Auf Spurensuche in Marzahn: Innovative Hingucker-Häuser

Auf Spurensuche in Marzahn

Innovative Hingucker-Häuser

Die Verbindung von baulich-ökologischen, städtebaulichen und sozialen Aspekten bei Sanierung und Neubau ist beispielhaft für vergleichbare Großsiedlungen.

Bereits Ende der 1990er Jahre und zur EXPO 2000 stand der Bezirk im Blickpunkt von Kreativen. Interessante Bauten, die aktuelle Trends und Entwicklungen aufgriffen, folgten. Marzahn veränderte sich weiter, wenngleich der vorbeieilende Autofahrer wenig davon zu entdecken glaubt. Sie finden sich oft hinter den abweisend überbreiten Straßen mit ihren ungeheuren Hausmassen.

 

Wohnen mit der Sonne

Wer weiß schon, dass in Marzahn das erste Niedrigenergiehaus im Osten Berlins entstand? Es unterbot die Vorgaben der Wärmeschutzverordnung von 1994 um 36 Prozent. Gebaut wurde es von der Wohnungsbaugesellschaft Marzahn (heute degewo AG). Das vom Berliner Architektenbüro Assmann, Salomon und Scheidt entworfene Gebäude in der Flämingstraße zeigte, dass auch unter Einhaltung des engen Kostenrahmens für den sozialen Wohnungsbau die energietechnischen Einsparanforderungen in eine architektonische und städtebauliche Form übertragen werden können.

Der etwa 20 Meter hohe und 85 Meter lange Baukörper wird optisch von der deutlich nach außen gewölbten und fast komplett verglasten Vorderfront geprägt. Sie ist exakt nach Süden ausgerichtet und sichert den Wohnungen eine maximale Sonneneinstrahlung. Die Anordnung der Räume erfolgte in drei Zonen. Vorrangig zu beheizende Bereiche wie Wohn- und Kinderzimmer liegen unmittelbar hinter den großen Südfenstern. Küchen und Bäder wurden im Kernbereich untergebracht. Flure, Gemeinschaftsräume und Treppenhäuser sind der kühleren, leicht nach innen gekrümmten nördlichen Rückfront des Hauses zugeordnet. Die Nordfassade hat wenige und schmale Fenster. Eine massive, 12 Zentimeter starke Wärmedämmung minimiert die Energieverluste durch Abstrahlung. Die Gesamtbaukosten beliefen sich auf rund 17 Millionen D-Mark. 

Niedrigenergiehaus in der Flämingstraße © Klaus Dombrowsky
Niedrigenergiehaus in der Flämingstraße © Klaus Dombrowsky

Erste modellhafte energetische Sanierung

Der in Paris lebende Architekt Jens Freiberg entwickelte und realisierte 1994/95 ein energetisches Sanierungskonzept für zehngeschossige Häuser mit 345 Wohnungen vom Bautyp QP 71 in der Wuhlestraße 9-25 (Visualisierung oben). In beispielhafter Weise gelang es dabei, Maßnahmen der Instandsetzung und Modernisierung mit dem ergänzenden Bau von 45 neuen Wohnungen zu verbinden. Im Rahmen des umfangreichen Vorhabens wurden unter anderem Fenster ausgetauscht, Loggien und Hauseingangsbereiche neugestaltet, Wasserzähler und Heizkostenverteiler in den Wohnungen eingebaut, Treppenhäuser renoviert, neue Fernwämeübergabestationen installiert, Stränge saniert und die Heizungsanlage umgerüstet. Außerdem kamen verschiedene Dämmsysteme zur Anwendung, darunter eine vorgehängte hinterlüftete Fassade aus Mineralwollplatten sowie verschiedene Wärmedämmverbundsysteme. Die Gesamtmaßnahme erbrachte eine Energieeinsparung von rund 50 Prozent. Die Konstruktion und Ausstattung der 47 bis 102 Quadratmeter großen Wohnungen folgte ebenfalls dem energieoptimierten Ansatz. Insgesamt flossen 25,7 Millionen DM in das Projekt.

Randbebauung Wuhletalstraße
Randbebauung Wuhletalstraße

Öko-Doppelhochhaus

Die drei Doppel-Wohnhochhäuser am Helene-Weigel-Platz mit ihren 22 bzw. 25 Geschossen sind von besonderer städtebaulicher Bedeutung für Marzahn. ihre Sanierung zwischen 1994 und 1999 sollte daher eine Signalfunktion hinsichtlich des Einsatzes von innovativen Technologien haben. Letztlich trug das Vorhaben zur sozialen Stabilisierung und Aufwertung des Quartiers bei. Ab Ende November 1998 wurde an der gesamten 70 Meter hohen Südfassade des Hochhauses Nummer 7 eine 426 Quadratmeter große Photovoltaik-Anlage angebracht. Die insgesamt 480 Module produzieren jährlich rund 25.000 kWh Solarstrom, mit dem der Energiebedarf für Aufzüge, Lüftung, Beleuchtung etc. gedeckt wird. Die zum damaligen Zeitpunkt größte zusammenhängende Fassaden-Solaranlage Europas leistet seitdem einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz. Nach nunmehr 25 Jahren soll sich das Bezirksamt gemäß Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung gegenüber der degewo dafür einsetzen, dass die Wohnhochhäuser mit weiteren Solarzellen ausgestattet und die vorhanden PV-Anlagen durch modernere und leistungsstärkere ersetzt werden.  


Christoph Kohl

Architekt und Stadtplaner

 

Der 1961 in Südtirol (Italien) geborene Christoph Kohl studierte Architektur in Innsbruck, Wien und Venedig. Nachdem er ab 1993 in Berlin gemeinsam mit Rob Krier ein Architekturbüro betrieben hatte, war er ab Juni 2010 alleiniger Gesellschafter der Christoph Kohl Gesellschaft von Architekten mbH. Seitdem ist sein Büro (heute CKSA | Christoph Kohl Stadtplaner Architekten GmbH) auch im Bereich Stadtplanung und Bauleitplanung tätig.

Kohl knüpft in seiner städtebaulichen Praxis an traditionelle Raumkompositionen an, wobei er sich insbesondere dem Stadtquartier widmet. Wegen seiner großflächig durchkomponierten Siedlungsentwürfe gilt er auch als ein Vertreter des New Urbanism. Er strebt eine Rückdimensionierung von Architektur an und wendet sich gegen kontextlose ahistorische und antiurbane städtebauliche Entwicklungen. Seit 2018 lehrt er Städtebau/Urbanism an der Hochschule Anhalt in Dessau. Das Entwerfen und Realisieren von Städtebau in Europa interpretiert er als „Bauen im Bestand“, als Weiterbauen, mitunter auch Wiedererbauen. Ein schönes Credo auch für Marzahn.


Villa Kunterbunt

Die international agierende französische Künstlergruppe Cité­Création verwandelte 2012 einen gewöhnlichen Plattenbau an der Poelchaustraße/Allee der Kosmonauten 145 in den „Flower Tower“ (Foto oben). Marzahn schmückt sich seitdem mit dem Rekord des größten Fassadenkunstwerks Europas. Für den farblichen Blickfang an dem 54 Meter hohen Wohnhaus wirbt die Wohnungsgenossenschaft Friedenshort eG mit dem Slogan „Da biste platt!“ Bei den Motiven (Bambus, Lotus, Kakteen) für ihre kunterbunte „Villa“ ließen sich die kreativen Köpfe von den naheliegenden Gärten der Welt inspirieren. Aber nicht nur künstlerisch kann das Gebäude punkten. Dem Anstrich gingen Instandsetzungsarbeiten der Fassade und der Balkone voraus. Der Jahresheizbedarf konnte von 102 auf 53 kWh gesenkt und die jährlichen CO²-Emissionen um 40,3 Tonnen reduziert werden.  

 

Licht, Luft und Sonne

Von März 2017 bis Oktober 2019 entstand direkt am Wuhlefließ in Biesdorf an der Grenze zu Kaulsdorf auf einem zwei Hektar großen Grundstück ein städtebaulich und architektonisch außergewöhnlich schönes Wohnquartier mit lauschigen Höfen und grünen Gärten. Die 80 Einfamilienhäuser und drei Mehrfamilienhäuser mit 36 Eigentumswohnungen entwarf der international bekannte Architekt Christoph Kohl (siehe Porträt) im Stil einer holländischen Gartenstadt. Die KW Development investierte in die kleine Siedlung „Grüne Aue“ insgesamt um die 41 Millionen Euro.

Grüne Aue © Andreas Schwarz
Grüne Aue © Andreas Schwarz

 

Der Bauhistoriker Dr. Oleg Peters schaut in den „Rückspiegel“ und gibt in dieser Serie regelmäßig Einblicke in wenig Bekanntes auch aus den Anfangsjahren des Bezirks. Er stellt damalige Akteur:innen im Porträt vor und die historischen Hintergründe dar.