Aus- und Rückblick mit der Bezirksstadträtin
Was war und was wird, Frau Bienge?
Die fünf Mitglieder der „Bezirksregierung“ blicken auf 2022 zurück und verraten, was sie in diesem Jahr so alles angehen wollen. Hier das Interview mit Nicole Bienge (SPD), Bezirksstadträtin für Jugend und Gesundheit.
■ Das Jahr 2022 ….
… war ein forderndes. Die Situation rund um die sich stetig ändernden Corona-Regelungen im ersten Halbjahr war für alle Beteiligten belastend. Dazu ein Angriffskrieg mitten in Europa. Nicht nur, dass es für die hier spürbaren Auswirkungen Lösungen zu finden gilt – Die Tatsache des Krieges an sich ist für mich noch immer schwer fassbar. Was mich sehr berührt und beeindruckt hat, war die große Anteilnahme und Hilfsbereitschaft auch bei uns im Bezirk.
2022 war für mich aber auch ein Jahr des Kennenlernens: von Bürger:innen, die mit ihren Anliegen zu mir kamen und sich häufig dabei um andere sorgten; von Fachkräften der unterschiedlichen Träger in Jugend- und Familienhilfe, Kita, Gesundheitswesen und psychosozialer Versorgung, die alle weiterhin sehr flexibel und innovativ mit der Pandemie und ihren Nachwirkungen umgehen müssen, und von den vielen Mitarbeiter:innen in unseren Ämtern, die mit großer Überzeugung, Verantwortungsbereitschaft und Leidenschaft für den Bezirk arbeiten.
■ Was war bislang Ihr schönster Termin als Stadträtin?
Ach, da gab es wirklich einige! Besonders gefreut hat es mich, bei der Gründungsveranstaltung des Kinder- und Jugendparlamentes dabei gewesen zu sein. Ich denke auch sehr gern an das Jubiläum im Zirkus Cabuwazi zurück. Zu sehen, wie Kinder und Jugendliche nach den langen Pandemiemonaten nun endlich wieder vor großem Publikum zeigen konnten, was sie für ein bezauberndes Programm eingeübt haben, hat mich sehr berührt.
■ Haben Sie Marzahn-Hellersdorf durch den Job als Bezirksstadträtin eigentlich noch mal neu kennengelernt?
Neu würde ich nicht sagen. Intensiver trifft es vielleicht eher. Mein ohnehin wertschätzender Blick auf den Bezirk bzw. auf die Menschen, die ihn ausmachen, die hier leben, wohnen, arbeiten, zur Schule gehen und hier studieren, hat sich verfestigt. Hier ist einfach nichts gekünstelt oder aufgesetzt. Man ist sehr ehrlich miteinander.
■ Wo hätten Sie gern mehr erreicht?
Die mangelnde ärztliche Versorgung ist ein drängendes Thema. Dazu müssen viele Akteur:innen, Interessenlagen und Ebenen angehört und miteinander verbunden werden, damit sich strukturell etwas ändert. Wir haben ja als Bezirk selbst das größte Interesse an einer auskömmlichen Versorgung, jedoch die wenigsten Hebel selbst in der Hand. Mit der Kassenärztlichen Vereinigung machen wir uns nun gemeinsamen auf den Weg. Angedacht sind beispielsweise gemeinsame Informationsveranstaltungen.
■ Welches Projekt möchten Sie 2023 unbedingt umsetzen?
Ich möchte, dass das Familienservicebüro in den neuen Räumen in der Riesaer Straße starten kann. Außerdem wäre es schön, wenn wir mit der Erarbeitung eines bezirklichen Inklusionskonzepts beginnen könnten. Da würde ich mich gern einbringen. Hierfür hat das Bezirksamt ja erfreulicherweise den Auftrag aus der BVV erhalten. Wenn nun hoffentlich auch bald ein:e engagierte:r Beauftragte:r für Menschen mit Behinderung seine oder ihre Arbeit aufnimmt, können wir strukturiert am Abbau von physischen und gesellschaftlichen Barrieren im Bezirk arbeiten.
■ Berlin hebt zum 2. Februar die Maskenpflicht im ÖPNV auf. Werden Sie weiterhin eine Maske in Bus und Bahn tragen?
Ich persönlich habe mich sehr an das Tragen der Maske gewöhnt. Ich denke, ich werde auch weit nach der Pandemie zum Schutz anderer darauf zurückgreifen. Beispielsweise finde ich es äußerst rücksichtsvoll, wenn man sich bei einer leichten Erkältung einfach mal in Bus und Bahn die Maske aufsetzt. In vielen anderen Ländern ist dies ja bereits seit Langem üblich.
■ Die enormen Ausgaben bei den Hilfen zur Erziehung haben Ihre Vorgänger:innen im Jugendamt jedes Jahr aufs Neue beschäftigt, weil der Senat nicht alle Kosten erstattet. Sehen Sie irgendwelche Stellschrauben, die Kosten zu reduzieren?
Um es ganz klar zu sagen: Nein und das wäre meines Erachtens auch nicht der wichtige Ansatz. Würden Sie mich fragen, an welchen Stellschrauben man drehen müsste, um zu verhindern, dass Hilfen zur Erziehung überhaupt erst nötig werden, dann wäre das eine gänzlich andere Debatte. Wir müssten dazu in die Lage versetzt werden, präventive Angebote stärken zu können. Für eine mittelfristige Phase hieße das, zu den noch hohen „HzE-Kosten“ – so die gängige Abkürzung – müssten wir zusätzlich Geld für zum Beispiel elternaktivierende Projekte und flächendeckende Kitasozialarbeit in die Hand bekommen. Ich denke das ist sachlich einleuchtend, finanzpolitisch aber ein dickes Brett.
■ Also bitte nicht bei den Erziehungshilfen sparen.
Genau. Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf HzE. Das ergibt sich aus dem SGB VIII. Es ist für den Bezirk also nach Bundesrecht eine Pflichtaufgabe, diese Leistungen zu erbringen. Hier vordergründig nur darauf zu schauen, Kosten einzusparen, kann gesellschaftlich im Grunde gar nicht gewollt sein. Denn es geht um die Einhaltung von Kinderrechten, das Recht von Kindern auf Gesundheit, Privatsphäre, gewaltfreie Erziehung, ein sicheres Zuhause und so weiter.
Und ja, es ist vor allem deswegen immer wieder ein Thema, weil dem Bezirk die Kosten nicht voll erstattet werden. Bei anderen Pflichtaufgaben ist dies nicht der Fall, weswegen hier nie die Frage nach Kostenreduktion in den Fokus gelangt. Dass da mit zweierlei Maß gemessen wird, kann ich nicht verstehen. Daher setze ich mich zusammen mit Gordon Lemm auch für eine Korrektur dieses Umstandes ein.
■ Sie stecken gerade mitten im Wahlkampf. Sicherlich hätten Sie darauf gut und gern verzichten können.
Ach, ob Sommerwahlkampf, Winterwahlkampf oder gar kein Wahlkampf: Ich freue mich immer über das direkte Gespräch und die Chance, voneinander zu lernen, bin daher auch stets ansprechbar. Gemeinsam mit engagierten Mitstreiter:innen Ungerechtigkeiten aus der Welt zu schaffen, ist ebenfalls unabhängig von Wahlkampfzeiten für mich täglicher Antrieb meines politischen Engagements.