Comeback der FDP nach zehn Jahren BVV-Abstinenz

Interview mit der Fraktionsvorsitzenden Anja Molnar

Comeback der FDP nach zehn Jahren BVV-Abstinenz

Die Freien Demokraten sind zurück auf dem bezirksparlamentarischen Parkett. 5,3 Prozent der Wählerinnen und Wähler gaben der Partei bei der BVV-Wahl vor acht Wochen ihre Stimme. Das bedeutet einen Zugewinn von 2,8 Prozentpunkten und drei Sitze in der Bezirksverordnetenversammlung. An der Spitze der Fraktion steht Anja Molnar. Die gelernte Gärtnerin und Verwaltungsfachangestellte ist mit ihrer Familie vor fast 20 Jahren nach Marzahn-Hellersdorf gezogen. Im Interview spricht sie über drängende Themen in der neuen Legislaturperiode und warum sie sich ein stärkeres Marzahn-Hellersdorfer Selbstbewusstsein wünscht.

Die ersten Wochen nach den Wahlen waren geprägt von Sondierungsgesprächen und Postengeschacher. Jetzt aber kann die BVV-Arbeit losgehen. Haben Sie eigentlich in den zurückliegenden Jahren die monatlichen Sitzungen verfolgt?

Es waren seltener die vollen fünf Stunden, aber klar: Der Livestream lief schon gelegentlich. Noch intensiver haben wir uns mit den Ausschüssen befasst. Ich hoffe, dass dort künftig etwas lebendiger diskutiert wird, damit nicht so viel Zank im BVV-Saal ausgetragen werden muss. Auf jeden Fall bin ich sehr gespannt, was auf uns zukommt. Wir haben darauf so lange hingearbeitet und sind voll motiviert.

 

Bei den letzten beiden Wahlen ist Ihre Partei hier im Bezirk jeweils an der 3-Prozent-Hürde gescheitert. Warum, meinen Sie, lief es diesmal erfolgreicher?

Es ist immer schwer, konkrete Gründe zu nennen. Man lebt ja doch sehr in seiner eigenen Blase. Aber ich habe in den Gesprächen bei vielen Bürgern einen gewissen Willen und Wunsch zur Veränderung wahrgenommen. Die Leute waren bereit, auch anderen Parteien die Chance zu geben, den Bezirk stärker mitzugestalten. Und außerdem waren und sind in der Corona-Krise die Kernkompetenzen der FDP äußerst präsent – allen voran Digitalisierung, Freiheitsrechte und moderne Bildung. Die Antworten, die wir gegeben haben, sprechen wohl viele Menschen an. Jetzt müssen wir liefern. 

 

Eine Ihrer zentralen Forderungen ist die zukunftsgerechte Ausstattung von Schulen. Was muss auf jeden Fall Standard werden?

Das fängt schon ganz banal bei ordentlichen Kommunikationswegen an. Alle Schüler und Lehrer sollten mit einer „Schul-Dienst-Mail“ ausgestattet sein und nicht ihre privaten Accounts auf unsicheren Providern nutzen müssen. Mein Sohn geht auf eine Rudower Schule, die in Sachen Digitalisierung zeigt, was alles gehen kann. Das Homeschooling lief dort einfach top. Kein Lehrer hat analog irgendwelche Arbeitsblätter ausgegeben. Und über eine schuleigene App bekommen die Kids sogar die aktualisierten Stunden- und Vertretungspläne aufs Smartphone. Allerdings kann eine Schule noch so gut aufgestellt sein: Digitaler Unterricht gerade in Zeiten von Corona funktioniert nur, wenn Schüler zu Hause eigene arbeitsfähige Endgeräte haben. Da gibt es große Lücken.

 

In Berlin haben Zehntausende sozial benachteiligte Schüler Tablets erhalten. 

Es sollte doch aber Anspruch sein, jedem Kind den Zugang zu einem Tablet oder Laptop zu ermöglichen, völlig unabhängig vom Elternhaus. Denn auch für „Normalverdiener“-Familien mit mehreren schulpflichtigen Kindern stellt es eine erhebliche finanzielle Belastung dar, wenn plötzlich alle zu Hause ein eigenes Gerät brauchen. Vor allem während des Lockdowns hätte ich mir da mehr kreative Lösungen gewünscht. Zum Beispiel kam von der FDP Berlin die Anregung, Einrichtungen wie große Konferenzsäle in Hotels für kleine Schülergruppen zu öffnen. Denn da gibt es WLAN und häufig auch moderne Technik.

 

Was fällt Ihnen ad hoc zum Stichwort „bürgerfreundliche Verwaltung“ ein? 

Ganz grundsätzlich, dass man zeitnah einen Termin im Bürgeramt bekommt. Außerdem bin ich eine große Befürworterin des One-Stop-Shop-Konzepts. Es sollte perspektivisch für Bürger möglich sein, alle Dienstleistungen der Verwaltung an einem Ort in Anspruch nehmen zu können. Mein Mann und ich waren ehrenamtliche Vormünder für einen unbegleiteten Flüchtling. Sie können sich nicht vorstellen, wie viele verschiedene Ämter wir aufsuchen mussten, um alle Angelegenheiten zu klären und Anträge einzureichen.

 

Was sind für Sie besonders drängende Themen konkret in Marzahn-Hellersdorf?

Auf jeden Fall muss die TVO schnellstmöglich kommen. Ich denke auch, dass uns der Wohnungsbau und seine Auswirkungen schwer beschäftigen werden. In den Nachbarschaften regt sich immer größerer Widerstand gegen neue Vorhaben.

 

Die FDP im Bezirk hat sich mit öffentlichen Statements dazu bislang eher zurückgehalten. Wie ist Ihr Standpunkt: Jetzt sollen mal die anderen Bezirke ran, grüne Innenhöfe sichern oder aber kräftig weiterbauen?

Berlin braucht Wohnungen. Statt weiter Flächen in bestehenden Siedlungen zu versiegeln, dürfen die Neubauten auch gern in die Höhe gehen. Aber natürlich muss bei allem die Infrastruktur mitgedacht und mitrealisiert werden. Unser Ansatz ist außerdem, Kitas und Schulen verstärkt als Mehrzweckgebäude zu konzipieren. Schließlich können sich die Bevölkerungszahlen wieder in eine andere Richtung bewegen. Wenn ich sehe, wie lange die Schule am Elsengrund leer steht, frage ich mich, ob für den Standort nicht auch eine Zwischennutzung denkbar gewesen wäre. Jetzt ist das Gebäude so verwahrlost, dass es abgerissen werden muss. Schade.

Aber um zurück auf Ihre Frage zurückzukommen: Ich finde schon, dass weiter gebaut werden sollte. Dafür sind wir Großstadt. Ich möchte ja auch, dass meine Kinder hier immer eine Wohnung finden.

 

Sie sind gebürtige Berlinerin, aber erst 2002 mit der Familie nach Marzahn gezogen. „Lieber ‚nen Zahn zieh‘n als nach Marzahn zieh‘n“ galt für Sie offensichtlich nicht?

Nö, überhaupt nicht. Uns war wichtig, dass wir das „B“-Kennzeichen behalten, kurze Wege zu den Eltern und Schwiegereltern haben und mit der S-Bahn zur Arbeit ins Zentrum fahren können. Ganz ehrlich: Ich finde es problematisch, immer darauf hinzuweisen, dass wir als Bezirk ein schlechtes Image haben. Davon wird es nicht besser. Wir sollten da selbstbewusster auftreten und mit dem klingeln, was Marzahn-Hellersdorf zu bieten hat. Das ist eine ganze Menge.

 

Haben Sie auch einen Lieblingsort hier?

Schloss Biesdorf ist gleich um die Ecke. Wir sind gern dort. Das Programm auf der Parkbühne ist toll. Wir mögen es, gemütlich im Schloss-Café zu sitzen und haben uns auch schon mit anderen zum Picknick im Park getroffen.