Denkmal der Berliner Industriegeschichte

Zweite Wiedergeburt: Vor 30 Jahren eröffnet die Knorr-Bremse AG ihren Marzahner Standort

Ein Denkmal der Berliner Industriegeschichte

Die Attika des Hauptgebäudes trägt bereits den dritten Firmennamen in Granitbuchstaben.
Die Attika des Hauptgebäudes trägt bereits den dritten Firmennamen in Granitbuchstaben.

Die Fabrikanlage am heutigen S-Bahnhof Marzahn kann auf eine bewegte Firmen- und Produktionsgeschichte in drei Gesellschaftssystemen zurückblicken. Drei weltmarktführende Industrieunternehmen (Hasse & Wrede, BWF, Knorr-Bremse) mit sehr unterschiedlichem Produktionsprofil prägten und prägen diesen arbeitsplatzintensiven und seit 1995 denkmalgeschützten Industriestandort. Der Rüstungsproduktion bis 1945 folgte nach Kriegsende die Demontage und ab 1963 die Herstellung von Werkzeugmaschinen. Seit 1993 werden hier Bremsscheiben und seit 2004 zusätzlich Drehschwingungsdämpfer produziert. 

Produktionsstätte für Rüstungsgüter im 2. Weltkrieg

In den Kriegsjahren zwischen 1939 und 1941/42 errichtet, hat die von Alfred Pückel (siehe Porträt) entworfene Fabrikanlage einen außerordentlichen historischen Stellenwert als Zeugnis der „Maschinerie des 2. Weltkrieges“. Die Anfänge stehen im Zusammenhang mit der Entwicklung des 1897 gegründeten traditionsreichen Berliner Unternehmens Carl Hasse & Wrede GmbH, seit 1921 Tochtergesellschaft der Knorr-Bremse AG. Die Firma zählte zu den wichtigen Zulieferern der Rüstungsindustrie. Im 1941 produktionsbereiten Fabrikneubau arbeiteten neben den rund 2.800 Angestellten zeitweise ca. 1.200 ausländische Zwangsarbeiter, für die 1942/43 zwei Barackenlager auf dem Werksgelände errichtet wurden. Am 1. Mai 1944 erhielt der sogenannte Leitbetrieb der deutschen Wehrwirtschaft den Titel „Nationalsozialistischer Musterbetrieb“. Nach dem Krieg wurde das Marzahner Werk auf Befehl der Sowjetischen Militäradministration demontiert. 

 

Hauptgebäude 1942
Hauptgebäude 1942

 

 

Neu- und Wiederaufbau der Werkzeugmaschinenfabrik

Ein neuer Abschnitt begann 1958 mit dem Neu- und Wiederaufbau der gesamten ehemaligen Werkanlage für den VEB Berliner Werkzeugmaschinenfabrik (BWF). Ende April 1963 wanderten Maschinen aus dem Werk in der Köpenicker Straße und der Krautstraße in die neue Halle in Marzahn, in der bis 1991 produziert wurde. Unter dem langjährigen Betriebsdirektor Fred Dellheim (1924-2003) entwickelte sich die BWF mit bis zu 2.600 Mitarbeitern zu einem führenden Betrieb im Werkzeugmaschinenbau. Zum Produktionsprofil gehörten hauptsächlich Innenrundschleifmaschinen für die Wälzlagerindustrie und Universal-Innenrundschleifmaschinen, aber auch Einspindeldrehautomaten und ab den 1980er Jahren Industrieroboter. Nach der Wende kam die östliche BWF in westliche Hände. Sie wurde verkleinert, verlagert und 2004 geschlossen. Was bleibt, ist die ortsgeschichtliche Bedeutung, denn neben dem wirtschaftlichen Stellenwert hatte der Betrieb auch maßgeblichen Anteil an der Entwicklung der Großsiedlung Marzahn. Deren erste Wohnblöcke wurden für die am 2. April 1976 aus dem Werk heraus gegründeten „Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft BWF Marzahn“ (heute: „Erste Marzahner Wohnungsgenossenschaft eG“) errichtet.

 

Umzug ins neue BWF-Werk, April 1963
Umzug ins neue BWF-Werk, April 1963

Alfred Pückel, Architekt

Der ehemalige Präsident der Reichsbahnbaudirektion Berlin entwarf die Fabrikanlage von Hasse & Wrede am Bahnhof Marzahn. Selbst Kennern der Berliner Baugeschichte ist Pückel kein Begriff. So verwundert es nicht, dass in Veröffentlichungen fälschlicherweise immer wieder Generalbauinspektor (GBI) Albert Speer als Architekt genannt wird.

Alfred Pückel wurde 1881 in Hessen geboren. Zunächst in Gießen als Regierungsbauführer tätig, wurde er 1907 Regierungsbaumeister für das Eisenbahnbaufach. Es folgten berufliche Stationen in Hannover, Mainz und Wuppertal. Von 1933 bis 1937 koordinierte Pückel den Bau der Autobahnen im Rhein-Main-Gebiet. Ab Juli 1937 leitete er als Präsident der Reichsbahnbaudirektion Berlin den Entwurf und die Bauten zur Umgestaltung der Berliner Bahnanlagen im Zuge der Germania-Planungen von Albert Speer. Außerdem unterstand Pückel eine der zehn Baugruppen der Abteilung Rüstungsausbau beim GBI für die Reichshauptstadt. Insgesamt koordinierte dieser Bereich nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges über 310 kriegswichtige Industriebauten von der Planung, Bauausführung, Finanzierung bis zur Arbeitskräfte- und Materialbereitstellung, darunter den Werkneubau von Hasse & Wrede in Marzahn.


Hochentwickelte Bremssysteme für den Nahverkehr weltweit

Die Knorr-Bremse AG nahm 1993 auf dem von der Treuhandanstalt 1991 erworbenen BWF-Gelände in einer Werkhallenhälfte die Produktion auf. Nach Rekonstruktionsarbeiten entstand zwischen 1999 und 2004 der Gewerbepark Georg Knorr. Insgesamt investierte der Konzern mehr als 90 Millionen Euro. Weitere 120 Millionen Euro flossen in neue und moderne Produktionstechnik für drei Berliner Tochterunternehmen. 

Das Traditionsunternehmen stattet nach wie vor Fahrzeuge im Nahverkehr wie beispielsweise U-Bahnen und Straßenbahnen, aber auch Güterzüge, Lokomotiven sowie Personenverkehrs- und Hochgeschwindigkeitszüge mit hoch entwickelten Produkten aus. Mehr als eine Milliarde Menschen weltweit vertrauen Tag für Tag den Knorr-Bremse-Systemen aus Marzahn. 

 

Zurück zu den Wurzeln

In die zweite Hallenhälfte zog am 1. Januar 2004 der auf die Herstellung von Drehschwingungsdämpfern spezialisierte Fahrzeugzulieferer Hasse & Wrede ein und kehrte somit in sein ehemaliges Hauptwerk zurück. Das zum Knorr-Bremse-Konzern gehörende Unternehmen entwickelt, produziert und vertreibt als Weltmarktführer Visco-Dämpfer und hydraulische Dämpfer für PKW-, Nutzfahrzeug-, Schiffs- und stationäre Motoren. 

 

Innovation und Stehvermögen

Der wirtschaftliche Erfolg der Knorr-Bremse AG am Standort Marzahn, für den die bisherigen drei Standortleiter Eberhard Jahn, Matthias Krug und aktuell André Janis verantwortlich zeichnen, hält bis heute an. Zwischen 2019 und 2022 wurde das Werk ausgebaut und die Produktionskapazität um 54 Prozent erhöht.  Der Gewerbepark ist seit 2021 auch Teil des größten Industriegebiets der Hauptstadt, „CleanTech Marzahn“ – einem der elf sogenannten Berliner Zukunftsorte. 

 

Sternstunde der Denkmalpflege

Der historische Fabrik-Standort an der Landsberger Allee nimmt nicht nur eine herausgehobene Stellung in der Berliner Industriegeschichte ein. Man wird auch lange nach Beispielen suchen müssen, die eine bereits aufgegebene oder teil­eingestellte Denkmalnutzung für produzierendes Gewerbe in leerstehende oder von Leerstand bedrohte Industriehallen wieder zurückgebracht haben. Zu den Ausnahmen zählt dieses ermutigende Beispiel im Bezirk Marzahn-Hellersdorf.

 

Der Bauhistoriker Dr. Oleg Peters schaut in den „Rückspiegel“ und gibt in dieser Serie regelmäßig Einblicke in wenig Bekanntes aus den Anfangsjahren des Bezirks. Er stellt damalige Akteur:innen im Porträt vor und die historischen Hintergründe dar.