Open-Air-Interview mit Renate Zimmermann und Maike Niederhausen
„Bei uns müssen die Bücher leben“
Eröffnungen und Schließungen, Stellenauf- und Wiederabbau, Digitalisierung und Modernisierung: Diese zwei Frauen haben die wechselvolle Geschichte der Bibliotheken im 1979 gegründeten Bezirk nicht nur miterlebt und begleitet – sie sind ein wichtiger Teil davon. Maike Niederhausen war Anfang der 80er Jahre in Kaulsdorf die jüngste Bibliotheksleiterin weit und breit. Renate Zimmermann hat ursprünglich Zootechnikerin gelernt, schulte aber schnell um. Ihre erste berufliche Station im Bezirk war 1989 die Bücherei in Kaulsdorf-Nord. „Ich bin quasi vom Kuhstall in die Bibliothek“, sagt sie schmunzelnd.
Seit zwei Jahrzehnten gehören beide zu den kreativen Köpfen der Bezirkszentralbibliothek „Mark Twain“ im Freizeitforum Marzahn. Wir trafen das Duo auf dem Dach des Kulturtempels, um mit ihnen über ihre Arbeit, die Situation in der Pandemie und geplante Veranstaltungen zu sprechen.
Die Corona-Pandemie hat den Bibliotheken überall im Land stark zugesetzt und zahlreiche Besucher gekostet. Ihnen erging es da sicher nicht anders?
Maike Niederhausen: Die Nutzerzahlen und Entleihungen sind tatsächlich stark eingebrochen. Trotz der Rückkehr zu den regulären Öffnungszeiten nehmen wir bei den Leuten eine starke Zurückhaltung wahr. Es ist eine enorme Kraftanstrengung nötig, um wieder so viele Besucher wie vor der Krise zu uns zu locken.
Renate Zimmermann: Immerhin ist es jetzt samstags wieder deutlich voller, aber unter der Woche gibt es manchmal Tage, an denen ab 18 Uhr gespenstische Stille in der Bibliothek herrscht.
Die Mark-Twain-Bibliothek ist für ihr umfangreiches Veranstaltungsprogramm bekannt. Dieser Bereich kam monatelang völlig zum Erliegen. Wie sieht es jetzt aus?
Renate Zimmermann: Die ersten Veranstaltungen sind angelaufen, können aber aufgrund der Infektionsschutzverordnung nach wie vor nur im Mini-Rahmen stattfinden. Das gilt sowohl für den Vormittagsbereich mit unseren Kitagruppen und Schulklassen als auch für das Abendprogramm. Wir fühlen uns schon stark ausgebremst.
Maike Niederhausen: Es kommt uns so vor, als wären wir in voller Fahrt mit 200 km/h gegen einen Prellbock gerast. Unser Besucherrekord vor Corona lag bei 270. Aktuell sind 64 Plätze verteilt auf drei Etagen das absolute Maximum des Möglichen. Glücklicherweise verfügen wir über derart großzügige Räumlichkeiten, sonst könnten wir hier mit 1,50 Meter Abstand wahrscheinlich nur 20 Gäste begrüßen. Von diesen tollen Bedingungen träumen andere Häuser.
Aber auch nicht alle Bibliotheken in der Stadt setzen auf kulturelles Programm.
Renate Zimmermann: Das stimmt. Für uns wäre das unvorstellbar. Veranstaltungen organisieren – das ist genau unser Ding.
Maike Niederhausen: Insofern sind wir vielleicht nicht die typischen Bibliothekarinnen, sondern eher kleine Kulturmanagerinnen. Wir lieben es, wenn hier im Haus ordentlich die Post abgeht. Bei uns müssen die Bücher leben.
Können Sie uns eine kleine Vorschau auf das geben, was demnächst ansteht?
Renate Zimmermann: Wir freuen uns zum Beispiel auf das Konzert von Leonie Mikkie und Melissa Luna am 8. Oktober und auf den Besuch von Petra Pau, die am 21. Oktober mit ihrem Anekdoten-Buch „Gott hab sie selig“ Gast unserer Reihe „Lebende Bücher“ ist. Beide Veranstaltungen beginnen um 20 Uhr.
Maike Niederhausen: Zu meinen persönlichen Highlights gehört die Lesung von Arnon Grünberg am 8. November. Der niederländische Autor mit jüdischen Wurzeln kommt extra unseretwegen aus New York nach Marzahn und hat seinen neuen Roman „Besetzte Gebiete“ im Gepäck. Ich habe das Buch schon gelesen. Es ist sensationell geschrieben.
Wir sitzen gerade auf einer der neu gestalteten Dachterrassen des Freizeitforums. Wann finden hier eigentlich die ersten Events unter freiem Himmel statt?
Renate Zimmermann: Wenn es nach uns geht, lieber heute als morgen. Aber es sind noch immer nicht alle Fenster im Zuge der energetischen Sanierung des Freizeitforums ausgetauscht und so lange werden die Dachflächen vom Bauamt nicht abgenommen. Wir hoffen hier spätestens im kommenden Frühjahr auf tolle Open-Air-Konzerte, Lesungen und Buchbesprechungen.
Die Terrasse bietet einen sagenhaften Blick auf Marzahn und hat auf jeden Fall das Potenzial zum Kulturdachgarten.
Maike Niederhausen: Ja, es ist wirklich traumhaft geworden mit den Pergolen, den Bäumen, den Sitzgelegenheiten und den liebevoll angelegten insektenfreundlichen Beeten. Ich finde die Atmosphäre hier oben sehr besonders. Veranstaltungstechnisch ist viel möglich. Exakt so hat sich das der Architekt des Freizeitforums, Prof. Eisentraut, übrigens von Anfang an vorgestellt. Er war und ist ein Visionär.