Der Arbeitskampf geht auch in der neuen Woche weiter

Neue Woche, alter Streik – auch bei Vivantes in Kaulsdorf

Der Arbeitskampf geht weiter

„Mehr Personal noch vor der Wahl, TVöD für alle an der Spree“, skandieren Pflegekräfte, Hebammen und andere Krankenhausmitarbeiterinnen und -mitarbeiter auf dem Gelände des Klinikums Kaulsdorf. Es ist Freitagmittag. Über eine Woche lang schon befinden sich die meisten der hier Anwesenden im Streik, um gemeinsam mit vielen anderen Angestellten von Charité und Vivantes für einen Entlastungstarifvertrag zu kämpfen und faire Löhne für die Beschäftigten der Konzern-Töchter einzufordern.

Um die 50 Menschen sind diesmal zur Kaulsdorfer Kundgebung gekommen. Unter ihnen auch einige Abgeordnete von Linken und Grünen sowie Kolleginnen und Kollegen aus den Häusern in Friedrichshain und Neukölln. Ole Zehrt, der gerade noch an der Sitzung der Tarifkommission teilgenommen hat, ergreift als einer der Ersten das Wort und macht seinem Ärger über Vivantes-Personalchefin Dorothea Schmidt Luft. Besonders ihr wirft der Krankenpfleger und Betriebsrat mangelndes Entgegenkommen und völliges Desinteresse an einem fairen Abschluss vor. „Wir fordern jetzt für uns eine Lösung, weil wir einfach die Schnauze komplett voll haben“, ruft Zehrt unter dem Applaus der Streikenden wütend ins Mikrofon. 

 

Entlastung im stressigen Klinikalltag dringend nötig

Um mehr Geld geht es den Pflegekräften nicht zwingend. Sie fordern bessere Arbeitsbedingungen – vor allem eine höhere Personaldichte auf den Stationen. Bei Unterbesetzung soll es zudem einen Belastungsausgleich in Form von freien Tagen oder Geld geben. „Wir wissen selbst, dass nicht alles von 0 auf 100 geht, sondern ein Stufenmodell hermuss,“ sagt Ole Zehrt. Aber ein „Weiter so“ dürfe es nicht mehr geben. 

 

Eine, die seit vielen Jahren den Fachkräftemangel in den Kliniken mit ausbaden muss, ist Ines Kossin. Seit über 40 Jahren schon übt sie ihren Beruf aus. Derzeit wirbelt die Krankenschwester über die orthopädische und unfallchirurgische Station in Kaulsdorf. „Dort haben wir mitunter neun Ausfälle wegen Krankheit und Schwangerschaft und müssen stark unterbesetzt eine 30-Betten-Station wuppen.“ Das Team sei zwar so eingespielt, so dass es trotzdem gelinge, die Patientinnen und Patienten gut zu versorgen. Doch alle arbeiten am Limit. „So kann es nicht weitergehen“, erklärt sie. Besonders bedauerlich findet Ines Kossin, dass es unter diesen Bedingungen gerade junge Kolleginnen nicht lange im Job aushalten. „Die kommen hochmotiviert von der Schule, bleiben vielleicht fünf Jahre, gehen in Mutterschutz und werden danach nie wieder gesehen.“

 

Viele Azubis schmeißen hin

Manche haben sogar noch schneller die Nase voll: „Im Moment ist die Abbruchquote bei den Azubis riesig. Denn sie müssen den Personalmangel teilweise mit auffangen, worunter ihre Ausbildung stark leidet“, berichtet Ole Zehrt. Er verweist dabei auf eine Verdi-Umfrage unter 300 Schülerinnen und Schüler, von denen 50 Prozent angaben, nach ihrem Abschluss eher nicht in dem Beruf weiter arbeiten zu wollen. Kinderkrankenpfleger Benedikt Maile vom Verdi-Orga-Team sagt: „Die Azubis fordern ein Minimum von 20 Prozent strukturierter Praxisanleitung, damit sie richtig lernen können, wie dieser Beruf überhaupt ausgeübt wird.“

 

 

Schlechte Bezahlung bei den Tochterunternehmen

Wie dramatisch der Klinikalltag aussieht, das beschreiben an diesem Tag viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eindrücklich. Hochemotional sind auch die Redebeiträge der „outgesourcten“ Gärtner*innen, Reinigungs- und Küchenkräfte. Anders als die Krankenschwestern und Pfleger im Mutterkonzern werden sie nicht nach dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) bezahlt. Das soll sich ändern. „TvöD für alle“ ist neben dem Entlastungstarifvertrag die zweite zentrale Forderung der Streikenden. „Ich arbeite in der Speiseversorgung und verdiene für einen 35-Stunden-Woche 1.661 Euro brutto. Mein Wecker klingelt nachts um 2 Uhr“, erzählt eine Catering-Kraft aus Neukölln. Sie sei es leid, so die Frau, „mit offenen Augen in die Altersarmut geschickt zu werden.“ 

 

Ähnlich geht es Kathleen Orsech, die beim Tochterunternehmen Vivantex angestellt ist. Sie gibt an,  ihren Job in der Wäscherei prinzipiell zu mögen, auch wenn es körperlich schwere Arbeit sei. Weil ihr Arbeitspensum aber ständig steige, während der Lohn unverändert niedrig bleibe, habe sie sich der Berliner Krankenhausbewegung angeschlossen. Besonders stört Orsech die enorme Ungerechtigkeit in puncto Verdienst. Von einer Kollegin mit Altvertrag wisse sie, dass diese monatlich 579 Euro brutto mehr verdiene. „Ich werde später die Grundsicherung beziehen und mit all jenen gleichgestellt, die nie in ihrem Leben arbeiten waren.“ Das sei nicht fair.

 

Abgeordnetenhaus verabschiedet Resolution

Genau wie Kathleen Orsech plädieren auch die Linken-Politikerin Dr. Manuela Schmidt und Stefan Ziller von Bündnis 90/Die Grünen für eine Rückführung der Tochterunternehmen in die Mutterkonzerne. Beide machen das auf der Kundgebung in ihren Reden deutlich. „Da sind wir völlig bei ihnen, weil gleicher Lohn für gleiche Arbeit gezahlt werden muss“, erklärt die Vizepräsidentin des Berliner Abgeordnetenhauses. 

Stefan Ziller verliest bei der Gelegenheit auch eine von seiner Partei, SPD und Linken frisch verabschiedete Resolution. Sie ist mit den Worten „Schnelle Einigung verhandeln“ überschrieben. In dem Papier geht es unter anderem um eine auskömmliche Finanzausstattung der Kliniken. Deren Investitionskosten, so Ziller, müssten künftig zur Hälfte vom Bund übernommen werden. Außerdem sei es höchste Zeit für eine Reform des Fallpauschalensystems. Dazu äußert Dr. Manuela Schmidt: „Die Feuerwehr wird ja auch nicht nach der Zahl der Brände, die sie löscht, finanziert. Und Sie sind so etwas wie die Feuerwehr für die Gesundheit der Menschen. Sie löschen Krankheiten.“ 

 

Den Streikenden aber wollen sich allein mit Absichtserklärungen nicht mehr zufrieden geben. Sie fordern von der Politik, „endlich klare Kante“ zu zeigen und in Sachen Tarifkonflikt den Druck auf die Klinikleitungen zu erhöhen. „Wir sind nicht die Tarifverhandlungspartner“, stellt Dr. Manuela Schmidt klar und Stefan Ziller erklärt dazu: „Ich will nicht, dass Politik über Löhne entscheidet.“ Darum brauche es mehr starke Gewerkschaften. „Ich hoffe, der Streik trägt auch dazu bei, dass sich ein paar Leute mehr entschließen, in die Gewerkschaft einzutreten, weil man zusammen einfach stärker ist.“

 

Noch kein Durchbruch im Tarifstreit

Unterdessen sind die Verhandlungen mit den Kliniken am Wochenende unterschiedlich verlaufen. Im Tarifkonflikt um die Entlastung der Beschäftigten an der Charité sieht Verdi eine positive Bewegung. Bis Dienstagmorgen will das Uniklinikum ein schriftliches Angebot vorlegen, heißt es in einer am Sonntag veröffentlichten Pressemitteilung der Gewerkschaft. Mit der Vivantes-Spitze hingegen werden wohl erst Mitte der Woche Sondierungsgespräche zu Einzelthemen geführt. Der Streik geht also weiter. Beide Landeskliniken stellt das vor große Herausforderungen. Bei Vivantes sollen berlinweit mehr als 900 von insgesamt 5.500 Betten gesperrt sein. Laut Intensivkrankenschwester Anne Bruch, Streikleitung in Kaulsdorf, wurden im Kiezkrankenhaus an der Myslowitzer Straße schrittweise 50 Prozent aller Betten stillgelegt.