Aus unserer Rubrik "Neues von gestern – Bezirksgeschichte(n)"
Männerdominierte Architektur? Von wegen!
Der Blick auf die Baugeschichte des Bezirks ist auf verzerrte Weise fokussiert: Einige wenige Männer stehen im Blickpunkt, viele entscheidend beteiligte Frauen werden fast nie erwähnt.
Nach Erhebungen des Bundes der Architekten der DDR waren im Jahr 1982 40 bis 60 Prozent der in den Planungs- und Projektierungsbüros tätigen Personen Frauen. Das ist einmalig in der Geschichte des Bauens. Eine andere Statistik besagt, dass rund 25 Prozent aller Architekt:innen in der DDR weiblich waren – während der Anteil in der BRD damals übrigens nur bei 10 Prozent lag. „Man kann mit Fug und Recht konstatieren, dass die Großsiedlungen Marzahn und Hellersdorf von Bauarbeitern gebaut und von Architektinnen geplant worden sind“, sagt einer derjenigen, die immer im Rampenlicht standen: Architekt Prof. Dr. Wolf R. Eisentraut.
Wohnqualität und soziale Infrastruktur im Blick
Frauen setzten auch andere Schwerpunkte als ihre männlichen Kollegen. Das gilt nicht nur für die Wohnungsgrundrisse, sondern auch für die Stadtplanung. Lange wurde nach dem Motto gebaut: Hier haben wir die Schlafstätten, da die Produktion. Dadurch wirkten die Wohngebiete zu bestimmten Tageszeiten wie ausgestorben. Architektinnen wie Dr. Dorothea Krause übten an diesem Prinzip schon sehr früh Kritik. Krause gilt als „Mutter“ der Planungen für den Industriekomplex Lichtenberg Nordost, der heute unter dem Namen „Berlin Eastside“ Berlins größtes zusammenhängendes Gewerbegebiet bildet. Den damals neu geschaffenen stadt- und verkehrstechnischen Infrastrukturen und Arbeitsplätzen folgte ab Mitte der 1970er Jahre im Nordostraum der komplexe Wohnungsbau.
Die angestrebte „Lösung der Wohnungsfrage“ war in der DDR das zentrale Thema. Viele Fachfrauen wirkten daran mit. Sie planten die Wohnkomplexe und projektierten neue Typenbauten inklusive der dazugehörenden Folgeeinrichtungen. Edith Stingl (geb. Diehl) erhielt für die Planung der Wohngebiete am Tierpark und an der Salvador-Allende-Straße zweimal den Architekturpreis der Hauptstadt der DDR. Für das Wohngebiet Marzahn I wurde ihr sogar der Architekturpreis der Republik verliehen. 8.665 Wohneinheiten für 25.480 Einwohner:innen hatte die Komplexarchitektin mitgeplant – einschließlich der sozialen Infrastruktur: Dazu zählten unter anderem neun Kinderkombinationen, drei polytechnische Oberschulen, Turnhallen, Schulspeisungen, Feierabendheime und Dienstleistungsgebäude. Edith Stingl schenkte auch den Fußwegen für Kinder innerhalb des Wohngebietes große Beachtung.
Kreativ, abwechslungsreich und preisgekrönt
Insbesondere die Architektinnen versuchten, wider des starren Typenangebots der Bauindustrie abwechslungsreiche Gebäude zu kreieren, was ihnen ganz besonders in Kaulsdorf Nord gelang. Ihre Kreativität scheiterte nicht an den bauindustriellen Sachzwängen – sie wurde durch diese erst herausgefordert.
Das 60 Hektar große Wohngebiet Kaulsdorf Nord I (Bauzeit: 1981-1984) war das erste in Berlin, das nahezu ausschließlich mit Kapazitäten und „Erzeugnissen des Wohnungs- und Gesellschaftsbaus“ mehrerer DDR-Bezirke errichtet wurde. An den Planungen waren Ute Baumbach (Rostock), Iris Grund (Neubrandenburg) und Traude Kadzioch (Schwerin) beteiligt, die ihrer Herkunft auch baulich Ausdruck verliehen. So bevorzugten etwa die Rostocker Bauleute für ihre Außenwände weißen und porphyrroten Splitt sowie eine Beschichtung mit roten Spaltklinkern. Die elfgeschossigen Häuserblöcke an der Bansiner Straße haben terrassenförmig abgestufte Südgiebelwände (siehe Foto oben). Für die erste Phase des Projekts erhielt das norddeutsche Frauenteam 1982 den Architekturpreis der Stadt Berlin.
Kräne können auch Kurven fahren
Da das Baugebiet Kaulsdorf I an das Wuhletal grenzte, wäre eine rechtwinklige Bebauung mit geraden Blöcken sehr teuer geworden. Die Neubrandenburger Architektin Iris Grund befragte die Bauleute, ob ihre Kräne auch Kurven fahren könnten und falls ja, mit welchem Radius das möglich wäre. Es gelang, mit der Bebauung den Höhenlinien nachzugehen. Hügel mussten nicht mehr abgetragen und Niederungen nicht aufgefüllt werden. Unnötige Erdarbeiten wurden vermieden. Die Höfe waren nicht mehr rechtwinklig, sondern frei geformt.
Baugeschichtsschreibung: Wo sind die Frauen?
Obwohl die Bauten meist von großen Planungskollektiven realisiert wurden, hinter denen eine ganze Reihe von Architektinnen standen, sind in die baugeschichtliche Literatur fast immer nur die Namen der obersten Baumanager oder Kollektivleiter eingegangen. Völlig unabhängig von Genderfragen ist es längst an der Zeit, Frauen und deren Beiträge in Architektur, Innenarchitektur, Stadt- und Landschaftsplanung in unserem Bezirk verstärkt in den Fokus zu rücken.
Ute Baumbach
Die Architektin und Stadtplanerin Ute Baumbach (geb. 1938) ist fast zeitgleich mit der 1949 gegründeten DDR aufgewachsen. Sie schloss 1964 ihr Architekturstudium an der TU Dresden ab, ließ sich in Rostock nieder und arbeitete ab 1968 beim dortigen Wohnungsbaukombinat (WBK). Baumbach, die 1978 an der Technischen Universität Dresden promovierte, kann auf ein vielfältiges Portfolio architektonischer und städtebaulicher Planungen zurückblicken. In der Fachliteratur machte sie sich als analytische Stadtplanerin einen Namen, die stets präzise in ihren Formulierungen und versiert im internationalen Architekturdiskurs war. Gemeinsam mit ihrem Mann Peter arbeitete Ute Baumbach von 1987 bis 1990 in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba. Konfrontiert mit neuen Herausforderungen und beruflichen Möglichkeiten gründeten beide 1990 ein Büro in Rostock, für das die Architektin bis zu ihrer Pensionierung im Jahr 2003 erfolgreich wirkte.
Der Bauhistoriker Dr. Oleg Peters schaut in den „Rückspiegel“ und gibt in dieser neuen Serie der „Hellersdorfer“ Einblicke in wenig Bekanntes aus den Anfangsjahren des Bezirks. Er stellt damalige Akteure im Porträt vor und die historischen Hintergründe dar.