Auf Spurensuche
Wie viel Berlin steckt in der Großsiedlung Hellersdorf?
Bekanntermaßen war Hellersdorf ein „Gemeinschaftsprojekt“ aller DDR-Bezirke, die neben dem Baumaterial ihre speziellen technologischen und architektonischen Besonderheiten mitbrachten. Aber auch Berliner:innen wirkten am Aufbau und der Vollendung der Großsiedlung mit.
Über 170 Stadtplaner:innen, Architekt:innen, Grüngestalter:innen, Verkehrsplaner:innen und Ingenieur:innen entwarfen die Großsiedlung Hellersdorf. Die Gesamtplanung oblag dem Berliner Magistrat mit seinem Büro für Städtebau. Im November 1986 entstand hier unter den geschickten Händen von Walter Loose „Hellersdorf en miniature“. Der gelernte Tischler und Modellbauer verlieh städtebaulichen Projekten die erste maßstabsgerechte Form. Für die Planung der einzelnen Baufelder waren die jeweiligen DDR-Bezirke verantwortlich. wobei für das dritte und fünfte Wohngebiet der Berliner Dr. Heinz Willumat, Hauptarchitekt von Hellersdorf, zuständig war.
Baufelder und Bauarbeiterspuren
Bereits ab Januar 1985 mischten auch Berliner Bauleute auf der Hellersdorfer Großbaustelle mit. Das Wohnungsbaukombinat Berlin (WBK) war Generalunternehmen des 77,4 Hektar großen ersten Quartiers entlang der U-Bahn-Strecke östlich der Hellersdorfer Straße. Dort entstanden bis 1990 fast 7.300 Wohnungen. Auf dem Areal schuftete u. a. der Brigadier Eckhard Bucher mit seinen Leuten. Im Mai 1987 begannen sie mit der Errichtung von Neubauten des Typs WBS 70 Berlin.
Die Architekt:innen Kober, Urban und Janocha um Harald Hansbach vom WBK planten ein 76,9 Hektar großes Baufeld des vierten Wohngebietes an der Landsberger Chaussee nördlich der 1987/88 angelegten Zossener Straße. Am 14. März 1988 wurde dort die erste Platte für ein elfgeschossiges Gebäude gesetzt. Auch Burkhard Peters war mit dabei: damals Brigadier eines 25-köpfigen Montagekollektivs beim WBK und einer der bekanntesten Rohbaumonteure der DDR. Sein Montagekollektiv stellte 1988 in diesem Wohngebiet den Bestwert von 4,5 montierten Wohnungen an einem Tag während der drei Schichten auf. Ihm persönlich brachte das die Ehrenbürgerschaft von Hellersdorf ein. Für einen montagefreundlichen Fünfgeschosser mit 35 Wohnungen benötigte sein Team im Durchschnitt etwa 10 Tage. Bis 1990 entstanden insgesamt etwa 3.400 Wohnungen.
Vom „Rohbaustadtbezirk“ zur grünen Wohnstadt
1990 war der Wohnungsbau fast abgeschlossen, die Gestaltung des Wohnumfeldes und des öffentlichen Raumes jedoch erst in den Anfängen. Mit einer bedeutenden Kraftanstrengung der Stadt und der Wohnungswirtschaft gelang es, den unfertigen Bezirk in eine grüne Wohnstadt zu verwandeln. Detaillierte Leitlinien für die Wohnumfeldverbesserungen formulierte bereits das durch die Berliner Planergemeinschaft Prof. Urs Kohlbrenner & Hannes Dubach entwickelte Quartierskonzept aus dem Jahr 1992. Es teilte Hellersdorf in 18 Quartiere ein und bestimmte für jedes einen spezifischen Gestaltungsschwerpunkt. Für die Einordnung zukünftiger Planungen wurde 1994 von Dr. Bernd Hunger und seinem StadtBüro ein städtebaulicher Rahmenplan mit dem Leitbild „Wohnen im Grünen” erarbeitet. Er ergänzte die vorhandene Planung um die Themen Zentrum und soziale Infrastruktur.
Hellersdorf eine ganze Weile ohne Rathaus
Obwohl der Bezirk Hellersdorf 1991 bereits auf sein fünfjähriges Bestehen zurückblicken konnte, fehlte ihm noch ein Rathaus. Die Verwaltung war deshalb in einer Größenordnung von etwa 1.200 Mitarbeiter:innen provisorisch in ca. 300 Wohnungen in der Siedlung untergebracht – eine einmalige Situation, da hierdurch etwa jeweils vier Verwaltungsangestellte eine Wohnung mit Bad und Küche belegten. Dieser Zustand sollte schnellstmöglich geändert werden. Zum einen wurden die blockierten Wohnungen dringend benötigt und außerdem sollte die Verwaltung in einem Gebäudekomplex konzentriert werden.
Im März 1991 beauftragte der Senat das Architektenpaar Schüler (siehe Porträt) mit dem Um- und Neubauprojekt eines Rathauses. Die vorgesehene schnelle Realisierung des Bauvorhabens, dem kein Wettbewerb vorgeschaltet war, blieb wegen der unterschiedlichen Interessenslagen der Projektbeteiligten allerdings ein Wunschtraum. Auf dem Gelände Riesaer, Ecke Jenaer Straße stand damals der unvollendete Rohbau des noch zu DDR-Zeiten geplanten Hellersdorfer Polizeipräsidiums. Dieser sollte in die Planung des Neubaus einbezogen werden. Am 9. Dezember 1993 war dann Richtfest für den ersten Bauabschnitt. Wegen der vorangegangenen Auseinandersetzungen nahm kein Vertreter des Berliner Bausenats an der Veranstaltung teil. 1994 konnte das Gebäude um das Ausstellungszentrum „Pyramide“ ergänzt werden. Als Rathaus wurde das Gebäude trotz seiner hohen funktionalen und architektonischen Qualitäten jedoch nie genutzt, da sich der Bezirk anders entschied und in die „Helle Mitte“ zog. Mit dem zum „Bürodienstgebäude“ herabgestuften Verwaltungsbau ist ein repräsentatives Haus entstanden, das den Namen „Rathaus“ wohl eher verdient hätte als der im April 1998 bezogene Neubau am Alice-Salomon-Platz.
Berlins erstes Multiplex-Kino entstand in Helle Mitte
In unmittelbarer Nachbarschaft zum heutigen Rathaus wurde das berlinweit erste Multiplex-Kino mit anfangs 2.700 Sitzplätzen in 12 Kinosälen errichtet. Auch hierfür war ein in der Hauptstadt bekannter und angesagter Architekt verantwortlich. Die Großstadtarchitektur von Jürgen Sawade (1937-2015), Schüler und ehemaliger Assistent des Stararchitekten O. M. Ungers, zeichnete sich durch klare Konzepte und präzise Details aus. Das von ihm entworfene und 1998 eingeweihte vierstöckige „Cine Star“-Gebäude in der Stendaler Straße verfügt über einen dreieckigen Grundriss und einen überdachten Lichthof. Es beherbergt auch Läden, ein Restaurant, ein Hotel und heute sogar einen Indoor-Kletterpark.
Dr. Oleg Peters
Ralf Schüler und
Ursulina Schüler-Witte
Sie prägten mit ihren Bauten das Gesicht West-Berlins nach dem Zweiten Weltkrieg entscheidend mit und ließen ab 1991 in Hellersdorf das heutige Bürodienstgebäude in der Riesaer Straße entstehen. Gemeinsam haben Ralf Schüler (1930-2011) und Ursulina Witte (1933-2022) nicht nur das Leben gestaltet, sondern auch Berliner Architekturgeschichte geschrieben.
Die beiden lernten sich 1953 beim Studium an der Technischen Universität Berlin kennen und lieben. In den 1960er und 1970er Jahren entwarf das Architektenpaar im typischen Pop-Art-Stil knallbunte Bauten wie den U-Bahnhof Schloßstraße in Steglitz und das ikonische orange-rote Turmrestaurant in Steglitz („Bierpinsel“). Sie schufen auch das Denkmal für Rosa Luxemburg am Landwehrkanal und die Kuppel über der U-Bahnstation Nollendorfplatz. Ihr größtes, bedeutendstes Gebäude und zugleich Hauptwerk ist jedoch das Internationale Congress Centrum (ICC) Berlin. Das in seiner Aluminiumhülle silberglänzende, futuristische „Raumschiff“ zwischen Messedamm und Stadtautobahn, war zu seiner Eröffnung eines der größten Kongresshäuser der Welt.
Etwa 250 Entwürfe, Pläne und Modelle sind über die Jahre entstanden. Diese hat das kinderlose Ehepaar der Berlinischen Galerie hinterlassen.