Ukraine-Hilfe seit den ersten Kriegstagen: HellMa lässt nicht nach

Ukraine-Hilfe seit den ersten Kriegstagen

HellMa lässt nicht nach

Seit April 2021 leitet die Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Tetiana Goncharuk den Frauentreff HellMa. Die Einrichtung in der Marzahner Promenade hat sich seit der russischen Invasion zum wichtigsten bezirklichen Anlaufpunkt für ukrainische Kriegsgeflüchtete entwickelt. Gemeinsam mit ihrem Team und ehrenamtlich Engagierten kümmert sich die gebürtige Kiewerin um die hier neu angekommenen Menschen. Sie erhalten bei HellMa unter anderem Unterstützung bei Behördenangelegenheiten, Beratung und psychologische Betreuung. Inzwischen hat sich eine Selbsthilfegruppe etabliert und auch das Sprachcafé wird gut angenommen. Wir haben mit Tetiana Goncharuk über ihre Arbeit und die Lebensrealität ihrer geflüchteten Landsleute gesprochen.

■ Haben Sie noch Familie in der Ukraine?

Als der Krieg begann, waren meine Eltern und meine Großmutter in der Ukraine. Sie standen fast zwei Wochen lang unter Raketenbeschuss. In den ersten Tagen konnten sie nicht evakuiert werden, da meine Großmutter über 90 Jahre alt und mein Vater behindert ist. Es war eine schwierige Zeit. Wenn es wieder heftig wurde, rief mich meine Mutter oft in Panik an und wollte von mir wissen, wohin sie laufen solle. In dem Haus gab es keine Bunker oder Schutzkeller. Die Wohnung befand sich im obersten Stockwerk eines Hochhauses. In diesen Momenten fühlte ich mich komplett hilflos. Als meine Nerven völlig blank lagen, beschlossen wir, die gesamte Familie zu evakuieren. Jetzt habe ich alle bei mir in Berlin.

 

■ Sie haben nicht nur Ihre eigene Familie gerettet, sondern helfen vielen Menschen aus der Ukraine. Haben Sie gezählt, wie viele es bislang waren?

Wir haben unsere üblichen Angebote im Frauentreff HellMa sehr schnell an die Bedürfnisse der Flüchtlinge angepasst und unsere Arbeit in diesem Bereich bereits am zweiten Kriegstag aufgenommen. Obwohl wir ein sehr kleines Team sind, konnten wir zwischen März und August schätzungsweise um die Tausend Beratungen durchführen. Die Anfragen erreichten uns von Ukrainern und ukrainischen Frauen aus ganz Berlin. In mehreren Fällen konnten wir auch Frauen mit Kindern aus der Ukraine online nach Berlin begleiten. Den Familien, die teilweise nie zuvor in Westeuropa waren, hat das viel Sicherheit bei der Flucht gegeben. 

 

■ Wie geht es den Geflüchteten hier im Bezirk aktuell? 

Zu Beginn gingen 90 Prozent davon aus, dass der Krieg bald vorbei sein würde und sie wieder nach Hause zurückkehren könnten. Inzwischen ist vielen bewusst geworden, dass das alles nicht so schnell zu Ende geht und sie für längere Zeit in Deutschland bleiben müssen. Aber der Wunsch, in die Heimat zurückzukehren, ist immer noch da. Etwa ein Drittel der von uns beratenen Flüchtlinge sind inzwischen wieder in der Ukraine. Allerdings ist es dort immer noch sehr gefährlich.

 

■ Warum gehen die Leute ein solches Risiko ein?

Einige finden keine Unterkunft in Berlin oder möchten zurück zu ihren Ehemännern und Söhnen. Einige plagen Schuldgefühle, dass sie in Sicherheit sind. Manche haben auch das ganz große Bedürfnis, ihren Landsleuten zu helfen. 

 

■ Wie sieht der Alltag derer aus, die in Deutschland geblieben sind?

Die Hauptbeschäftigung liegt darin, den Alltag überhaupt erst mal zu bewältigen. Die Geflüchteten müssen Behörden aufsuchen, sich Unterstützung für das Ausfüllen diverser Formulare organisieren und haben damit zu tun, die Kinder unterzubringen oder zu beschäftigen. Viele pflegen darüber hinaus intensive Kontakte in die Heimat. Denn sie wollen natürlich wissen, wie es den zurückgelassenen Familien und Freunden geht.

 

■ HellMa hat kürzlich eine Spende der Wohnungsbaugesellschaft STADT UND LAND erhalten. Wofür wird das Geld verwendet?

Uns geht es darum, den Menschen bei bürokratischen Aufgaben und der Entwicklung ihrer Sprachkompetenz ganz praktisch zu helfen. Aber noch wichtiger ist, dass die Leute stabiler werden, damit sie sich künftig selbst helfen können. Daher möchten wir mit dem Geld eine Psychologin bezahlen, die regelmäßig mit einer festen Gruppe arbeitet und diese Geflüchteten stärkt. Was sie in der Ukraine erlebt haben, das hat bei vielen Spuren hinterlassen. Wir gehen auch davon aus, dass durch den ununterbrochenen Fortgang des Krieges das Risiko für Retraumatisierungen steigt. Deshalb sollte dieses Unterstützungsangebot unbedingt kontinuierlich und längerfristig installiert werden. 

 

■ Wie können Bürgerinnen und Bürger Sie bei Ihrer Arbeit unterstützen?

Im Moment brauchen wir vor allem professionelle Hilfe und Fachleute, die psychosozialen Beratungen oder psychologische Hilfe anbieten können. Auch für die Begleitung von Klientinnen bei Behördengängen, fürs Dolmetschen und die Kinderbetreuung wird noch Unterstützung gesucht. Erfreulicherweise sind bereits viele Ehrenamtliche in unsere Arbeit eingebunden.

 

■ Was wünschen Sie sich von der Politik?

Die Flüchtlinge aus der Ukraine sind sehr dankbar für die Hilfe, die Deutschland ihnen zuteilwerden lässt. Aber für Bedürftige und vulnerable Personen, zum Beispiel Menschen mit Pflegebedarf oder einer Behinderung, ist es nach wie vor schwierig, an Hilfen zu gelangen. Hier braucht es vereinfachte Strukturen und bessere Zugänglichkeit. Außerdem wünsche ich mir mehr Aufklärungsarbeit, Abgrenzung und deutliche Statements seitens der Politik, was russische Propaganda angeht. Wir wissen, dass das gerade in Marzahn-Hellersdorf durchaus schwierig ist.

 

■ Erleben die Geflüchteten denn häufig Anfeindungen?

Ja, mir wird von vielen Vorfällen berichtet. Neulich habe ich drei ukrainische Flüchtlinge beraten, als ein deutscher Mann auftauchte und das Gespräch unterbrach. Er wollte wissen, ob die Frauen aus der Ukraine kämen. Wir mussten uns anhören, dass wir alle Faschisten seien und Russland das Richtige tue. Solche Äußerungen sind für Menschen, die ihr Zuhause und oft ihre Familien zurücklassen mussten, schwer zu ertragen.

 

■ Zu Beginn des Krieges war die Solidarität in ganz Deutschland groß. Inzwischen dominieren steigende Energiekosten die Schlagzeilen. Fürchten Sie, dass die Stimmung umschlägt?

Aus meiner Sicht ist die gesellschaftliche Solidarität mit der Ukraine weiterhin groß. Gleichzeitig nimmt die Bereitschaft, Alltagshilfe zu leisten, ab. Aber das hat nichts mit den steigenden Energiepreisen zu tun, sondern damit, dass die Menschen nach vielen Monaten ehrenamtlicher Arbeit müde und erschöpft sind. Die ukrainischen Geflüchteten sind im Augenblick sicher eine Herausforderung, aber sie bringen auch Ressourcen ein und in Zukunft haben wir ein wechselseitiges Geben und Nehmen. Da bin ich mir sicher.