2021 Rekordjahr bei den Ferienreisen

Roter Baum Berlin organisiert 800 Fahrten für Kinder und Jugendliche

2021 Rekordjahr bei den Ferienreisen

Martin Kleinfelder
Martin Kleinfelder

In unserer Rubrik „Einfach machen!“ stellen wir Menschen vor, die sich auf besondere Weise für Marzahn-Hellersdorf einsetzen. Martin Kleinfelder (46), Leiter Berlin und stellvertretender Vereinsvorsitzender von Roter Baum, wuchs in unserem Bezirk auf und bleibt ihm treu. Seit Ende der 1990er engagiert er sich für Jugend- und Familienarbeit, politische Bildung und Jugendkultur. „Anna Landsberger”, der Mehrgenerationentreff „Buntes Haus”, Veranstaltungsformate wie das „Respekt und Neugier Festival“, „Politik isst Wurst“ und „Hellersdorf aktiv” fordern zur Mitbestimmung auf. 

Martin, Du kommst gerade von Sizilien, was hast Du da gemacht?

Es war ein EU-Projekttreffen mit Vertretern aus Italien, Slowenien, Rumänien, Serbien und Deutschland. Wir wollen herausfinden, was Jugendarbeit erreichen soll und welche Rahmen wir setzen. Abgesehen von diesem Projekt habe ich nebenbei mitbekommen, dass auf Sizilien überhaupt kein Geld für Jugendarbeit da ist. Jugendzentren werden ehrenamtlich betrieben. 

 

Wofür steht Roter Baum Berlin?

Wir bieten jungen Menschen Möglichkeiten an, die sie in Eigeninitiative wahrnehmen können.

Etwa günstige Ferienfahrten.

Die Organisation von Ferienfahrten hatten wir zehn Jahre lang ausgesetzt, weil sie nicht mehr bezahlbar waren. Die Kehrtwende kam 2020 mit dem Berliner Jugendfördergesetz, das nun Zuschüsse ermöglicht. Zusätzlich gibt es einen Rabatt auf den „berlinpass“. So zahlen die Teilnehmenden kleine Beiträge ab 33 Euro.

 

Wie viele Ferienfahrtler habt Ihr schon glücklich gemacht?

2020 kümmerten wir uns berlinweit um 450 Kinder und Jugendliche und in diesem Jahr sind es etwa 800, davon 260 aus Marzahn-Hellersdorf. Die Formalitäten für die Zuwendungen laufen übrigens in unserem Bezirk paradiesisch gut. Woanders in Berlin eher nicht.

 

Jugendarbeit hast Du auch politisch geleistet, in der BVV. 

Meine einzige Legislaturperiode 2001 bis 2006 war die Zeit, als meine Partei DIE LINKE und Verordnete anderer Fraktionen den Abriss von Kita- und Schulgebäuden kategorisch ablehnten. Nach einer Geld fressenden Verweigerungsphase waren wir jedoch gezwungen zuzustimmen und das lag am erpresserischen Finanzierungssystem des Senats. Denn die Erhaltung leerstehender Gebäude kostete Millionen, welche aber für die Einrichtungen mit laufendem Betrieb fehlten.

 

Somit hast Du gegen Dein Gewissen abgestimmt. 

Ja. Generell frustrierte mich die BVV-Mitgliedschaft, weil Aufwand und Ergebnis in keinem guten Verhältnis standen. Mit dem, was ich jetzt mache, kann ich viel mehr erreichen, und das ganz direkt.

 

Zum Beispiel im Bunten Haus. Warum kommt es so gut an?

Es ist ein Mehrgenerationenhaus mit einem vielfältigen Angebot. Außerdem befindet es sich mitten in der Hellersdorfer Promenade.  „Am wichtigsten ist das LACHEN!” Nach diesem Motto arbeitet das kleine hauptamtliche Team um Katrin Rother, unterstützt von einigen Helfern und Ehrenamtlichen. Wir freuen uns auch über unsere treuen Spender und Förderer. Besondere Aktivitäten sind das Projekt „Lebendige Nachbarschaft”, der Leseklub in Kooperation mit der Stiftung Lesen und nicht zu vergessen die Kleiderstube.

 

Wie kam es eigentlich zur Schulranzen-Aktion?

Vor mehr als zehn Jahren ergab sich ein persönlicher Kontakt zum Kinderhilfswerk. Unser Konzept überzeugte. Seitdem erhalten wir jährlich 100 bis 200 Schulranzen, gefüllt mit allem, was Lernende brauchen. Um die wirklich Bedürftigen zu finden, arbeiten wir fachlich eng mit dem Jugendamt zusammen und das betrifft übrigens auch viele andere Anliegen des Vereins. Ich bedanke mich besonders bei den Jugendamtsmitarbeiterinnen Gabriele Fiedler und Gabriele Kokel. Sie sind seit vielen Jahren mit dem Herzen dabei und unterstützen sehr engagiert die Aktivitäten für junge Leute – auch außerhalb ihrer Arbeitszeit.

 

Wo siehst Du Schwerpunkte bei Menschen mit wenig Geld?

Es gibt Gegenden in Berlin, die besondere Aufmerksamkeit erfordern, auch in unserem Bezirk. Ein Quartiersmanagement (QM) dient der Vitalisierung, doch wenn die Zeit abgelaufen ist, lösen sich Erfolge schnell wieder in Luft auf. Für die Hellersdorfer Promenade wünsche ich mir, dass das QM noch lange weiterbesteht. Oder ein ganz anderes Thema: Von ADHS-Kindern weiß man seit der Struwwelpeter-Geschichte. Die Folgen solcher Verhaltens- und emotionalen Störungen können viele Eltern ausgleichen. Anderen mit geringem Einkommen fällt es schwer, für ihre Kinder die existierenden Unterstützungsangebote zu beantragen. Mein Team hilft hier gern.

 

Eure „Anna“ wurde in diesem Jahr 20. Wie läuft der Laden?

Zur 20-jährigen Geschichte gehört, dass die Jugendfreizeiteinrichtung „Anna Landsberger“ im Jahr 2010 an unseren Verein übertragen wurde. Und da gab es einiges zu tun. Durch gute Öffentlichkeitsarbeit haben wir dort jetzt viele junge Leute. Die Altersspanne liegt zwischen zehn und so manchen Ü18-Jährigen, die inzwischen Betreuer sind. Corona hat uns erfinderisch gemacht: Wir waren zu den Öffnungszeiten stets präsent – nur eben online und mit vielen guten Einfällen.

 

Wie wurde das, was Du tust, zu Deiner Herzenssache?

Als Ältester von vier Kindern übernahm ich fast automatisch viel Verantwortung, das ist das Eine. Maßgeblich wirkten meine Wende-Erfahrungen, denn 1989/90 war ich mit 14 genau in dem Alter der Werte-Entwicklung. Ich erlebte Sozial-Knicke bei Menschen, die plötzlich nicht mehr gebraucht wurden, nachdem sie als Arbeiter und Angestellte zum Beispiel im Glühlampenwerk Narva oder im Kabelwerk Oberspree geachtete Leute waren.

 

Außerdem wurden unsere Plattensiedlungen schlechtgemacht.

Dicht und hoch gebaute Wohnsiedlungen gibt es überall auf der Welt. Dass Marzahn-Hellersdorf aber sehr gut da steht, bestätigen immer wieder unsere Gäste ausländischer Delegationen, zum Beispiel aus London, Paris und Budapest.

 

Warum ziehen viele junge Leute weg? Wie siehst Du das?

Lehrlinge und Studenten wollen da leben, wo der Bär steppt. Sobald sie aber eine Familie gründen, stellt sich unser Bezirk sehr positiv dar. Das einzig wirklich Komische ist hier das unterentwickelte Kulturleben. Und es gibt keinerlei Gastronomie­, auf die der Begriff Szene passen würde. Ein bisschen Simon-Dach-Straße-Flair täte Hellersdorf gut! Und noch ein anderer Punkt – hier draußen im Bezirk Marzahn-Hellersdorf wohnen und arbeiten viele Künstler, übrigens auch in der Hellersdorfer Promenade. Sie haben mehr Aufmerksamkeit verdient.

 

Man kann ja schon froh sein, wenn keiner meckert.

Meckereien in Facebook-Gruppen können unerträglich sein. Dabei haben wir hier eine beeindruckende Dichte an Jugend-, Sozial- und Nachbarschaftseinrichtungen. Und es gibt noch viel mehr im Bezirk. Schönes, sogar Einzigartiges. All das empfinde ich auch deshalb besonders positiv, weil ich vor mehr als 20 Jahren nachhaltig mit den Auswirkungen des Kosovokrieges konfrontiert war. Anfangs in Serbien in der Industriestadt Pančevo, wo 1999 die erste NATO-Bombe des Konflikts abgeworfen wurde. Ich bin damals mit lokalen Friedensaktivisten mitgefahren. Die Judoka von TUS Hellersdorf hatten die Kontakte. 

 

Was weißt Du über Pančevo?

Ein ganzer Chemie-Industriekomplex wurde bombardiert und in der Folge gelangten 200 Millionen Liter Ammoniak in die Donau. Experten sprechen von einem Umweltkrieg. Unter anderem war das Grundwasser um das Zigtausendfache der Grenzwerte vergiftet und macht Menschen auch heute noch krank. 

 

Wie haben sich die Eindrücke auf die Arbeit in Berlin ausgewirkt?

Peter Bolle und ich beantragten in der BVV, die Grünanlage an der heutigen Seilbahnstation nach einer serbischen Friedensaktivistin „Jelena-Šantić-Friedenspark” zu nennen. Das Friedenszeichen dort hat mein Verein Roter Baum schon unzählige Male repariert. Wüssten die Zerstörer mehr über Krieg, Frieden und Menschen anderer Gegenden, würden sie nicht wieder wüten. Auch deshalb ist es uns wichtig, Jugendbegegnungen durchzuführen und Menschen verschiedener Länder zueinander zu bringen.

 

Gespräch: Ute Bekeschus