Aus unserer Rubrik „Ich hab da mal 'ne Frage“
Wenn die Eltern alt werden
Irgendwann kommt der Moment, in dem die eigenen Eltern nicht mehr so können, wie sie gern wollen. Darüber muss in Familien gesprochen werden. Aber wie? Und was können Angehörige tun, wenn Mutter und Vater jegliche externe Hilfe ablehnen?
Mein Vater ist 87 Jahre alt, meine Mutter 83. Sie wohnen noch in ihren eigenen vier Wänden und sagen, dass sie wunderbar allein zurechtkommen. Aber ich merke, wie sie zunehmend abbauen. Mein Vater wird immer vergesslicher und kann auch nicht mehr gut laufen. Meine Mutter hat Diabetes und andere Krankheiten. Trotzdem möchten beide keinen Pflegedienst oder dergleichen in die Wohnung lassen. Nur ich darf helfen. Natürlich will ich für meine Eltern da sein, schließlich haben sie auch viel für mich getan. Doch ich bin voll berufstätig, habe einen Mann, zwei Kinder und stoße zunehmend an meine Grenzen. Wie kann ich ihnen vorsichtig vermitteln, dass ich mich nicht allein um sie kümmern kann und wir Unterstützung von außen brauchen?
Das sagt der Experte:
Sie sprechen da ein Thema an, das viele Menschen beschäftigt. Irgendwann kommt einfach der Moment, in dem die eigenen Eltern nicht mehr so können, wie sie wollen. Darüber sollte in Familien möglichst frühzeitig geredet werden. Oft behindern unausgesprochene Erwartungen die Lösungsfindung.
So ein Gespräch fällt natürlich den wenigsten leicht, schließlich geht es ums Älter- und Schwächerwerden. Daher empfehle ich Ihnen, gut vorbereitet in den Austausch mit Ihren Eltern zu gehen und zuallererst ein paar Dinge mit sich selbst zu klären. Dazu gehören Fragen wie: Was leiste ich gerade alles für sie? Was davon kann ich mir vorstellen, auch weiterhin zu tun? Welche Aufgaben können vielleicht andere übernehmen? Und was glaube ich, erwarten meine Eltern eigentlich von mir?
Da Ihre aktuelle Situation ja nicht nur Sie betrifft, sondern Ihren Mann und Ihre Kinder, wäre es angebracht, auch mit ihnen zu sprechen. Haben Ihre Liebsten schon das Gefühl, zu kurz zu kommen, oder überwiegt eher die Sorge, dass Sie sich mit Job, Familienalltag und Pflege der Eltern zu viel zumuten? Unter Umständen kann Ihr Partner, wenn er Verständnis für Ihre Bredouille hat, eine wichtige Stütze sein. Holen Sie ihn gern mit ins Boot, wenn er nicht schon drinsitzt.
Gewiss liegt es nahe, dass letztlich Sie mit Ihren Eltern sprechen. Aber womöglich wäre auch Ihr Mann eine gute Wahl. Das könnte dann der Fall sein, wenn er einen guten Draht zu seinen Schwiegereltern hat und die sich von ihm sogar eher mal etwas sagen lassen. Auf jeden Fall könnte er eine ganz andere Perspektive in das Gespräch einbringen: Die des sich sorgenden Ehemanns, der seine Frau am Rande des Burnouts sieht.
MATTHIAS MÜLLER-GUTH
ist Psychologe am SOS-Familienzentrum Berlin. In der „Hellersdorfer“ beantwortet er Fragen von Leserinnen und Lesern zu den Themen Paarbeziehungen, Familienleben und Kindererziehung. Brauchen auch Sie einen guten Rat? Dann schreiben Sie uns eine E-Mail (redaktion@die-hellersdorfer.de) oder einen Brief („Die Hellersdorfer“, Döbelner Straße 4B, 12627 Berlin).
Überlegen Sie auch, ob Sie sich gleich mit beiden Eltern austauschen wollen oder es sinnvoller sein könnte, zunächst mit demjenigen zu sprechen, den Sie eher mit Ihren Argumenten erreichen.
Wenn die Zeit für ein offenes Gespräch reif ist, kommt es auch auf die Art der Kommunikation an. Ich würde nicht gleich zu Beginn ein Statement abgeben, sondern mich zunächst nach den Erwartungen meiner Eltern erkundigen. Wie stellen sie sich vor, soll es mit ihnen weitergehen, wenn der Alltag immer beschwerlicher wird? Versuchen Sie, die Wünsche und Bedürfnisse von Ihrer Mutter und Ihrem Vater in Erfahrung zu bringen. Sicher zeigt sich dann schon, ob beide nicht doch auch bereit sind, die Hilfe von anderen Angehörigen oder externen Dienstleistern in Anspruch zu nehmen.
Sollten Ihre Eltern jegliche Unterstützung von außen tatsächlich strikt ablehnen, ist es wichtig, dass Sie Ihnen klarmachen, was Sie als ihre Tochter selbst gern geben wollen und wo Ihre eigenen Grenzen sind. Versuchen Sie auch herauszubekommen, warum sich Ihre Eltern querstellen. Graut beiden davor, im Service-Dschungel verloren zu gehen oder bereitet es ihnen möglicherweise Unbehagen, einen Pflegedienst und damit eine fremde Person in die Wohnung zu lassen? Im ersten Schritt müssen noch keine perfekten Lösungen gefunden werden, vielmehr geht es um Verständigung. Wenn die erzielt ist, können Sie gemeinsam nach passenden Hilfsangeboten suchen. Die Pflegestützpunkte sind dafür eine gute Adresse. Dort erhalten sie unabhängige und kostenlose Information und Beratung rund ums Thema Pflege und Alter. In Marzahn-Hellersdorf gibt es drei Standorte: Blumberger Damm 2k (T. 270 04 98 40), Janusz-Korczak-Straße 17 (T. 0800 265 08 02 86 86) und Marzahner Promenade 49 (T. 514 30 93). Gutes Gelingen!