Vom Marzahner Kiezkind zum Bürgermeister: Gordon Lemm zieht ins Rathaus ein

Konstituierende Sitzung der BVV am Donnerstag

Vom Marzahner Kiezkind zum Bürgermeister: Gordon Lemm zieht ins Rathaus ein

Das neue Bezirksamt, fast komplett: Bezirksbürgermeister Gordon Lemm (SPD) mit den Bezirksstadträt*innen Nadja Zivkovic (CDU), Nicole Bienge (SPD), Juliane Witt (Linke) und Torsten Kühne (CDU).
Das neue Bezirksamt, fast komplett: Bezirksbürgermeister Gordon Lemm (SPD) mit den Bezirksstadträt*innen Nadja Zivkovic (CDU), Nicole Bienge (SPD), Juliane Witt (Linke) und Torsten Kühne (CDU).

Gordon Lemm, bisher Stadtrat für Schule, Sport, Jugend und Familie, ist am Donnerstag zum Bezirksbürgermeister von Marzahn-Hellersdorf gewählt worden. Der 44-jährige SPD-Politiker erhielt bei der ersten konstituierenden Sitzung der BVV 33 Stimmen. 21 Verordnete stimmten gegen ihn. SPD, Linke, Grüne, FDP und Tierschutzpartei hatten im Vorfeld eine Zählgemeinschaft gebildet, um Lemm zum Bezirksoberhaupt zu machen.

Zehnmal mussten die 54 anwesenden Bezirksverordneten am Donnerstag zur Wahlurne schreiten. Neben dem Bezirksbürgermeister und seiner Stellvertreterin Nadja Zivkovic (CDU, 38 Stimmen) wurde auch Juliane Witt (Linke, 41 Stimmen) für eine weitere Legislaturperiode ins Bezirksamt gewählt. Neu als Stadträt*innen dabei sind Torsten Kühne von der CDU (38 Stimmen) und die Sozialwissenschaftlerin Nicole Bienge von der SPD (34 Stimmen). Die Wahl der ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Dr. Birgit Malsack-Winkemann war auf Antrag ihrer eigenen Partei am Abend überraschend vertagt worden (Welche Ressorts die Bezirksstadträt*innen bekleiden sollen, ist hier nachzulesen). 

 

Für die Funktionsfähigkeit des Bezirksparlaments wird künftig Steffen Ostehr verantwortlich sein. Der 35-jährige Linken-Politiker tritt als Vorsteher der BVV die Nachfolge von Kathrin Henkel (CDU) an. Auf Ostehr entfielen 31 Ja-Stimmen. Auch die Arzthelferin Medina Schaubert von der CDU hatte sich um das Amt beworben.

Die von Bündnis 90/Die Grünen vorgeschlagene Jura-und Politikstudentin Chantal Münster wurde mit 26 Stimmen zur stellvertretenden Vorsteherin gewählt. Dem neuen BVV-Vorstand gehören künftig zudem Luise Lehmann (SPD, 34 Stimmen) und Inka Seidel-Grothe (Tierschutzpartei, 41 Stimmen) an. Der Kandidat der AfD, Konstantin Krushinskij, hingegen fiel bei der Wahl der Beisitzer*innen durch. 

 

Kritik von der CDU an Ämter- und Ausschussaufteilung

Abgesehen von einer kurzen Unterbrechung, in der Wahlscheine nachgedruckt werden mussten, weil die Kandidatur von Medina Schaubert für den stellvertretenden BV-Vorsitz zuvor nicht bekannt gewesen war, lief die konstituierende Sitzung ziemlich reibungslos, aber keineswegs ohne Disharmonien. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Johannes Martin übte heftige Kritik am Vorgehen der anderen großen Parteien bei der Ämter- und Ausschussaufteilung und sprach dabei von einer „Zäsur“: „Dass eine Bezirksamtsbildung ohne eine vorherige Abstimmung und Verständigung mit der nach Wahlergebnis stärksten Kraft erfolgt, ist bisher undenkbar gewesen“, erklärte Martin. Er kenne die demokratischen Spielregeln. Die Bildung einer Zählgemeinschaft sei ein komplett legitimes Mittel, aber dass den Christdemokrat*innen als Wahlsieger*innen nicht einmal die Chance eingeräumt wurde, inhaltliche Schwerpunkte einzubringen und eine Verständigung über die Ressortverteilung zu erzielen, „entspricht nicht demokratischen Gepflogenheiten.“

 

Der neue Vorstand der BVV: Steffen Ostehr (Linke), Chantal Münster (Grüne), Inka Seidel-Grothe (Tierschutzpartei) und Luise Lehmann (SPD)
Der neue Vorstand der BVV: Steffen Ostehr (Linke), Chantal Münster (Grüne), Inka Seidel-Grothe (Tierschutzpartei) und Luise Lehmann (SPD)

 

Bezirksbürgermeister mit Marzahner Wurzeln

Gegen 20 Uhr erreichte die konstituierende Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung ihren Höhepunkt, als sich Gordon Lemm in einer sehr persönlichen Rede für das höchste Amt in Marzahn-Hellersdorf bewarb. Lemm, der 1982 mit seinen Eltern und zwei Geschwistern nach Marzahn gezogen war, berichtete von einer unbeschwerten, sorgenfreien Kindheit, seinem ersten Tadel 1986 wegen eines politischen Witzes und die Zeit der großen Tristesse, die ab Mitte, Ende der 90er Jahre im Bezirk einsetzte. Damals zogen immer mehr Menschen weg, Leerstand und Arbeitslosigkeit machten sich breit. „Wir hatten ein ganz veritables Gewaltproblem, insbesondere unter rechten organisierten Jugendlichen“, erinnert er sich. 

 

Diese Zeit habe das Bild von Marzahn-Hellersdorf in der öffentlichen Wahrnehmung nachhaltig geprägt – und auch ihn ganz persönlich. Als belastend beschrieb Lemm die zunehmend negativen Reaktionen, mit denen er sich konfrontiert sah, wenn in der Uni oder anderswo die Frage nach seiner Herkunft zur Sprache kam. Er habe damals zunehmend das Gefühl verspürt, sich dafür rechtfertigen zu müssen, aus Marzahn zu kommen – und er „hasse“ dieses Gefühl, „weil es ungerecht ist“, fügte er hinzu. „Wirklich niemand muss und sollte sich dafür schämen oder dafür rechtfertigen, wo er herkommt, wo er aufgewachsen ist oder wo er geboren wurde“, so Lemm. Dafür gab es großen Applaus in der zum Sitzungssaal umfunktionierten Sporthalle des Freizeitforums Marzahn. 

 

Fünf Jahre, fünf Ziele und Herausforderungen

Lemms Einstellung und das Fremdeln mit dem Bezirk änderten sich mit seinem politischen Engagement in der BVV ab 2006. Als „klassisches Kiezkind“ sei er eher selten aus seinem unmittelbaren Wohnumfeld rausgekommen. Als Verordneter und späterer Stadtrat lernte er den Bezirk dann aber in all seinen Faceteten als „großartig, lebens- und liebenswert“ kennen. Am beeindruckendsten seien für ihn „die Menschen, die sich hier im Bezirk engagieren“. Heute könne er sagen: „Ich bin stolz, dass ich aus Marzahn-Hellersdorf komme.“ 

 

In der neuen Wahlperiode werden die Unterstützung von Familien, der Kinderschutz und der Ausbau der sozialen Infrastruktur bei ihm weiterhin oberste Priorität haben, kündigte der Sozialdemokrat an. Für die kommenden fünf Jahre benannte er fünf große Ziele und Herausforderungen: die Realisierung des Kombibads, die bessere Ausstattung und Digitalisierung der Bezirksverwaltung, die geforderten Einsparungen von 16 Millionen Euro in 2022, Maßnahmen gegen den Klimawandel und das Vorhaben, Marzahn-Hellersdorf als Familienbezirk weiter zu profilieren. „Ich möchte gern, dass Familien wissen, dass wir nicht an ihren Bedarfen und an ihren Bedürfnissen sparen. Ich möchte gern, dass wir als Bezirk Marzahn-Hellersdorf in der ökologischen Krise unseren Beitrag leisten und ich möchte, dass kein Kind, kein Jugendlicher sich je Gedanken darüber machen muss, zu sagen, dass er aus Marzahn-Hellersdorf kommt“, so Lemm.