es immer wieder neue Entwürfe und Modelle, bescheidene Erfolge aber auch verordnete Rückschläge, sogar Verbote. Der Buchtitel weist auf zwei Architektenleben hin: eines in der DDR, das andere im vereinigten Deutschland – beide geprägt vom Engagement für Bauen und Baukultur. Anhand konkreter Ereignisse und Planungen denkt Eisentraut objektive Vorgänge und subjektive Erlebnisse zusammen und gibt Einblicke in Lust und Frust des Architektendaseins in zwei Gesellschaftsordnungen.  

Es ist ein ausgefülltes und schaffensreiches Berufsleben – nicht nur als als Architekt im volkseigenen und privaten Büro, sondern auch als Hochschullehrer, Bühnenbildner, Moderator, Publizist und sogar als Maurer –, das Eisentraut in dem Buch Revue passieren lässt.

 

„Zweifach war des Bauens Lust“

40 €, ISBN 978-3-86732-429-8


 

Der Bauhistoriker Dr. Oleg Peters schaut in den „Rückspiegel“ und gibt in dieser Serie regelmäßig Einblicke in wenig Bekanntes auch aus den Anfangsjahren des Bezirks. Er porträtiert damalige Akteurinnen und Akteure und stellt historische Hintergründe dar.