Neue Kirchen für neue Städte

Aus unserer Rubrik "Neues von gestern – Bezirksgeschichte(n)"

Neue Kirchen für neue Städte

Katholische Kirche „Von der Verklärung des Herrn“ an der Landsberger Allee. © Peter Zimmermann
Katholische Kirche „Von der Verklärung des Herrn“ an der Landsberger Allee. © Peter Zimmermann

Kirchenneubau in der DDR? Zunächst scheint es paradox. Doch der atheistische Staat hoffte unter anderem auf eine positive Außenwirkung und duldete daher die Errichtung der Gotteshäuser – auch in den neuen Großsiedlungen Marzahn und Hellersdorf.

Seit 1972 war es nach einem Beschluss des Ministerrates möglich, in größerem Umfang Neubauten von Kirchen und Gemeindezentren anzugehen, sofern die von DDR-Betrieben erbrachten Bauleistungen in DM bezahlt wurden. Ab 1978 wurde dann im Rahmen eines erweiterten „Valuta-Sonderbauprogramms“ mit dem Titel „Kirchen für die neuen Städte“ besonders in den landesweit entstehenden Großsiedlungen eine ganze Reihe neuer evangelischer und katholischer Gebäude errichtet. Mit diesen Bauten, die die bundesdeutschen Kirchen finanzierten, akquirierte die Staatsführung nicht nur dringend benötigte Devisen, sie versuchte auch, das angespannte Verhältnis zu den Kirchen zu befrieden. 

 

Beginnend in den 1980er Jahren sind in Berlin 16 neue Kirchenbauten oder Gemeindezentren mit integrierten Predigtstätten entstanden, davon allein neun in den östlichen Bezirken Marzahn, Hellersdorf, Hohenschönhausen und Lichtenberg. So wurden im Jahr 1989 in Marzahn-Nord und 1991 dann in Hellersdorf Gemeindezentren nach Entwürfen von Heinz Tellbach (Infokasten) geschaffen. 

 

Das Gemeindezentrum Marzahn-Nord – bauzeitlich noch ohne Glockenturm – entstand im dritten Wohngebiet und gliederte sich in zwei Bauteile. Der eine enthält den gottesdienstlichen Raum mit angrenzenden Gemeinde- und Verwaltungsräumen, der andere beherbergt die Pfarr- und Hausmeisterwohnungen. Der gesamte Baukörper wird von einem großen Zeltdach überspannt, das über dem Altarbereich des Kirchenraumes als Frontispiz ausgebildet ist. Der Gottesdienstraum, der noch mal um einen kleinen Gemeindesaal zu erweitern ist, erhebt sich über den quadratischen Grundriss, ist diagonal ausgerichtet und wird optisch von der mehrfach gefalteten, holzvertäfelten Decke dominiert.

 

 

Marzahner Gemeindezentrum mit Glockenturm in der Schleusinger Straße
Marzahner Gemeindezentrum mit Glockenturm in der Schleusinger Straße

Als jüngstes Projekt des Neubauprogramms wurde das Gemeindezentrum Hellersdorf realisiert. Auch dort waren analog zu Marzahn die städtebaulichen Planungen bereits seit Langem abgeschlossen – ohne potenzielle Kirchenstandorte, versteht sich. Zwar war das Zentrum von Hellersdorf zu diesem Zeitpunkt noch gänzlich unbebaut, ein kirchliches Projekt kam dafür aber keinesfalls infrage.

Der Standort an der Kastanienallee (heute Glauchauer Straße 7) wurde als dezentral genug erachtet. Bei diesem bereits im Mai 1989 entworfenen Gebäude erhebt sich der Kirchenraum über dem oktogonalen Grundriss und wird auf einer Seite von kleineren Raumeinheiten flankiert, die sich auf zwei Ebenen verteilen. Die Empore bildet einen eigenständigen Raumteil, der durch breite Fenster vom Kirchenraum abtrennbar ist. Heinz Tellbach setzte wie bereits im Gemeindezentrum Marzahn auch in Hellersdorf zur äußeren Unterscheidung der Bauteile verschiedene Materialien ein: Die Außenwände der Kirchenräume sind verputzt, die übrigen Bauteile hingegen mit gelben Klinkern verblendet. 

 

Gemeindezentrum Hellersdorf im Jahr 2021
Gemeindezentrum Hellersdorf im Jahr 2021
Bauzeichnung aus dem Juni 1989
Bauzeichnung aus dem Juni 1989

An den Rand gedrängt

Auch wenn die Sonderbauprogramme sogar relativ hochwertige Gebäude in den sozialistischen Großwohnsiedlungen ermöglichten, blieb es dabei: Die Kirchen entstanden abseits der Zentren. Der „Typ Haus” und die reduzierte Saalkirche ließen sich unauffällig ins sozialistische Ortsbild einbringen. In Anlehnung an das beim Kirchenbau im Westen damals beliebte Zelt-Motiv entstanden häufig unauffällige, turmlose Gebäude. Denn allzu sehr nach Sakralbau aussehen sollten die neuen Gotteshäuser nicht. Eine Ausnahme bildet die größte, 1984 bis 1987 in Ostberlin errichtete katholische Kirche mit dem weithin sichtbaren Glockenturm an der Landsberger Allee. Da die Kirche nicht in Nachbarschaft zu staatlichen Schuleinrichtungen stehen sollte, wurde ihr dieser Bauplatz zugewiesen, der sich ungewollt als besonders exponiert herausstellte.

 

Neuer Umgang, alte Einstellung

Außerhalb der Sonderbauprogramme drohten weiterhin die üblichen Genehmigungsschwierigkeiten. Es gab durchaus auch Rechtfertigungsprobleme, wenn es in den „Neuen Städten” weder Kiosk noch Kino oder dergleichen gab, aber eine neue Kirche. Doch konnte sich die DDR inzwischen die „Kirche neben der Großwohnsiedlung” leisten, da dort die Säkularisierung schneller voranschritt. Insgesamt hatte sich zwar der Umgang der DDR-Regierung mit dem Kirchenneubau gewandelt, jedoch nicht ihre grundsätzliche Einstellung zur Kirche.


Heinz Tellbach

Heinz (Teddy) Tellbach wurde am 21. April 1931 in Berlin geboren und war nach seiner Lehre zum Zimmermann hauptberuflich Architekt. Der heute 90-Jährige gehörte zum Planungsstab von Tierpark-Architekt Heinz Graffunder, den er bereits vom Studium an der Bauakademie Neukölln kannte. Als der letzte noch lebende Tierpark-Architekt der ersten Stunde steht sein Name in Berlin außerdem für das Freibad Pankow, die Eisschnelllaufbahn im Sportforum, den Komplex Rathausstraße am Alexanderplatz oder die erste in serieller Bauweise, 1976 fertiggestellte Poliklinik in der Lichtenberger Karl-Lade-Straße. In den Großsiedlungen Marzahn und Hellersdorf baute Tellbach, der 1980 vom Wohnungsbaukombinat Berlin (WBK) zum Kirchlichen Bauamt beim Evangelischen Konsistorium Berlin-Brandenburg wechselte,  Gemeindezentren. Das waren für ihn eher ungewöhnliche Aufgaben und eine wohltuende Abwechslung zu den früheren, oftmals stark seriell geprägten Aufträgen.



Der Bauhistoriker Dr. Oleg Peters schaut in den „Rückspiegel“ und gibt in dieser neuen Serie der „Hellersdorfer“ Einblicke in wenig Bekanntes aus den Anfangsjahren des Bezirks. Er stellt damalige Akteure im Porträt vor und die historischen Hintergründe dar.