Schlichten statt richten

Bezirksamt sucht eine Schiedsperson. Dietrich Schmidt gibt Einblick in das Ehrenamt

Schlichten statt richten

Nicht jeder Konflikt muss vor Gericht ausgetragen werden. In vielen Fällen versuchen sogenannte Schiedsleute, gemeinsam mit den Zankhähnen eine einvernehmliche Lösung zu finden. Für Biesdorf, Teile von Kaulsdorf und Mahlsdorf sucht der Bezirk gerade dringend einen solchen Streitschlichter. Die Bewerbungsfrist endet am 20. Mai. Für einen anderen Schiedsamtsbezirk in Marzahn-Hellersdorf ist Dietrich Schmidt zuständig. Im Interview gibt der 69-jährige Biesdorfer Einblick in die ehrenamtliche Arbeit. 

■ Herr Schmidt, Sie wurden 2020 für fünf Jahre zum ehrenamtlichen Streitschlichter gewählt. Was war Ihre Motivation, sich um das Amt zu bewerben?

Ich bin inzwischen Rentner und habe nach einer sinnstiftenden Aufgabe gesucht. Meine Frau ist noch berufstätig als Lehrerin. Nur Reisen, Gartenarbeit und Einkaufszettel abarbeiten war mir irgendwie zu wenig.

 

■ Wozu braucht es Schiedsleute, wenn es Gerichte gibt?

Es geht schneller und ist kostengünstiger, Streitigkeiten außergerichtlich beizulegen. Wir entlasten mit unserer Arbeit die Justiz. Außerdem können wir dazu beitragen, den sozialen Frieden wiederherzustellen. Denn Ziel eines Schlichtungsverfahrens ist der Kompromiss. Niemand wird schuldig gesprochen. Man trifft sich in der Mitte und im Idealfall reden die Leute danach sogar wieder miteinander. 

 

■ Bei welchen Streitigkeiten sind Sie gefragt?

In den Zuständigkeitsbereich von Schiedsleuten fallen Strafsachen wie Hausfriedensbruch, Beleidigung, Verletzung des Briefgeheimnisses, Nötigung, Bedrohung, Verleumdung, Sachbeschädigung, Stalking und leichte Körperverletzung. Immer häufiger bekommen wir es auch mit Hate Speech im Internet zu tun. In vielen dieser Fälle ist ein Sühneverfahren sogar zwingend vorgeschrieben, bevor Klage vor Gericht erhoben werden kann. Mit Fällen fürs Familien- und Arbeitsgericht befassen wir uns hingegen nicht, dafür aber mit zivilrechtlichen Angelegenheiten wie Nachbarschaftsstreitigkeiten und Ruhestörung.

 

■ Wie bekommen Sie die Leute an einen Tisch?

Nachdem sich eine Partei an mich gewandt hat, werden Antragssteller und Antragsgegner schriftlich vorgeladen. Bei Nachbarschaftsstreitigkeiten mache ich mir immer noch vor Ort ein Bild, ehe wir in die Verhandlung gehen. Das Gespräch findet dann in einem Beratungsraum im Rathaus Helle Mitte statt und wird anders als vor Gericht auf Augenhöhe geführt. Beide Parteien dürfen zum Streitthema Stellung nehmen. Anschließend arbeiten wir gemeinsam an einer Lösung und einem tragfähigen Vergleich oder Teilvergleich. Wird keine Einigung erzielt, stelle ich eine Erfolglosigkeitsbescheinigung aus. Mit diesem Dokument kann dann das Gericht angerufen werden.

 

■ Verraten Sie uns Ihre Erfolgsquote?

Von zehn Fällen erreiche ich bei acht eine Schlichtung. Aber dafür gibt es keine Prämie. Wir Schiedsleute werden nicht nach Erfolg bemessen und erhalten auch keine Aufwandsentschädigung.

 

■ Warum tun Sie sich das an?

Es ist eine total spannende Tätigkeit. Man lernt ständig neue Menschen kennen, kann helfen, Konflikte aus der Welt zu schaffen und lernt ständig dazu. An den Wochenenden werden regelmäßig Weiterbildungsseminare angeboten.

 

■ Ist für das Ehrenamt eine juristische Vorbildung erforderlich?

Nein. Gesunder Menschenverstand reicht eigentlich aus, zumal niemand ins kalte Wasser geworfen wird. Alle Anfängerinnen und Anfänger durchlaufen vor Beginn ihrer Tätigkeit zwei Grundschulungen.

 

■ Welche Eigenschaften sollte eine Schiedsperson noch besitzen?

Oberste Voraussetzung ist die Fähigkeit, aktiv zuhören zu können. Kommunikatives Geschick kann auch nicht schaden. Zudem sollten Schiedsleute gut mit Menschen umgehen können und Lebenserfahrung mitbringen. Denn unter uns gesagt: Das Problem ist nicht die wuchernde Hecke oder der über das Grundstück ragende Baum: Es sind meist verletzte Gefühle, unbefriedigte Bedürfnisse, mangelnder Respekt oder ganz oft auch Einsamkeit. Was macht ein Rentner, der früher mal im Job ein hohes Tier war und jetzt nichts mehr zu tun hat? Genau: Er regt sich über Kleinigkeiten auf und bricht mit den Nachbarn Streit vom Zaun.

 

■ Was war Ihr bewegendster Fall?

Ich erinnere mich an eine Antragstellerin, die sich extrem vom Lärm des Nachbarskindes belästigt fühlte. Sie und die Mutter hatten 15 Jahre lang im selben Haus gewohnt, aber erst während des Gesprächs erfuhr sie vom Autismus des Kindes. Wie sich herausstellte, ging es immer etwas lauter zu, wenn der Therapeut gerade zu Besuch war. Der Frau war die ganze Sache so unangenehm, dass sie in Tränen ausgebrochen ist und den Jungen bei der nächsten Gelegenheit zum Eis eingeladen hat. Das war ein toller Ausgang. Der Fall hat einmal mehr gezeigt, dass Nachbarn häufiger miteinander statt übereinander reden sollten.

 

Noch bis 20. Mai bewerben

Wer sich für das Ehrenamt der Schiedsperson interessiert, kann die Bewerbung samt Lebenslauf und einer kurzen Darstellung ihrer Eignung an das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf von Berlin, Rechtsamt, Alice-Salomon- Platz 3, 12627 Berlin richten.