Für die langjährige Bezirksbürgermeisterin beginnt jetzt ein neuer Lebensabschnitt
Abschiedsinterview mit Dagmar Pohle
Nach vier Legislaturperioden als Stadträtin und zehn Jahren als Bezirksbürgermeisterin ist Schluss. Dagmar Pohle (Linke) hat die Schlüssel fürs Rathaus in Helle Mitte an ihre Parteikollegin Juliane Witt übergeben. Den Kampf ums höchste Amt im Bezirk kann sie nun entspannt aus dem wohlverdienten Ruhestand mitverfolgen. Wir haben die 68-Jährige in ihrer letzten Arbeitswoche zum Interview getroffen.
Frau Pohle, was wollten Sie als Kind werden?
Als ich noch relativ klein war: Eisverkäuferin. Später konnte ich mir vorstellen, in die Landwirtschaft zu gehen, aber es wurde dann doch ein Philosophie-Studium, weil ich die Welt verändern wollte.
Es ist vielleicht nicht die ganze Welt geworden, aber immerhin ein Bezirk mit Großstadt-Format, dessen Entwicklung Sie jahrzehntelang maßgeblich mitgestaltet haben. Jetzt beginnt ein neues Kapitel. Gehen Sie mit einem guten Gefühl?
Ja. Ich denke, es wäre schwieriger gewesen zu warten, bis sich das neue Bezirksamt konstituiert hat. Man weiß ja nicht genau, wann es so weit sein wird. Diesen Schwebezustand wollte ich mir nicht geben. Mir war wichtig, selbst zu bestimmen, wann der letzte Tag sein wird. Und ich kann für mich jetzt sagen: Ich habe meine Arbeit wirklich so zu Ende gebracht, wie es vorgesehen war und wie ich gewählt worden bin.
Hier im Büro steht noch ein Sparschwein mit der Aufschrift „Bitte nicht noch einmal“. Das haben Sie 2019 überreicht bekommen, als Marzahn-Hellersdorf nach jahrelanger Konsolidierung als letzter Berliner Bezirk Schuldenfreiheit vermelden konnte. Wollen Sie das als Erinnerung mitnehmen?
Nein, das lasse ich hier – verbunden mit der Hoffnung, dass sich mein Nachfolger oder meine Nachfolgerin die Botschaft zu Herzen nimmt.
Auch als der Bezirk wieder in den schwarzen Zahlen war, haben Sie weiterhin auf eine hohe Finanzdisziplin gepocht. Kamen Sie sich da manchmal wie eine Spielverderberin vor?
Irgendwie schon. Ich habe dann gern gesagt: „Sie wissen doch: Das Lieblingswort der Finanzerin ist Nein.“ Aber im Ernst: Uns ist in dieser Legislaturperiode eine, wie ich finde, gute Balance gelungen. Durch den entstandenen finanziellen Spielraum konnten wir zum Beispiel mehr Personal einstellen, die Jugendfreizeiteinrichtungen besser ausstatten und andere Investitionen tätigen, die vorher nicht möglich waren. Aber die Haushaltssituation wird durch die Corona-Krise nicht besser, daher plädiere ich nach wie vor dafür, den Ball an manchen Stellen lieber ein bisschen flacher zu halten.
Wenn Sie zurückblicken, was sehen Sie neben dem Abwerfen der millionenschweren Schuldenlast noch als wichtigen Erfolg?
Dass die Kassenärztliche Vereinigung endlich unseren Bedarf in der ambulanten Versorgung anerkannt hat und bestrebt ist, eine gerechtere Verteilung der Hausarztsitze in Berlin hinzubekommen. Wir mussten da viele Jahre lang wirklich dicke Bretter bohren. Das war zermürbend. Jetzt endlich gibt es einen Förderplan, mit dem Anreize geschaffen werden sollen, um Ärztinnen und Ärzte auch in unterversorgte Bezirke wie unseren zu bewegen.
Die Kassenärztliche Vereinigung will in dem Zusammenhang auch eigene Arzthäuser betreiben und damit gerade junge Medizinerinnen und Mediziner herlocken, die lieber angestellt als selbstständig sein wollen. Sie hätten gern, dass die erste KV-Praxis in Marzahn-Hellersdorf entsteht. Wo genau?
Ich habe mir mit der zuständigen Projektleiterin von der KV einige Immobilien angeschaut und halte das Gut Hellersdorf für einen geeigneten Ort. Rund um das Areal entstehen 1.500 Wohnungen. Viele der neuen Bewohnerinnen und Bewohner werden einen Hausarzt im Umfeld brauchen. Es hat bereits Gespräche mit der Gesobau gegeben. Ich bin da recht zuversichtlich.
Sie sprechen es an: Nach Jahren des Stillstands drehen sich in Marzahn-Hellersdorf wieder ohne Ende die Kräne. Immer mehr Menschen wird das aber mittlerweile zu viel.
Andere wiederum empfinden es als außerordentlich positiv, dass der Bezirk so eine städtebauliche Entwicklung nimmt und hier wieder neue Wohnungen, Kitas und Schulen entstehen. Natürlich gibt es Schöneres, als gerade eine Baustelle vor der Nase zu haben. Den Vorwurf, hier werde alles plattgemacht und jegliches Grün zerstört, möchte ich aber zurückweisen. Wir gehören nach wie vor zu den grünsten Bezirken. Allerdings könnten wir uns tatsächlich mehr Mühe geben, das bestehende Grün angemessen zu pflegen und aufzuwerten. Mein Wohngebiet zum Beispiel ist über 40 Jahre alt. Dort müssten eigentlich einige nicht mehr klimaresistente Bäume und Sträucher ausgetauscht und Flächen attraktiver gestaltet werden. Ich glaube, dass es für das Bezirksamt eine Aufgabe der kommenden Jahre sein wird, ein umfassendes Pflege- und Entwicklungskonzept fürs öffentliche Grün zu erarbeiten.
Der Wohnungsbau war auf jeden Fall ein bestimmendes Thema im Wahlkampf. Auch jetzt in den Sondierungsgesprächen spielt er eine zentrale Rolle. Eigentlich sind sich alle Parteien einig, dass jetzt mal in anderen Bezirken gebaut werden muss.
Je näher der Wahltermin rückte, desto präsenter wurde das Thema. Ich erinnere mich noch gut: 2019 – im Jahr vor Corona – war ich auf über 30 Informationsveranstaltungen. Als Stadtentwicklungsamt haben wir dort gemeinsam mit Wohnungsunternehmen diverse Bauvorhaben vorgestellt. Die häufigsten Fragen waren damals: Wann und wie wird gebaut? An wen kann ich mich wenden, wenn es zu laut wird und wie viele Parkplätze entstehen? Eher selten ging es um soziale Infrastruktur. Stimmung wurde dann von außen gemacht – entweder vor oder nach den Terminen.
Wir brauchen nun mal mehr Wohnungen in der Stadt und übrigens begreife ich die neuen Quartiere auch als Chance, an einigen Orten in unserem Bezirk wieder eine ausgewogenere soziale Durchmischung der Bewohnerschaft zu erlangen.
Welche großen Herausforderungen kommen auf das neue Bezirksamt in den nächsten Jahren zu?
Wichtig werden in jedem Fall die Fragen des öffentlichen Personennahverkehrs und der kurzen Wege. Sie sind aber auch besonders knifflig, weil der Bezirk nur teilweise zuständig ist. Vielerorts scheint es für die Menschen noch nicht attraktiv genug zu sein, das Auto stehen zu lassen und Bus oder Bahn zu nehmen, weil die nächste Haltestelle zu weit entfernt ist. Das muss sich ändern.
Außerdem brauchen wir mehr und besser ausgebaute Radwege. Auch das Thema Bürgerbeteiligung wird zunehmend an Gewicht gewinnen. Durch die Pandemie sind wir leider in der Hinsicht ein Stück zurückgeworfen worden.
Die Hellersdorfer: Für die Umsetzung welcher Projekte drücken Sie in der neuen Wahlperiode besonders fest die Daumen?
Ich hoffe, dass die Verkehrslösung Mahlsdorf, die TVO und die Ortsumfahrung Ahrensfelde zügig vorankommen und die neuen Schulen wie geplant gebaut werden. Außerdem hat sich der Bezirk für das Bundesprogramm Aktive Zentren beworben. Es wäre toll, würden wir den Zuschlag für die Helle Mitte bekommen, um den Standort weiter zu stärken.
Sie werden das sicher alles verfolgen.
Na klar. Ich bin 1978 hierhergezogen, meine Kinder sind im Bezirk aufgewachsen, mein ganzes Familienleben hat sich hier abgespielt, die Arbeit auch. Marzahn-Hellersdorf ist meine Heimat. Insofern habe ich weiter ein Interesse daran, dass sich hier alles gut entwickelt.
Wenn Sie jetzt nicht mehr täglich zur Arbeit fahren müssen, worauf freuen Sie sich da am meisten?
Aufs Ausschlafen. Man unterscheidet ja gern zwischen Morgen- und Nachtmenschen. Ich bin eher der Eulentyp. Abends lange zu arbeiten, hat mir nie etwas ausgemacht. Mir fehlte nur morgens der Schlaf.
Und haben Sie schon Pläne für den Ruhestand?
Eine Gasthörerschaft an der Berlin School of Public Health steht ganz oben auf meiner To-do-Liste. Außerdem werde ich jetzt mehr Zeit haben, Bücher zu lesen und Gesundheitssport zu treiben. Worum ich mich auf jeden Fall kümmere, ist eine Mitgliedschaft beim TTC Berlin Eastside. Die Tischtennisspielerinnen sind einfach klasse und die möchte ich auf diese Weise unterstützen. Vorschläge und Anfragen, was ich alles machen könnte, gibt es etliche. Es wird bestimmt nicht langweilig.