Aus- und Rückblick mit dem Bezirksbürgermeister
Was war und was wird, Herr Lemm?
Die fünf Mitglieder der „Bezirksregierung“ blicken auf 2022 zurück und verraten, was sie in diesem Jahr so alles angehen wollen. Hier das Interview mit Gordon Lemm (SPD), Bezirksbürgermeister und Bezirksstadtrat für Bürgerdienste, Personal, Wirtschaftsförderung, Finanzen, Sozialraumorientierte Planungskoordination und Zentrale Vergabestelle.
■ Herr Lemm, welche Schulnote geben Sie dem Bezirksamt für das erste Jahr?
Weil ein Jahr vergleichsweise wenig Zeit ist, um Dinge grundlegend anzugehen und zu ändern, würde ich uns eine 3+ geben. Wir sind wirklich bemüht und haben einige Projekte auch ein ganzes Stück vorangebracht, aber es läuft längst noch nicht alles so, wie wir uns das vorstellen.
■ Was funktioniert schon ganz gut?
Die Zusammenarbeit im Bezirksamt über Parteigrenzen hinweg empfinde ich als sehr kollegial, offen, sachlich und problemorientiert. In den wöchentlichen Sitzungen können auch Themen angesprochen werden, die nicht klappen, ohne dass alles gleich nach außen dringt und am nächsten Tag in der Presse steht. Wir alle wollen das Beste für Marzahn-Hellersdorf rausholen. Das eint uns.
■ Wo sehen Sie noch viel Luft nach oben?
Die Kommunikation mit den Bürger:innen ist nach wie vor stark ausbaufähig. Wir müssen die Menschen besser informieren. Das ist kein Politiker:innen-Ding. Es geht nicht darum, sich gut darzustellen oder den eigenen Namen möglichst oft in den Medien zu lesen. Wir sind von öffentlichen Geldern finanziert und sollten als Verwaltung transparent machen, mit welchen Themen wir uns beschäftigen, was im Bezirk passiert, welche Serviceleistungen wir anbieten und welche Beteiligungsmöglichkeiten es für Bürger:innen gibt.
■ Warum hat sich da bisher so wenig getan?
Das hängt sicher auch mit der personellen Situation in der Pressestelle zusammen. Wir sind da jetzt dran. Manchmal möchte man als Verantwortlicher schnell Sachen umsetzen, wird dann aber doch recht fix von der Realität ausgebremst.
■ Was könnten geeignete Formate sein, um Bürger:innen zu erreichen?
Darüber haben wir beim letzten Stadtteildialog in Hellersdorf angeregt diskutiert. Besonders spannend fand ich die Idee der modernen öffentlichen Litfaßsäulen, über die das Bezirksamt Informationen verbreitet und Ankündigungen macht. Immer mehr Menschen fühlen sich offenbar von der digitalen Nachrichtenflut erschlagen. Vielleicht braucht es für verlässliche Informationen von offizieller Stelle da auch wieder solche tradierten Formate.
Darüber hinaus habe ich den Hinweis aufgenommen, an hochfrequentierten Orten wie Bahnhöfen unsere Einwohner:innenversammlungen und andere Veranstaltungen zu bewerben. Einige ältere Teilnehmende äußerten auch die Kritik, dass sie sich nicht telefonisch für den Stadtteildialog anmelden konnten, sondern nur per E-Mail.
■ Die Leute wollen nicht nur informiert, sondern auch gehört werden. Sie hatten schon als Stadtrat auf das wohnungsbaukritische Klima in der Bevölkerung hingewiesen. Dringt davon irgendwas zum Senat vor? Gefühlt wird fröhlich weitergebaut.
Ich denke, dass wir unseren Standpunkt gegenüber dem Land Berlin deutlich machen konnten. Der Senat ist da in einer anderen Position als wir. Der sieht den leer gefegten Markt und dass wir in der Stadt insgesamt mehr bezahlbaren Wohnraum brauchen. Also wird an die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften die Devise ausgegeben, beim Wohnungsbau ranzuklotzen und dafür möglichst eigene Flächen zu nutzen, wie es sie in Marzahn-Hellersdorf noch gibt. Der Bezirk muss da überhaupt nicht gefragt werden und kann einen ordnungsgemäßen Bauantrag auch nicht verwehren. Genauso wenig schaffen wir es realistisch, alle Innenhöfe, die größtenteils noch Bauland sind, mit einem Bebauungsplan zu sichern. Also bleibt uns nur, deutlich auf die Probleme hinzuweisen und zumindest beim Ausbau der sozialen Infrastruktur Unterstützung einzufordern.
■ Und gibt es da bereits ein Entgegenkommen?
Beim Schulbau inzwischen schon. Nicht ohne Grund bekommen wir in den nächsten Jahren 12 neue Schulen und 13 Modulare Ergänzungsbauten. Auch hinsichtlich der ungleichen Verteilung von Geflüchteten, so mein Eindruck, hat die von uns angestoßene öffentliche Debatte, Wirkung erzielt. Die Westbezirke werden nun stärker in die Verantwortung genommen. Wenn wir ähnliches bei der Ärzteversorgung und anderen Themen erreichen können, wäre sicher auch die Wahrnehmung der Bürger:innen eine andere. Aktuell dominiert der Eindruck, dass hier extrem viele Wohnungen entstehen, Grünflächen und Parkplätze verschwinden und Schulen überlaufen. Grundsätzlich ist es toll, dass Menschen, darunter viele Familien, wieder nach Marzahn-Hellersdorf wollen, nachdem wir jahrelang eher von Wegzug und Leerstand betroffen waren. Aber ein etwas langsameres Wachstum würde uns sicherlich nicht schaden.
■ Der sich dynamisch entwickelnde Bezirk soll auch ein viertes Bürgeramt bekommen. Wie stehen die Chancen?
Da bin ich weiterhin zuversichtlich. Bezirk und BVV hatten sich dafür ausgesprochen. Auch die Senatsinnenverwaltung erkennt den zusätzlichen Bedarf angesichts unseres Bevölkerungsanstiegs an. Intern laufen viele Gespräche und Abstimmungen. In den potenziellen Bezirken werden bereits konkret Standorte unter die Lupe genommen.
■ Wie ist der aktuelle Stand bei Ihrem Herzensprojekt, dem Kombibad?
Da geht es ebenfalls voran. Das Kombibad ist der einzige Neubau in der Prioritätenliste der Berliner Bäder-Betriebe. Es wurde viel Geld in die Hand genommen, um ein umfangreiches und sehr konkretes Bedarfsprogramm zu erstellen. Das liegt jetzt vor und bildet sowohl für das notwendige Bebauungsplanverfahren am Standort Jelena-Šantić-Friedenspark als auch für den künftigen Planer:innenauftrag die Grundlage. Erfreulich finde ich, dass die Macher:innen der Studie ein Familienbad mit Erlebnischarakter vorschlagen. Das wäre günstiger als ein Sportbad und stünde unserem Bezirk meines Erachtens gut zu Gesicht.
■ So ein Frei- und Hallenbad in unmittelbarer Nähe zu Seilbahn, Kienbergpark und den Gärten der Welt wäre sicher auch ein touristischer Magnet.
Ich finde ohnehin, dass im Thema Tourismus für den Bezirk noch viel Potenzial schlummert. Einige Ideen entwickeln wir gemeinsam mit unseren Nachbargemeinden im Rahmen des Regionalmanagements für die „Metropolregion Ost“. Mit der bezirklichen Wirtschaftsförderung und Visit Berlin möchte ich Marzahn-Hellersdorf gern als Familien- und Radtourismusziel attraktiver machen. Mir schweben da Touren entlang bestimmter Stationen vor, die zum Beispiel in den Gärten der Welt starten, bis nach Ahrensfelde oder Hoppegarten führen, entsprechend ausgewiesen sind und auch beworben werden.
■ Sind Sie noch daran interessiert, die Bundesgartenschau nach Marzahn-Hellersdorf zu holen?
Ich war dazu mit dem Chef der Deutschen Bundesgartenschau-Gesellschaft im Gespräch und hatte einen informellen Austausch mit der Senatsumweltverwaltung. Wir reden jetzt von 2026, weil es nach dem Rückzug von Rostock für einen neuen Ausrichter kaum möglich ist, die Ausstellung quasi bis übermorgen vorzubereiten. Klar ist: Es geht nur, wenn sich das Land Berlin dafür erwärmen lässt. Denkbar wäre ein dezentrales Konzept, da das wirtschaftlich besser darstellbar ist und die Stadt schließlich eine ganze Reihe spannender Gartenstandorte vorzuweisen hat – Marzahn-Hellersdorf inbegriffen. Vor den Wahlen wird es aber wohl keine Verhandlungen dazu geben.
■ Was haben Sie sich darüber hinaus für 2023 vorgenommen?
Ein Dauerthema bleibt das Personal. Wir sind in der glücklichen Situation, nicht wie andere Bezirksämter vor uns Abbau betreiben zu müssen, sondern einstellen zu dürfen. Das ist zwingend notwendig, um leistungsfähiger zu werden und teilweise auch schon geschehen: im Sozialbereich zum Beispiel, im Schul- und Sportamt, im Integrationsbereich und im Straßen- und Grünflächenamt. Mich freut, dass wir jetzt eine Queer-Beauftragte haben, der Klimaschutzbeauftragte kürzlich seine Arbeit aufgenommen hat und wir unserer Gleichstellungsbeauftragten zwei zusätzliche Kräfte an die Seite stellen können. Es wird auch noch eine oder ein Behindertenbeauftragte:r kommen sowie eine Ansprechperson für Antidiskriminierung und Mobbing. Trotzdem sind weiterhin 260 von gut 1.900 Stellen unbesetzt. Die Fachkräftegewinnung ist ein dickes Brett, das wir zu bohren haben. Wir müssen unbedingt die Einstellungszeiten verkürzen und als Arbeitgeber noch attraktiver werden mit einer Reihe von Benefits wie unserer Dienstvereinbarung für Bürohunde. In dem Zusammenhang möchte ich u. a. die Umsetzbarkeit einer 4-Tage-Woche prüfen.
Steht sonst noch was an?
Die Haushaltsberatungen im April: Es ist wieder zu befürchten, dass wir bei der Basiskorrektur die Mehrkosten für die Hilfen zur Erziehung (HzE) nicht in voller Höhe von der Senatsverwaltung für Finanzen erstattet bekommen. In dem Fall stünde hinter dem Haushaltsergebnis ein dickes Minus von einigen Millionen Euro. Dieses Geld müssten wir 2024 an anderer Stelle einsparen. Wie wir mit dieser Hypothek umgehen, werden die Haushaltsberatungen zeigen. Letztes Jahr ist es uns gelungen, ein Defizit von 16 Millionen Euro aufzulösen, ohne im sozialen Bereich oder bei der Unterstützung von Familien Leistungen einzuschränken. Das muss wieder das Ziel sein.
■ Welche guten Vorsätze haben Sie fürs neue Jahr gefasst?
Ich hoffe, dass ich es trotz vollem Terminkalender regelmäßig schaffe, mit meiner Freizeittruppe Fußball zu spielen. Vor allem aber möchte ich mehr Zeit mit den Menschen verbringen, die ich liebe und die mir wichtig sind. Gerade wenn die Personen schon älter sind, bereut man es sonst irgendwann mal, sich nicht häufiger Zeit für sie genommen zu haben.