Erst Physio, dann Training

Aus unserer Rubrik "Und, was machen Sie beruflich?": Julian Bigott

Erst Physio, dann Training

Julian Bigott ist Physiotherapeut. Als Azubi kämpfte er für die Abschaffung des Schulgeldes an Privatschulen – mit Erfolg

Physiotherapeut Julian Bigott und Freundin sind vor Kurzem nach Mahlsdorf-Süd gezogen. Das erinnert den 23-Jährigen an den Umzug mit 16 Jahren, als er seinen Lebensmittelpunkt vom Wohnort der Mutter in Leipzig zum Haushalt des Vaters in Köpenick verlegte. – Ein Umzug in ein anderes Bundesland und somit in ein anderes Bildungssystem, was das Lernen am Ale­xander-von-Humboldt-Gymnasium erschwerte. Vor allem, weil er „der Sachse“ war, eckte er bei Mitschülern an. Entscheidungen von Lehrern, die er als ungerecht empfand, konnte der Abiturient nur schwer akzeptieren. Am Ende reichte das Abitur nicht für das angestrebte Medizinstudium, denn hierfür setzen die meisten Unis einen Notendurchschnitt von 1,0 voraus.

 

Während seiner dreijährigen Ausbildung zum Physiotherapeuten ab 2016 in Berlin-Weißensee kämpfte er für die Schulgeld-Freiheit an Berliner Privatschulen. Zu dem Erfolg der Aktion, an der Julian maßgeblich beteiligt war, trugen zwei große Demonstrationen in der Berliner City und ein Gespräch mit dem damals zuständigen Staatssekretär bei. Schließlich war es ein unhaltbarer Zustand: Im ganzen Land mangelte es an Therapeuten, doch den Beruf zu erlernen, wurde erschwert. So berichtet Julian, dass Auszubildende – trotz abrechenbarer Leistungen während ihrer Praktika – mindestens 300 Euro monatliches Schulgeld zu zahlen hatten. Macht insgesamt über 10.000 Euro. Viele Schüler wurden somit in einen Nebenjob gezwungen. Erstaunlicherweise „darf man nach der Ausbildung absolut nichts machen, außer massieren“, fügt Julian noch hinzu. Obwohl die Absolventen die gängigen Behandlungsmethoden gelernt haben, in Prüfungen abgefragt und getestet wurden, müssen sie nach der Lehre Weiterbildungen besuchen und investieren noch einmal Zeit, Kraft und viel Geld. So kostet ein für die Berufsausübung unabdingbarer Kurs für manuelle Therapie etwa 3.700 Euro.

 

Physiotherapeuten sind häufig die erste Anlaufstelle nach der ärztlichen Diagnose bei Akut-Beschwerden. Doch mit einer Serie von sechs bis zehn Physio-Einheiten ist das Problem meistens noch nicht aus der Welt. Für einen langfristigen Erfolg braucht es die Aktivität der Betroffenen selbst, zum Beispiel in einem Rehabilitationszentrum. Als ein solches ist auch die „Medizinische Trainingstherapie“ in der Gemeinde Hoppegarten zu verstehen, wo Julian gleich nach Berufsabschluss zu arbeiten begann und seitdem Leitung und Organisation innehat. Dass es kein einfaches Fitnessstudio ist, lassen allein schon die Geräte erkennen. Individuell erstellten Trainingsplänen liegen umfangreiche Analysen von Maximalkraft und Beweglichkeit zugrunde. Dass viele Leute „Rücken haben”, erklärt Julian mit einer zu schwachen Rumpfmuskulatur und muskulären Dysbalancen. Daher gilt das Motto: Rumpf ist Trumpf.

 

Weil die Bedienung der hochmodernen Geräte ungewohnt ist, überlege er oft, wie er sie neuen Klienten am besten erklärt. „Manchen Kunden ist es peinlich, wenn sie etwas nicht gleich verstehen.” In solchen Situationen hilft dem Physiotherapeuten seine freundliche, empathische und gelassene Art. Er versteht es einfach, den Menschen Mut zuzusprechen. 

Sport lag Julian Bigott schon immer am Herzen. In der Jugend probierte er Judo, Volleyball und Fußball aus. Später verschrieb er sich dem Golfen, hat es aber zurzeit zugunsten seiner Karriere ausgesetzt. Denn gerade bewegt das Leben ihn und nicht umgekehrt. Wenn alles klappt, wird er nach seinem Fernstudium der Betriebswirtschaft im nächsten Jahr eine Praxis für Physiotherapie eröffnen.

 

Ute Bekeschus