Aus unserer Rubrik „Ich hab da mal 'ne Frage“
Fremdverliebt – Soll ich es beichten?
Irgendwann kommt der Moment, in dem die eigenen Eltern nicht mehr so können, wie sie gern wollen. Darüber muss in Familien gesprochen werden. Aber wie? Und was können Angehörige tun, wenn Mutter und Vater jegliche externe Hilfe ablehnen?
Ich bin mit meinem Mann seit neun Jahren zusammen. Wir haben zwei entzückende Kinder (3 und 5 Jahre alt) und sind seit letztem Jahr verheiratet. Doch seit ein paar Monaten steht mein Gefühlsleben Kopf. Ich glaube, ich habe mich in meinen Kollegen verliebt. Wir flirten schon eine ganze Weile auf Arbeit, gehen inzwischen nach Dienstschluss auch mal einen Kaffee trinken und schreiben uns manchmal spät abends noch Nachrichten. Ich mag es, mit ihm Zeit zu verbringen und mich mit ihm auszutauschen, auch weil ich den ganzen Pandemie-Familienstress dann mal für eine kurze Zeit vergessen kann. Wenn ich ihn mal nicht sehen kann, vermisse ich ihn sehr und in der Beziehung zu meinem Mann merke ich, dass ich mich körperlich derzeit nicht so sehr zu ihm hingezogen fühle. Außerdem nörgele ich häufiger als früher an ihm herum. Natürlich habe ich ein total schlechtes Gewissen. Was soll ich bloß tun? Es ihm beichten?
Das sagt der Experte:
Liebe Leserin, da gibt es kein Patentrezept. Bevor Sie eine Entscheidung treffen, könnten Sie versuchen, Ihre Situation etwas genauer zu beleuchten.
Was zum Beispiel sind Ihre moralischen Standards? Haben Sie den Anspruch, dass Sie und Ihr Partner sich gegenseitig alle Dinge, die Ihre Beziehung betreffen, erzählen? Gibt es darüber viel-leicht sogar eine Verabredung mit Ihrem Mann? Oder aber geht das Geheimhalten dieses Fremdflirts noch mit Ihrem inneren Wertesystem konform?
So wie Sie es beschreiben, haben Sie aktuell, im eher tristen Pandemiealltag, ein großes Bedürfnis, etwas Schönes zu erleben und eine besondere Wertschätzung zu erfahren. Sie können natürlich für sich entscheiden, die Nebenbeziehung fürs Erste im Verborgenen weiterzuführen, weil die Ablenkung, der Reiz des Verbotenen, des Neuen gerade genau das ist, was Ihr Leben bereichert und Sie zufrieden macht. Allerdings sollten Sie sich schon der Risiken bewusst sein: So eine Geschichte kann auch auffliegen – zum Beispiel wenn nächtliche WhatsApp-Nachrichten aus Versehen den falschen Empfänger erreichen. In dem Fall würde Ihr Ehemann das womöglich als doppelten Vertrauensbruch empfinden und doppelt verletzt sein.
MATTHIAS MÜLLER-GUTH
ist Psychologe am SOS-Familienzentrum Berlin. In der „Hellersdorfer“ beantwortet er Fragen von Leserinnen und Lesern zu den Themen Paarbeziehungen, Familienleben und Kindererziehung. Brauchen auch Sie einen guten Rat? Dann schreiben Sie uns eine E-Mail (redaktion@die-hellersdorfer.de) oder einen Brief („Die Hellersdorfer“, Döbelner Straße 4B, 12627 Berlin).
Wer das Risiko, erwischt zu werden, in Kauf nimmt, verfolgt manchmal unbewusst die Strategie, nicht selbst entscheiden zu müssen, wie es mit der bestehenden Partnerschaft weitergehen soll. Käme Ihr langjähriger Partner hinter den emotionalen Betrug, würde womöglich er einen Entschluss fassen – und Sie müssten es nicht mehr tun.
Ob Sie ihm die Nebenbeziehung nun „beichten“ sollten oder nicht, hängt ganz wesentlich davon ab, was das Geständnis Ihrer Meinung bewirken würde und ob es das ist, was Sie wollen. Mit welcher Reaktion Ihres Mannes rechnen Sie denn? Und könnten Sie damit leben? Wie wäre es umgekehrt? Angenommen, Ihr Mann hätte eine Nebenbeziehung – wäre Ihnen lieber, er würde alles auf den Tisch packen, oder sollte er das Ganze doch erst einmal für sich behalten? Wünschen Sie sich von ihm Bedenkzeit, um sich über Ihre Gefühle klarer zu werden? Nicht zuletzt könnte Ihre „Beichte“ ja auch ein Einstieg sein, gemeinsam ihre bestehende Beziehung zu überdenken und darüber zu sprechen, was Ihnen (beiden) fehlt und was Ihre Sehnsüchte sind – mit offenem Ausgang.