„Hier stehen viel zu wenige Männer“

Kerzen, Flaggen und Kundgebung am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen

"Hier stehen viel zu wenige Männer"

Auch in diesem Jahr flackerten auf dem Alice-Salomon-Platz in Helle Mitte am 25. November wieder 139 Lichter. Für jede Frau, die im Jahr 2020 von ihrem Partner oder Ex umgebracht wurde, brannte symbolisch eine Kerze. Mit einer Kundgebung sowie dem Hissen zweier Anti-Gewalt-Flaggen setzten zahlreiche Akteur:innen aus dem Bezirk Freitagmittag vor dem Rathaus ein Zeichen gegen körperliche, sexualisierte und psychische Gewalt gegen Mädchen und Frauen. Auf die Problematik aufmerksam zu machen sei „so notwendig wie eh und je“ und zwar nicht nur am 25.11., sondern an jedem Tag im Jahr, sagte Bezirksbürgermeister Gordon Lemm (SPD).

Zu Beginn des Aktionstages präsentierte die bezirkliche Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte Maja Loeffler die gerade erst veröffentlichten Zahlen des Bundeskriminalamts zur Partnerschaftsgewalt. Insgesamt erfasste das BKA 143.016 Fälle in 2021. Das entspricht einem leichten Rückgang von 2,5 Prozent im Vergleich zum Rekord- und ersten Corona-Jahr 2020. Die Betroffenen sind nach wie vor ganz überwiegend Frauen (80,3 %). Von den 301 registrierten Mordversuchen endeten 113 tödlich. Wer dabei nicht von „Femiziden“, sondern von „Beziehungsdramen“ oder Eifersuchtstaten“ spreche, bagatellisiere die Verbrechen, sagen Frauenrechtler:innen.

 

„Es sind nach wie vor extrem hohe Zahlen und nur das Hellfeld“, auch weil viele Gewalttaten nicht zur Anzeige gebracht werden, bemerkte Maja Loeffler. Gerade bei sexualisierter Gewalt sei von einer großen Dunkelziffer auszugehen. Die Unterstützung, die es bislang für Betroffene gebe, müsse unbedingt sichtbarer und ausgebaut werden, forderte Loeffler. Neben Beratungsmöglichkeiten fehle es insbesondere an Angeboten für Täter und Kinder. Für letztere bleibe das Miterleben von häuslicher Gewalt nie ohne psychische Auswirkungen.

 

Rekordbeteiligung am Aktionstag

Bezirksbürgermeister Gordon Lemm machte in seiner Rede auf Gewalt gegen Frauen als globales Problem aufmerksam: „1,5 Milliarden Mädchen und Frauen leben in Ländern, in denen physische und/oder sexualisierte Gewalt in den Ehen nicht sanktioniert werden“, sagte er, betonte aber auch, dass es sich keineswegs nur um ein Phänomen anderer Länder wie Afghanistan, Nordvietnam oder dem Iran handele, sondern auch mitten in unserer Gesellschaft traurige Realität sei. „Ein Drittel aller Frauen und Mädchen werden in ihrem Leben physische oder sexualisierte Gewalt erfahren – bei uns in Deutschland, bei uns in Berlin und auch bei uns in Marzahn-Hellersdorf.“ Diese Zahlen unterstrichen die Bedeutung des Aktionstages. Entsprechend dankbar zeigte sich der Bezirksbürgermeister, dass  sich in diesem Jahr so viele Menschen wie noch nie auf dem Alice-Salomon-Platz eingefunden hatten, um gemeinsam ein Zeichen gegen Gewalt an Frau zu setzen.

 

Unter den Teilnehmenden waren Mitglieder des 1998 gegründeten „Arbeitskreises Marzahn-Hellersdorf gegen häusliche Gewalt“, Bürger:innen, die Bezirksverordneten Anja Molnar (FDP), Chantal Münster (Grüne), Bjoern Tielebein (Linke) und Luise Lehmann (SPD), die Bezirksstadträtinnen Juliane Witt (Linke) und Nicole Bienge (SPD), Vertreter:innen des Frauennetzes, der Alice-Salomon-Hochschule, der Verwaltung und der Polizei.

 

Über die Rekordbeteiligung und die vielen „Verbündeten“ freute sich auch Manja Finnberg vom Frauennetz. Allerdings sei ihr ein Gedanke gleich in den Kopf geschossen: „Hier stehen viel zu wenig Männer“, stellte sie fest. Das Problem sei nur lösbar, wenn Männer verstünden, dass es ihre Angelegenheit ist. Es brauche andere Konzepte und Ideen von Männlichkeit, eine andere Praxis gelebter Männlichkeit. Erst dann werde Gewalt gegen Frauen aufhören.