Die gebürtige Ukrainerin hat in Windeseile ein riesiges Solidaritätsnetzwerk aufgebaut
Vika hilft da, wo Hilfe gebraucht wird
Der Opa in Tscherkassy, der Papa in Saporoshje: Als die in Kaulsdorf lebende Eventmanagerin Vika Günther am Morgen des 24. Februar über die sozialen Medien vom russischen Überfall auf ihr Heimatland erfährt, kreisen ihre Gedanken nur um die eine Frage: Wie soll ihre Familie da bloß rauskommen?
In aller Eile werden Fluchtpläne geschmiedet, die sich nur wenig später fast genauso schnell wieder zerschlagen. Ihr Vater, 58 Jahre alt, will sich gerade auf den Weg in Richtung polnische Grenze aufmachen, als ihm wie allen anderen Männern zwischen 18 und 60 mit der Ausrufung des Kriegsrechts die Ausreise untersagt wird. Auch der Versuch, den Opa nach Deutschland zu holen, scheitert. Wegen seines Gesundheitszustandes entscheidet sich der 89-Jährige dafür, zu Hause zu bleiben – bei seiner Katze –, statt die beschwerliche Flucht anzutreten. Im Mai wird der Mann 90 Jahre alt. „Wir wollten ihn besuchen. Es wäre das erste Mal gewesen, dass meine Tochter auf ihren Uropa trifft“, sagt die 35-Jährige.
Spontane, unbürokratische Unterstützung
Wenn Vika Günther die ersten Kriegstage in Erinnerung ruft, denkt sie zurück an ein Wechselbad der Gefühle aus Entschlossenheit und Ohnmacht: Als sie in den Nachrichten die ersten Bilder von flüchtenden Menschenmassen sieht, startet die junge Frau, die als Zwölfjährige mit ihrer Mutter nach Berlin kam, über Facebook und Instagram spontan einen Spendenaufruf. „Ich wollte wenigstens denen helfen, die es über die Grenze geschafft haben“, sagt sie. Die Aktion nimmt spektakuläre Ausmaße an. Etliche Leute schmeißen in ihrem Vorgarten Spenden ab. Ein Nachbar erklärt sich bereit, die großen Berge an Hilfsgütern mit dem Auto an die polnisch-ukrainische Grenze zu bringen. Auf dem Rückweg nimmt er Flüchtende mit. So geht unbürokratische Hilfe.
Vermittlung von Unterkünften
Viele solcher Transporte hat die Initiative #Vikahilft seither organsiert und allein in Berlin für um die 40 Familien Unterkünfte besorgt. Die Spenden werden nun nicht mehr im Vorgarten in Kaulsdorf, sondern ganz professionell auf dem Wirtschaftshof der Biesdorfer Cateringfirma Beef & Co in der Oberfeldstraße entgegengenommen. Eine Bedarfsliste, was gerade benötigt wird, ist online auf www.vikahilft.de abrufbar. Babynahrung und Windeln, Drogerieartikel, Tütensuppen und andere haltbare Lebensmittel, Schlafsäcke, Isomatten und viele weitere Dinge finden sich darauf. Als wir Vika Günther treffen, um mit ihr über das Engagement der Initiative zu sprechen, fährt gerade ein Bulli vor. Freunde aus Thüringen haben in ihrer Heimat fleißig Spenden gesammelt und alles nach Berlin gebracht. Bei der wahnsinnig gut vernetzten Marzahn-Hellersdorferin wissen sie, dass die Sachen auch tatsächlich in den Aufnahmelagern und bei den im Kriegsgebiet tätigen Hilfsorganisationen ankommen.
Hilfe beim Ankommen
Etwa 30 bis 40 Helfende engagieren sich mittlerweile schon bei #Vikahilft. Jeder einzelne Mitstreiter unterstützt nach seinen Fähigkeiten und Kräften. Mit den eigenen Ressourcen etwas besser zu haushalten, fällt manchmal schwer. Dabei haben alle noch eigene Jobs und müssen ihren Lebensunterhalt bestreiten. Eventmanagerin Vika Günther arbeitet momentan nachts. Von 23 bis 3 Uhr schreibt sie Angebote und bereitet Veranstaltungen vor. Zwischen 6 und 7 Uhr wird ihre Tochter wach. Viel Zeit zum Schlafen bleibt nicht. Eigentlich müsste sie nach Wochen im Vollgas-Modus mal einen Gang zurückschalten, aber das ist leichter gesagt als getan. Im Kernteam spricht momentan nur sie Russisch. Für die untergebrachten Familien macht sie das zur Ansprechpartnerin Nummer eins. „Tatsächlich landen alle Fragen zuerst bei mir und ich vermittle dann weiter.“
Die Bedarfe, sagt Vika Günther, würden sich gerade ändern. Es gehe nicht mehr so sehr darum, eine Bleibe für die Geflüchteten zu finden, da momentan weniger Menschen über die Grenzen kämen. Dafür werde die Betreuung der Familien vor Ort intensiver. Ihnen dabei zu helfen, in Berlin anzukommen, ist die Herausforderung der Stunde – mit allem was dazu gehört: Behördengänge, Sprachkurse, die Suche nach Kita- und Schulplätzen, nach Verdienstmöglichkeiten und vielem mehr.