Unterbringung von Geflüchteten aus der Ukraine: Turnhallen sind die allerletzte Option

Die neue Krise war das bestimmende Thema auf der Jahrespressekonferenz

Unterbringung von Geflüchteten aus der Ukraine: Turnhallen sind die allerletzte Option

Gut eine Woche nach Beginn der russischen Invasion in die Ukraine suchen immer mehr Menschen aus dem Kriegsgebiet Schutz in Berlin. Die Frage nach ihrer Unterbringung beschäftigt den Senat und die Bezirke enorm. Auf welche Herausforderungen sich Marzahn-Hellersdorf auch sonst noch einstellt, berichtete das Bezirksamt beim Jahrespressegespräch am Donnerstag.

Berlin rechnet inzwischen mit deutlich mehr als den zunächst erwarteten 20.000 Schutzsuchenden. Nach Senatsangaben sollen am Donnerstag über 6.000 Menschen in der Hauptstadt eingetroffen sein. Doch in den bestehenden Geflüchtetenunterkünften sind die freien Kapazitäten überschaubar. Marzahn-Hellersdorf beispielsweise verfügt über etwa 3.700 Plätze, von denen kaum mehr als 100 noch belegbar sind. Das teilte Bezirksbürgermeister Gordon Lemm (SPD) auf der digitalen Pressekonferenz mit. 200 zusätzliche Plätze kommen im Rahmen des MUF-Neubauprogramms hinzu: Im April soll die neue modulare Unterkunft für Flüchtlinge an der Zossener Straße bezugsfertig sein. „Inwiefern die für ukrainische Geflüchtete genutzt werden kann, ist momentan unklar. Eigentlich gab es eine andere Belegungsperspektive. Die Steuerung läuft über das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten.“

 

2015 soll sich nicht wiederholen

Erklärtes Ziel ist es, die Aufnahme humaner zu gestalten als noch in der Flüchtlingskrise 2015: „Wir im Bezirksamt, aber auch die Regierende (Bürgermeisterin von Berlin, Franziska Giffey, Anm. d. Red.) sind uns einig, dass eine Unterbringung in Sporthallen nach Möglichkeit vermieden werden soll“, so Lemm. Trotzdem bereite sich der Bezirk auch auf dieses Worst-Case-Szenario vor. Bezirksstadträtin Nadja Zivkovic (CDU) sprach ebenfalls von Turnhallen als „allerletzte“ Option. Die traumatisierten Menschen – größtenteils Frauen und Kinder – bräuchten eine angemessene Unterbringung. Auf Zivkovics Sozialamt kommt ein Haufen Arbeit zu. Ab Donnerstag haben die EU-Staaten dem vorübergehenden Schutzstatus der Ukraine-Geflüchteten zugestimmt. Damit werden ihnen Mindeststandards wie der Zugang zu Sozialhilfe und eine Arbeitserlaubnis garantiert.

 

Es fehlen vor allem Schulplätze

Für alle Neuankömmlinge aus der Ukraine gibt es in Berlin aktuell ein zentrales Ankunftszentrum in Reinickendorf, das durch zwei weitere kleinere Notunterkünfte in Pankow und Lichtenberg ergänzt wird. Doch das reicht angesichts des Ansturms nicht aus. Der Senat bereitet den Aufbau einer zweiten großen Aufnahmestelle vor. Im Gespräch seien unter anderem der ehemalige Flughafen Tegel und das Tempelhofer Feld, berichtete der Bezirksbürgermeister. Der Vorteil bestünde vor allem darin, soziale Angebote von der Kinderbetreuung und Beschulung bis zur medizinischen Versorgung vor Ort sicherstellen zu können. Auch Schulstadtrat Dr. Torsten Kühne (CDU) spricht sich für eine solche Lösung aus, denn der Großteil der bezirklichen Schulen ist gar nicht mehr aufnahmefähig. Für die Einrichtung von Willkommensklassen fehle derzeit neben den Räumen auch das Personal. „Erfreulicherweise gibt es aber eine große Solidarität“, berichtete Kühne. Es hätten sich schon Freiwillige gemeldet (hier geht’s zur Stellenausschreibung der Senatsbildungsverwaltung). Auch bestehe die Hoffnung, unter den ankommenden Frauen pädagogische Fachkräfte zu finden.

 

Hotel- und Hostelbetreiber:innen für Unterbringung gewinnen

Konkrete Pläne, weitere Gebäude im Bezirk für die Unterbringung von Geflüchteten zu reaktivieren, soll es momentan nicht geben. Dafür aber wollen Senat und Bezirke die Privatwirtschaft mit ins Boot holen. So könnten Schutzsuchende aus der Ukraine in Hotels und Hostels unterkommen.

Die Anteilnahme, Hilfsbereitschaft und Solidarität in der Zivilgesellschaft ist indes beispiellos: So bieten viele Privatleute kurzfristige Übernachtungsmöglichkeiten über die bundesweite Bettenbörse Elinor an. Die bereits initiierten Unterstützungsangebote von Vereinen, Institutionen und privaten Trägern in Marzahn-Hellersdorf sollen in Kürze gebündelt und auf die Homepage des Bezirksamts gestellt werden.

 

Jugendamt stellt sich auf kriegstraumatisierte Familien ein

„Putins Krieg zerreißt gerade sehr viele Familien und ein Teil von ihnen, nämlich vor allem die Kinder und Mütter, kommen bei uns an“, sagte Bezirksstadträtin Nicole Bienge (SPD) mit brüchiger Stimme. Ihr Jugendamt stelle aktuell viele Überlegungen an, welche Maßnahmen es brauche, um Kinder und Jugendlichen bei der Bewältigung der Pandemiefolgen zu unterstützen. Nun seien die Mitarbeiter:innen zusätzlich gefordert, kriegstraumatisierte Kinder aufzufangen: Mädchen und Jungen, die vor den Bomben aus ihrer Heimat flüchten mussten und im allerschlimmsten Fall noch zu Halbwaisen werden. Denn niemand weiß, wie lange dieser Krieg noch geht und wie viele Opfer er fordert.

 

Sozialen Frieden wahren

Es sind aufwühlende Tage. Der Bezirksbürgermeister richtete einen Appell an alle Menschen im Bezirk, sich das kollegiale und friedliche Miteinander durch den Konflikt nicht vergiften zu lassen. Zuletzt gab es Berichte über antirussische Ressentiments, denen Menschen mit Wurzeln in den ehemaligen GUS-Staaten nun vermehrt ausgesetzt seien. Viele haben Angst, abgestempelt zu werden. Es sei wichtig, so Lemm, zu differenzieren: „Das ist nicht der Krieg der Russinnen und Russen. Es ist ein Krieg von Putin, vom Präsidenten“, betonte er. Der Bezirk werde sich immer für die Verständigung der verschiedenen Ethnien und Menschen einsetzen. In Marzahn-Hellersdorf lebt die berlinweit größte russischsprachige Community. Schätzungen zufolge sind hier mindestens 35.000 Aussiedler:innen aus den einstigen Sowjetländern zu Hause. Bezirksstadträtin Juliane Witt (Linke) hatte bereits in der vergangenen Woche darum gebeten, auch an die mutigen Russinn:en zu denken, die gerade in ihrer Heimat gegen den Krieg auf die Straße gehen und sich damit größten Gefahren aussetzen.