SPD steht bei der Generation Z im Bezirk hoch im Kurs | deutliches Votum für KJP
Wahlen: Die Jugend hat vorgelegt
Bundestag, Abgeordnetenhaus, BVV und Volksentscheid: Noch fünfmal schlafen, dann ist Super-Wahlsonntag. Während allen wahlberechtigten Erwachsenen, die nicht schon per Brief abgestimmt haben, ein paar Tage Zeit bleiben, um über ihre Entscheidung nachzudenken, waren die Kinder und Jugendlichen bei den symbolischen U18-Wahlen bereits in der vergangenen Woche gefragt. Nun sind die Ergebnisse da. Das Rennen in Marzahn-Hellersdorf hat die SPD gemacht. Außerdem stimmten – Stand jetzt – über 73 Prozent der Teilnehmenden für die Einführung eines bezirklichen Kinder- und Jugendparlaments (KJP).
Berlinweit setzten die meisten der „Generation Greta“ bei den Grünen ihr Kreuz. Auch in Marzahn-Hellersdorf gaben viele junge Wählerinnen und Wähler vermehrt Parteien mit einem starken Fokus auf Umwelt- und Klimathemen ihre Stimme. Stärkste Kraft im Bezirk aber sind die Sozialdemokraten geworden. Sie hatten bei der nicht-repräsentativen Abstimmung zum Abgeordnetenhaus in zwei von drei Marzahn-Hellersdorfer Wahlkreisen die Nase vorn und würden bei der Bundestagswahl 19,9 Prozent der Stimmen auf sich vereinen – gefolgt von CDU (16,2 %), Grünen (12,7 %), Linken (11,7 %) und Tierschutzpartei (11,3 %). Auch FDP (8,5 %) und AfD (7,2 %) kämen über die 5-Prozent-Hürde. Außerdem gab es viel Zuspruch für die kleineren Parteien: rund 12,5 Prozent.
Klares „Ja“ zum Kinder- und Jugendparlament
Insgesamt haben in Marzahn-Hellersdorf knapp 5.000 Kinder und Jugendliche bei der U18-Bundestagswahl abgestimmt. Das ist Rekord – ebenso wie die Zahl der selbstorganisierten Wahllokale: An 41 Standorten konnte gewählt werden. Zusätzlich tourte ein Wahlmobil durch den Bezirk, um an Schulen, in Jugendklubs und bei Veranstaltungen noch mehr jungen Menschen die Teilnahme zu ermöglichen.
Eine bundesweite Besonderheit gab es im Bezirk auch noch: Parallel zu den Wahlen durfte über die Gründung eines Kinder- und Jugendparlaments in Marzahn-Hellersdorf abgestimmt werden. Mit 2.283 Ja-Stimmen zu 869 Nein-Stimmen fiel das Votum klar für die neue Interessenvertretung aus. Im Herbst soll es damit losgehen. Immerhin 894 Kinder und Jugendliche gaben an, sich sogar eine Mitwirkung in dem Gremium vorstellen zu können.
Das U18-Wahlprojekt gehört zu den größten Bildungsinitiativen Deutschlands. Es soll dazu beitragen, den Anliegen jüngerer Menschen Gehör zu verschaffen. Noch dazu werden die Kinder und Jugendlichen animiert, sich mit den Programmen der Parteien sowie ihren eigenen politischen Standpunkten auseinanderzusetzen. Und sie erhalten Gelegenheit, mit Politikerinnen und Politikern aus ihrem Wahlkreis ins Gespräch zu kommen. In Marzahn-Hellersdorf stellten sich Kandidierende zum Beispiel in einem Podcast den kritischen Fragen der Jugend. Koordiniert wurden die U18-Wahlen erneut durch das bezirkliche Kinder- und Jugendbeteiligungsbüro (KJB).
Wahlparty mit Elefantenrunde
Zum großen Finale am vergangenen Freitag stieg auf dem Victor-Klemperer-Platz vor der Jugendfreizeiteinrichtung FAIR eine große Wahlparty mit Live-Musik und Wahlurnen-Contest. Bevor nach 19 Uhr die ersten Hochrechnungen eintrudelten, standen Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Parteien in einer Elefantenrunde den Kids Rede und Antwort. Gesprochen wurde unter anderem über den angespannten Berliner Wohnungsmarkt, neue Schulfachideen und zeitgemäße Wahlwerbung. Ans Mikrofon traten:
- Pascal Grothe (28, Grüne), Kreisverbandssprecher seiner Partei und Direktkandidat für die Wahl zum Abgeordnetenhaus im Wahlkreis 4 (Biesdorf, Springpfuhl, Friedrichsfelde-Ost)
- Bjoern Tielebein (38, Linke), Fraktionsvorsitzender der Linken in der BVV und Direktkandidat für die Wahl zum Abgeordnetenhaus im Wahlkreis 1 (Ahrensfelde-Süd, Marzahn-West, Marzahn-Ost)
- Ben Schneider (23, SPD), Juso-Vorsitzender in Marzahn-Hellersdorf
- Mario Czaja (45, CDU), Bundestagskandidat
- Inka Seidel-Grothe (59, Tierschutzpartei), Landeslistenplatz 2 und Direktkandidatin für die Wahl zum Abgeordnetenhaus im Wahlkreis 1 (Ahrensfelde-Süd, Marzahn-West, Marzahn-Ost)
- Roman-Francesco Rogat (32, FDP), Bezirksvorsitzender seiner Partei und Direktkandidat für die Wahl zum Abgeordnetenhaus im Wahlkreis 6 (Kaulsdorf-Nord, Hellersdorf-Süd)
Die Teilnehmenden der Elefantenrunde v. l. n. r.: Mario Czaja (CDU), Roman-Francesco Rogat (FDP), Inka Seidel-Grothe (Tierschutzpartei), Bjoern Tielebein (Linke), Ben Schneider (SPD) und Pascal Grothe (Grüne). Im Hintergrund: Jugendstadtrat und Schirmherr der Veranstaltung, Gordon Lemm (SPD)
Für den Auftakt hatten sich die U18-Peers eine für Bewerbungsgespräche typische „Stressfrage“ überlegt. Sie wollten von den Politiker*innen wissen, welches Teil eines Fahrrads sie denn wären.
Pascal Grothe, der am wenigsten Zeit für eine schlagfertige Antwort hat, entscheidet sich für die Kette: „Weil ich manchen sehr auf die Kette gehe“, lautet seine Begründung.
Bjoern Tielebein identifiziert sich am ehesten mit der Klingel. „Die macht viel Krach, ist laut und unbequem, wie man als Linker halt so sein sollte.“
Ben Schneider antwortet: „Mein Lieblingsteil am Fahrrad ist der Dynamo, der hat immer Energie, macht ordentlich Licht und führt damit meistens auch in die richtige Richtung.“
Mario Czaja sieht sich in der Rolle der Pedale. „Die bringen einen so richtig voran und ich glaube, das passt zu uns Kiezmachern.“
Inka Seidel-Grothe hätte sich am liebsten auch für den Dynamo entschieden. Da der aber schon vergeben ist, nimmt sie das Rad, „weil es etwas bewegen kann“.
Roman-Francesco Rogat hingegen wählt die Gangschaltung. „Denn ich glaube, wir können noch einen Gang zulegen und überall schneller werden – beim Wohnungsbau zum Beispiel oder auch bei der Digitalisierung.“
Sollte es einen neuen Fächerkanon an Schulen geben?
Wird in den Schulen zu viel lebensfernes Wissen vermittelt, statt die Schülerinnen und Schüler auf die Zukunft vorzubereiten? Sollten Kinder und Jugendliche zum Beispiel mehr über Klimagerechtigkeit, Feminismus und Gleichstellung lernen oder hätten es noch ganz andere Unterrichtsfächer verdient, in den Lehrplan integriert zu werden?
Das meinen die Vertreterinnen und Vertreter der Parteien in der Elefantenrunde:
Mario Czaja ist kein Freund davon, ständig neue Forderungen nach der Einführung neuer Schulfächer aufzustellen: „Wichtig wäre erst einmal, dass Unterricht nicht so oft ausfällt und gesellschaftlich relevante Themen im Sozialkundeunterricht oder anderen bestehenden Fächern mit eingebunden werden“, erklärt er.
Inka Seidel-Grothe findet schon, dass Themen wie etwa Gesundheit, Ernährung und Ethik in den Rahmenlehrplan gehören. Außerdem komme praktisches Lernen in den Schulen viel zu kurz. „Wir sind dafür, Lernwerkstätten wie das Helleum zu fördern. Die Schüler*innen sollen Praxisausflüge machen, Berufe kennenlernen und eben nicht nur im Klassenzimmer sitzen und dort pauken.“
Roman-Francesco Rogat warnt davor, immer mehr in die Stundenpläne reinquetschen zu wollen. Aber auch er spricht sich für ein Plus an Praxis aus. „Ich kann mir gut vorstellen, dass man so etwas wie Werkunterricht wieder stärker verankert in Schulen.“ Außerdem plädiert der FDP-Politiker wenig überraschend für mehr ökonomische Wissensvermittlung in den Klassenzimmern.
„Lebenskunde oder politische Bildung müssten noch viel stärker im regulären Lehrplan berücksichtigt werden“, betont Pascal Grothe. Andere gesellschaftsrelevante Themen ließen sich zudem sehr gut als übergreifende Querschnittsziele verschiedener Fächer vermitteln. „Projektunterricht kann eine gute Abwechslung zum alltäglichen Lernen sein“, so der Grünen-Politiker.
Die gesellschaftlichen Herausforderungen ändern sich, insofern sollte sich auch Unterricht wandeln, meint Bjoern Tielebein. Ihm sei aber wichtig, nicht allein Politik darüber entscheiden zu lassen, welche zusätzlichen Fächer es geben sollte. „Es braucht da ein partnerschaftliches Verhältnis und Diskussionen mit Schüler*innen und Lehrer*innen“, erklärt er.
Auch Ben Schneider fordert eine „lebenswirklichere Schule“ mit „Inhalten, die den jungen Menschen auch einen Mehrwert bieten“. Er wünscht sich wie Tielebein bei der Frage nach möglichen neuen Lerninhalten weniger Vorgaben von der Politik und mehr Mitsprachrecht für Schülerinnen und Schüler. Und er will Schule „nicht nur als 45-minütige Blöcke“ verstanden wissen, sondern ganzheitlich betrachten. „Wir müssen gucken, wie wir im Ganztag auch Arbeitsgemeinschaften präsent machen, wie wir Schulgärten fördern und Projekte wie das Helleum sinnvoll in Schulkonzepte eingliedern.“
„Deutsche Wohnen & Co. enteignen“?
Natürlich gibt es in der Runde auch zum Volksentscheid verschiedene Auffassungen. Die SPD lehnt es mehrheitlich ab, Immobilienkonzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen zu enteignen. Ihr Jugendverband sieht das anders, wie Ben Schneider deutlich macht: „Meine Partei hat da eine andere Auffassung in ihrer Mehrheit gefunden.“ Er persönlich finde den Volksentscheid aber „nicht falsch“. Deutsche Wohnen, Vonovia und andere Private hätten den Wohnungsmarkt in den letzten Jahren in eine schlechte Richtung entwickelt und als Vermieter „keine gute Figur“ abgegeben.
Roman-Francesco Rogat argumentiert: „Das Grundproblem ist, dass wir zu wenig Wohnraum in Berlin haben. Die Enteignung aber schafft keine einzige neue Wohnung.“ Zudem verweist er auf die hohen Entschädigungskosten, die das Land Berlin schätzungsweise zu tragen hätte. „30 Milliarden Euro sind viel zu viel Geld.“
Auf die Frage einer 16-Jährigen, wie es gelingen könne, mehr bezahlbare Wohnungen zu schaffen, antwortet Bjoern Tielebein, der das Volksbegehren unterstützt: „Aus meiner Sicht wäre es gut, wenn Wohnungen erst mal nicht Profitinteressen unterliegen und allen Leuten gehören würden.“ Den Bau neuer Wohnungen sollten nach seiner Vorstellung nach daher möglichst auch die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften übernehmen. „Und wir dürfen keine Grundstücke mehr verkaufen, damit Private Geld daraus machen, sondern die Flächen selbst nutzen, um Wohnraum für alle zur Verfügung zu stellen.
Sind Wahlplakate noch zeitgemäß?
Nein, sagt Inka Seidel-Grothe mit Verweis auf den dadurch entstehenden Müll. „Wir haben uns diesmal noch dafür entschieden, aber zukünftig würden wir gern auf Wahlplakate verzichten wollen.“
Roman-Francesco Rogat hingegen findet, „die gehören ein Stück weit dazu“, aber er könnte sich einen maßvolleren Umgang damit vorstellen.
Mario Czaja nimmt bei den Menschen nach wie vor den „Wunsch nach Plakaten und nach Sichtbarkeit der Positionen“ wahr.
Der Wahlkampf dürfe nicht zum Müllproblem werden, bemerkt Pascal Grothe. „Deshalb setzen wir ausschließlich auf Pappplakate, die zu über 90 % aus Papier bestehen und einfach wieder in den Recyclingprozess zurückgeführt werden können.“
Gänzlich auf digitale Wahlwerbung setzen will auch Ben Schneider nicht. „Dass wir aber teilweise Straßen haben, an denen keine einzige Laterne mehr frei ist, finde ich irgendwie ein bisschen too much. Und wenn Mario (Czaja, Anm. d. Red.) mich quasi überall aus jeder Ecke des Bezirks anlächelt, dann kriege ich schon Verfolgungswahn.“ Für die kommenden Wahlkämpfe würde er gern eine neue gute Regelung finden.
Einen Vorschlag, wie diese Regelung aussehen könnte, macht Bjoern Tielebein. Er bringt ausgewählte Orte/Wände ins Gespräch, an denen alle Parteien ihre Plakate hinhängen dürfen. „Das macht die Sache auch ein bisschen vergleichbar. Die Leute können sich das angucken und sich ihre Meinung bilden.“