Die Zählgemeinschaft von SPD, Linken, Grünen, FDP und Tierschutzpartei steht
XXL-Bündnis will am Donnerstag Gordon Lemm an die Bezirksspitze wählen
Es sei ein „historischer Moment“ und eine „einmalige Verbindung“, sagte die SPD-Kreisvorsitzende Iris Spranger. Ihr Parteigenosse Günther Krug sprach von einem „ganz besonderen Ereignis“ und der Vorsitzende der FDP Marzahn-Hellersdorf, Roman-Francesco Rogat, freute sich über die „liberalste Zählgemeinschaft, die es in diesem Bezirk jemals gab“: Am Dienstag haben SPD, Linke, Grüne, FDP und Tierschutzpartei eine Zählgemeinschaftsvereinbarung unterzeichnet. Das Fünfer-Bündnis will am Donnerstag (4.11.) den bisherigen SPD-Stadtrat Gordon Lemm zum Bezirksbürgermeister wählen. Neben weiteren Personalien wurde sich in dem Papier auch auf grobe inhaltliche Punkte und die künftige Zusammenarbeit in der BVV verständigt.
„Wir werden berlinweit beobachtet. Man hat es uns erst nicht geglaubt, dass wir das gemeinsam inhaltlich stemmen können“, sagte Iris Spranger triumphierend beim Pressetermin im Foyer des Alten Rathauses Marzahn, ehe die Vertreter*innen der fünf Parteien ihre Unterschriften unter den Vertrag setzten. Wochenlang hatte es zuvor Gespräche in unterschiedlichen Konstellationen zwischen den Parteien gegeben. Wie alle Akteur*innen nun betonten, seien diese stets von gegenseitigem Vertrauen geprägt gewesen. Es müsse auch mal „menscheln zwischen den Personen“ und genau das mache dieses Bündnis ein Stück weit aus, bemerkte der Bezirksvorsitzende der Linken, Kristian Ronneburg.
Ihre am Mittag veröffentlichte Pressemitteilung hatten die Parteien mit der Ankündigung „Breites fortschrittliches Bezirksbündnis wird Marzahn-Hellersdorf in eine sozial gerechte und ökologisch verantwortungsvolle Zukunft führen“ überschrieben. In der Vereinbarung heißt es: „Wir treten für eine offene Gesellschaft ein und stehen für eine transparente Politik, die nah am Menschen agiert und das Wohl des Einzelnen und der gesamten Gesellschaft im Blick hat.“ Zu den festgehaltenen inhaltlichen Schwerpunkten gehören unter anderem der Kampf gegen Kinder- und Altersarmut, Maßnahmen für mehr Klimaschutz und die Modernisierung der Bezirksverwaltung. Außerdem wolle man in Sachen Kita, Bildung, Nachbarschaft, Freizeit, Verkehrsinfrastruktur und Arbeitsplätze vielfältige Angebote entwickeln und vorhalten.
Diese Themen sind den Bündnispartnern wichtig
Etwas konkretere Ausführungen machten die anwesenden Politiker*innen auf der Pressekonferenz. Wie von der Fraktionsvorsitzenden der Tierschutzpartei, Inka Seidel-Grothe, zu erfahren war, setzt sich diese zum Beispiel für eine Personalaufstockung im Veterinäramt ein und dafür, dass Marzahn-Hellersdorf tierversuchsfreier Bezirk bleibt. „Auch Bildung ist ein großes Thema in unserem Programm“, so Seidel-Grothe. Ihrer Partei sei es ein Anliegen, dass die Gartenarbeitsschule endlich umgesetzt werde und es in allen Schulen einen Schulgarten gebe.
„Der Klimawandel steht vor der Tür und auch wir in Marzahn-Hellersdorf müssen unseren Beitrag dazu leisten“, betonte Pascal Grothe von den Grünen. Seine Fraktionsvorsitzende Anne Thiel-Klein kündigte einen Klimaaktionsplan für den Bezirk an, dessen Umsetzung eng von einem Klima-Rat begleitet werde. Weiterhin wollen sich die Bündnisgrünen für die Unterstützung von Alleinerziehenden und die Etablierung eines Regenbogenzentrums starkmachen.
„Als FDP sind wir unter anderem angetreten für Verwaltungsmodernisierung, Digitalisierung und um eine funktionierende Struktur in der Bezirksverwaltung zu schaffen“, teilte Roman-Francesco Rogat mit. Er machte klar, wozu das Bündnis zunächst einmal in erster Linie ins Leben gerufen wurde: die Wahl des Bürgermeisters und weiterer Bezirksamtsmitglieder. Bei Twitter schrieb er anschließend: „Eine vertiefte inhaltliche Arbeit über die Legislaturperiode haben wir nicht verabredet. Für uns ist aber klar, dass wir in einem kollegialen Miteinander gemeinsame Projekte mit der CDU und der Zählgemeinschaft erarbeiten werden, um das Beste für unseren Bezirk herauszuholen.“
Für die SPD erklärte Iris Spranger, im Bezirk solle mit Seilbahn, Kombibad und den Gärten der Welt ein Freizeit- und Erholungscampus für alle Generationen entstehen. „Auch das Freizeitforum soll weiter zu einem wichtigen Standort für Kultur und Freizeit ausgebaut und gefördert werden.“
Kristian Ronneburg und Linken-Fraktionschef Bjoern Tielebein wiederum benannten als künftige Herausforderungen die sozialen Folgen der Pandemie und den Erhalt von Lebensqualität für alle Menschen. Dazu gehöre ein verträglicher Wohnungsneubau, „der Grünflächen schützt, und eine mitwachsende soziale Infrastruktur, die die Versorgung mit Kita- und Schulplätzen sicherstellt“, so Ronneburg.
Die Personalien stehen fest
Die Zählgemeinschaft möchte nicht nur den 44-jährigen Sozialdemokraten Gordon Lemm an der Bezirksspitze sehen, sondern hat auch vereinbart, die bisherige Stadträtin für Kultur, Weiterbildung, Soziales und Facility Management, Juliane Witt (Linke), sowie die Sozialwissenschaftlerin Nicole Bienge (SPD) ins Bezirksamt zu wählen. Witt wird künftig für Stadtentwicklung, Straßen und Grünflächen, Umwelt- und Naturschutz zuständig sein, während Bienge die Ressorts Jugend, Familie und Gesundheit verantworten darf. Lemm übernimmt zusätzlich zu Finanzen, Wirtschaft und Personal noch den Bereich Bürgerdienste.
Wie Juliane Witt berichtete, hatten sich am Montagabend alle Kandidierenden für das Bezirksamt den Fraktionen vorgestellt. Der AfD steht ein Stadtratsposten zu. Diesen soll die frühere Bundestagsabgeordnete Dr. Birgit Malsack-Winkemann bekleiden. Für sie ist das Ordnungsamt vorgesehen. Die CDU als stärkste Kraft wird wie die SPD mit zwei Stadträt*innen im neuen Bezirksamt vertreten sein: Nadja Zivkovic, bisher für Wirtschaft, Straßen und Grünflächen zuständig, soll das Sozialressort übernehmen und ihr Parteikollege Dr. Torsten Kühne, der aus dem Bezirksamt Pankow nach Marzahn-Hellersdorf wechselt, Schule, Sport, Facility Management, Weiterbildung und Kultur. Eine*r von beiden wird stellvertretende*r Bezirksbürgermeister*in.
Angesprochen auf die von der CDU geäußerte Kritik, sie werde bei der Verteilung der Posten außen vor gelassen und müsse sich mit dem begnügen, was die anderen Parteien übrig ließen, entgegnete Iris Spranger, die Christdemokraten würden mit Schule und Sport „ein Riesen-Gestaltungsressort“ erhalten. Und Juliane Witt ergänzte: „Die Vorstellung, dass einer sehr starken Partei durch die Zählgemeinschaft irgendetwas weggenommen werde, ist falsch.“
Fest steht allerdings, dass sich das Bündnis auch auf den künftigen Vorsteher des Bezirksparlaments verständigt hat. Das Amt soll nicht wie zuletzt von der CDU, sondern von einem Mitglied der Linksfraktion übernommen werden. Steffen Ostehr stellt sich zur Wahl. Seine Stellvertreterin wird wohl die Bündnisgrüne Chantal Münster.
Die komplette Vereinbarung zum Abschluss der Zählgemeinschaft können Sie sich hier als PDF herunterladen.