Ringen mit dem Senat um Langhoffstraße, Buckower Ring und Hoyerswerdaer Straße
Wie sich der Bezirk gegen Wohnungsbau auf der grünen Wiese wehrt
1.000 Mehrgeschosswohnungen hier, 28 Stadtvillen dort und gefühlt alle paar Wochen neue Meldungen von Baugenehmigungen, Grundsteinlegungen oder Richtfesten. In den vergangenen Jahren entstand bei vielen Menschen in Marzahn-Hellersdorf der Eindruck, ihr Bezirk müsse wie kein anderer herhalten, um die Wohnungsnot in der ganzen Stadt zu lindern. Dass Wahrnehmung und Wirklichkeit etwas auseinanderliegen, wurde zuletzt beim Pressegespräch mit der seit anderthalb Jahren für Stadtentwicklung zuständigen Bezirksstadträtin Juliane Witt (Linke) deutlich. Dennoch ächzt der Bezirk unter dem rasanten Wachstum, aber Gegensteuern ist gar nicht so leicht.
Mit 20.904 genehmigten Wohnungen zwischen 2011 und 2022 liegt Marzahn-Hellersdorf im Bezirksvergleich auf Rang fünf hinter Lichtenberg (knapp 35.000 Wohnungen), Mitte, Pankow und Treptow-Köpenick. Fertiggestellt wurden in den zurückliegenden zehn Jahren hier im Bezirk insgesamt 11.816 Wohnungen (berlinweit ebenfalls Platz fünf, Spitzenreiter ist Pankow). Hendrik Keßlau, amtierender Leiter des bezirklichen Stadtentwicklungsamts, rechnet damit, dass ein Großteil der bereits genehmigten, aber noch nicht gebauten Wohnungen auch realisiert werde. „Wir sind kein Spekulationsbezirk“, sagt er. Die Umsetzungsquote liege bei 85 bis 90 Prozent. Kein Wunder also, dass sich nach wie vor zahlreiche Baustellen vom Marzahner Norden bis zum Mahlsdorfer Süden über den ganzen Bezirk verteilen.
Ob Großsiedlung oder Ein- und Zweifamilienhausgebiet: Die bezirkliche Infrastrukturplanung stellt diese Entwicklung vor besondere Herausforderungen. Denn während die Wohnbauten wie Pilze aus dem Boden geschossen sind, gelang es nicht, Kita- und vor allem Schulplätze in annähernd gleichem Tempo hinterherzubauen – trotz rechtzeitiger Bedarfsanmeldung schon ab 2015, wie Stadträtin Witt betont. Die entstandenen Versorgungslücken für junge Familien, das Baugeschehen auf unversiegelten Freiflächen und die weitverbreitete Nimby-Haltung („Not in my backyard", also nicht vor meiner Tür), haben in großen Teilen der Marzahn-Hellersdorfer Anwohnerschaft zu Unmut und mindestens zu Wohnungsbaumüdigkeit geführt.
Wohnungsbau ja, aber mit Augenmaß
Im seit Ende 2021 neu zusammengesetzten Bezirksamt waren sich die Verantwortlichen daher auch von Anfang an einig: Es muss ein bisschen auf die Bremse getreten werden. Die einen nennen es Nachverdichtung mit Augenmaß, andere intelligenten Wohnungsbau. Hendrik Keßlau spricht von „verträglicher Potenzialausnutzung“. Stadträtin Witt macht die klare Linie deutlich: „Wir möchten, dass der Senat unsere Infrastrukturbedarfe berücksichtigt und wollen Wohnungsbau möglichst nur noch auf bereits versiegelten Flächen“, erklärt sie. Das heißt: keine grünen Brachen zupflastern, lieber in die Höhe gehen statt Flächen versiegeln, eher Parkplatzflächen und Supermarkte überbauen und parkende Autos unter die Erde bringen. Rückendeckung dafür, Grünflächen und begrünte Innenhöfe nicht zu opfern, gibt es vom Bezirksparlament durch etliche Anträge.
Diese grünen Flächen will der Bezirk nicht hergeben
Ganz aktuell in diesen Tagen ringt der Bezirk mit dem sich bald neu bildenden Senat um drei unversiegelte landeseigene Grundstücke: die Langhoffstraße 9, den Buckower Ring 54 und die Hoyerswerdaer Straße 15/17.
Sie alle werden von der Berliner Immobilien Management GmbH (BIM) als Baufläche geführt und stecken im Verfahren. Die Senatsbauverwaltung des Landes Berlin votiert ausnahmslos für Wohnungsbau. Das Marzahn-Hellersdorfer Bezirksamt hat völlig andere Vorstellungen: So soll die Langhoffstraße 9 – ein Hofbereich mit Waldcharakter, wie die Berliner Forsten festgestellt haben – umgehend ins Fachvermögen des Grünflächenamts übernommen werden.
In der Hoyerswerdaer Straße 15/17, einem eingezäunten ehemalige Kita-Gelände, ist seitens des Bezirks eine dringend benötigte Jugendfreizeiteinrichtung vorgesehen. Die Wohnungsbaugenossenschaft Wuhletal wollte hier ursprünglich Wohnungen errichten, nahm dann aber im letzten Sommer von dem Vorhaben Abstand. Jetzt soll die Gesobau Interesse bekundet haben. Dabei hat sich der Kiez entlang der Louis-Lewin-Straße südlich der U-Bahn seit 2020 schon stark gewandelt. Allein die STADT UND LAND baute im Umfeld fast 1.000 neue Wohnungen (Forster Karree, Albert-Kuntz-Straße, Hoyerswerdaer Straße, Louis Trio). Das reicht fürs Erste, finden Bewohner und Bezirk, zumal die für einen Spielplatz und Jugendfreizeit vorgesehenen Freiflächen an der Louis-Lewin-Straße bislang nicht wie geplant entwickelt werden konnten. Auf ihnen stehen zwei temporäre Schulcontainer.
Den Buckower Ring 54/56 in Biesdorf-Nord – ebenfalls ein ehemaliges Kita-Grundstück, für das es schon die unterschiedlichsten Nutzungsideen gab – hat der Bezirk als sogenanntes Ökokonto angemeldet. Die bei Bauprojekten gesetzlich vorgeschriebenen Ausgleichsmaßnahmen für Eingriffe in die Natur könnten auf dem wild bewachsenen Areal vorgenommen werden, erläutert Juliane Witt. In Berlin sind solche Flächen nämlich ein knappes Gut geworden. So konnten zum Beispiel für die im Zuge der Baustelleneinrichtung gefällten Bäume am Marzahner Knoten noch nicht ausreichend Flächen für Neupflanzungen ausgewiesen werden. Aber die Senatsbauverwaltung von Andreas Geisel (SPD) guckt sich lieber in Brandenburg nach Ersatzflächen um, statt auf den Vorschlag des Bezirks einzugehen und hält am eigenen Votum fest. Das wurde auf der jüngsten Sitzung der Senatskommission Wohnungsbau deutlich, zu der Marzahn-Hellersdorf erstmalig eine Vorladung erhalten hatte.
Alle drei genannten Grundstücke wurden dort behandelt. Die stellvertretende Bezirksbürgermeisterin Nadja Zivkovic (CDU) hatte den Bezirk in der Sitzung vertreten. Eine Einigung konnte sie mit dem Land nicht erzielen. Der Streit geht in die nächste Runde. In der Staatssekretärskonferenz am heutigen Montag, dem 17. April, wird Immobilienstadtrat Dr. Torsten Kühne (CDU) für den. Es soll eine Beschlussempfehlung für die nächste Sitzung der Senatskommission Wohnungsbau vorbereitet werden. „Ohne Not und vor allem mitten vor einer neuen Senatsbildung soll jetzt in größter Eile gegen die drei grünen Flächen im Roten Rathaus entschieden werden“, kritisiert Juliane Witt das Vorgehen.
Luzinstraße und Lily-Braun-Straße bleiben Sorgenkinder
Wenig aussichtsreich scheinen vor diesem Hintergrund die Bestrebungen des Bezirks, weitere Höfe wie den Innenhof in der Luzinstraße 11 ebenfalls zum Ökokonto zu machen und so vor Wohnungsbau zu bewahren. Doch wer nicht wagt, der nicht gewinnt. „Wir haben den Auftrag der BVV, alle Möglichkeiten auszuschöpfen und sind der erste Bezirk, der das aktiv auf diese Weise probiert“, erklärt Hendrik Keßlau.
Offen ist auch, ob es doch noch gelingt, die kommunale Wohnungsbaugesellschaft STADT UND LAND auf den letzten Metern von ihrem umstrittenen Bauprojekt im grünen Innenhof der Lily-Braun-Straße abzubringen. Ein entsprechender Beschluss des Bezirksamtes sei eindeutig, bemerkt Witt, und stütze ihre ablehnende Haltung, zumal es versiegelte Flächen am Rande gebe.
Bei allen Schwierigkeiten kann die Stadträtin allerdings auch Erfolge vermelden. So gut wie sicher als Kita-Flächen geclustert sind die Innenhöfe in der Eisenacher Straße 35, Mark-Twain-Straße 32/34, Stollberger Straße 98/100 und Kölpiner Straße 9/11 (Kita und Nachbarschaftsgarten).
Auch beim weitläufigen Innenhof in der Ludwig-Renn-Straße 28 konnte sich der Bezirk durchsetzen. Die Fläche wurde bereits aus dem Konzeptverfahren genommen. 80 neue Wohnungen sind damit kein Thema mehr. Seit Frühjahr 2022 ist das Grundstück als Potenzialfläche für Schulergänzungen gesichert.
B-Pläne statt ungesteuerte Nachverdichtung
Darüber hinaus hat das Bezirksamt zuletzt eine Reihe neuer „Bebauungsplanverfahren“ für noch zu entwickelnde Wohngebiete eingeleitet, um eine ungesteuerte Nachverdichtung von privaten Investoren
nach dem „Lückenschluss-Paragrafen“ 34 im Baugesetzbuch zu verhindern. „Wir möchten dort eine städtebaulich geordnete Situation generieren“, sagt Hendrik Keßlau und Bezirksstadträtin Juliane Witt
ergänzt: „Es ist das Verfahren, bei dem Anwohnerschaft und Träger öffentlicher Belange mitsprechen, und das auch die Möglichkeit bietet, Dichte und Verkehr zu regulieren.“ Darüber hinaus wird
weiter an städtebaulichen Verträgen gearbeitet. Damit können Bauherren verbindlich dazu verpflichtet werden, Geld für soziale Infrastruktur wie eine Kita, Schule oder Jugendfreizeiteinrichtungen
bereitzustellen, wenn sie mehr als das gesetzlich Mögliche umsetzen wollen.
Durch B-Pläne gelenkt wird unter anderem die bauliche Entwicklung auf dem „Parler Feld“ in Mahlsdorf, an der Chemnitzer Straße, Ecke B1/B5 und auf dem Cecilienplatz. Gleiches gilt für das Gelände der ehemaligen Gärtnerei Golm in Kaulsdorf, das der Bezirk gern für eine weitere Schule vorhalten möchte – und für den Helene-Weigel-Platz in Marzahn. Hier geht es zum einen um die geplante Wohnbebauung auf der östlichen Seite rund um das alte Kino Sojus und demnächst auch bei einem B-Plan West um das Areal rund um den Rewe-Parkplatz mit den umliegenden Gebäuden. Aufgrund veränderter Eigentümerverhältnisse in diesem Bereich und einer sehr speziellen Projektidee, die an das Stadtentwicklungsamt herangetragen wurde, sei man dort aktiv geworden, berichtet Hendrik Keßlau. Ohne B-Plan könnten sich neue Gebäude nach Paragraf 34 in ihren Ausmaßen an den drei vorhandenen Doppelhochhäusern orientieren.
Zahl der Baugenehmigungen eingebrochen
Auffällig ist, dass in Juliane Witts Verantwortung als Stadtentwicklungsstadträtin die Anzahl der erteilten Baugenehmigungen merklich zurückgegangen ist. Das hat aber auch mit den verschlechterten Rahmenbedingungen für Projektentwickler zu tun. Hohe Baukosten, steigende Zinsen, fehlende Fachkräfte und mitunter langwierige Genehmigungsprozesse bremsen den Wohnungsneubau in der ganzen Stadt aus. Vor allem private Bauherren legen Vorhaben erst einmal auf Eis, weil diese derzeit finanziell kaum zu stemmen sind. Für lediglich 70 Wohnungen hat Marzahn-Hellersdorf in den vergangenen drei Monaten grünes Licht gegeben. Setzt sich dieser Trend bis Jahresende fort, wäre das im Vergleich zu 2022 ein Rückgang der Baufreigaben um 75 Prozent. „Wichtig ist, dass Unternehmen, seien es Genossenschaften, Landesunternehmen und auch private Akteure, hier verantwortungsvoll und mit Blick auf die Nachbarschaft agieren“, so die Stadträtin.
Update vom 18.04.
Der Kampf um die drei Flächen (Langhoffstraße, Hoyerswerdaer Straße und Buckower Ring) dauert an. Auch bei der Staatssekretärskonferenz im Roten Rathaus konnte keine Einigung erzielt werden. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen beharrt weiterhin darauf, dass alle drei Grundstücke mit Wohnungen bebaut werden. Der Bezirk stemmt sich dagegen. In der Senatskommission Wohnungsbau wird nächste Woche weiterverhandelt.