Zwischen Biesdorf und New York

Annett Zinsmeister bei uns im Schloss. MoMa kaufte zwei ihrer Werke 

Zwischen Biesdorf und New York

In der aktuellen Schau „Zeitumstellung” im Schloss Biesdorf gehört Annett Zinsmeister zu jenen Künstler*innen, die ihr Werk direkt für das Event geschaffen haben. Darüber hinaus bietet sie einen lokalen Bezug an, nämlich zu den Großsiedlungen des Bezirks. 

Achteckig und im Zentrum der Ausstellung, so durchdringt im Schloss eine sechseinhalb Meter hohe Textil-Installation die Rotunde von der Lichtkuppel über die Galerie bis zum Erdgeschoss. Die aufgedruckte Hochhaus-Ansicht zeigt unzählige Stockwerke, einheitlich gegliedert durch Fugen, Platten und Fenster sowie – immerhin – individuell gestaltete Gardinenfronten. Modell hierfür stand bei einem Gebäude-Shooting in den 1990ern ein Hochhaus in Lichtenberg, damals noch mit Originalfassade. Zu der Zeit war Annett Zinsmeister noch ziemlich neu in Berlin. Die Kunst- und spätere Architekturstudentin erlebte das frischgebackene Gesamtberlin als einen spannenden Ort. Beispielsweise studierten hier zum ersten Mal im vereinten Deutschland Menschen aus Ost und West gemeinsam. Diskutiert wurde damals viel über die Ostberliner Großsiedlungen. „Die Westsicht war eher stigmatisierend, die Sicht im Osten eher positiv”, erinnert sich die gebürtige Stuttgarterin.

 

Bekanntschaft mit Mehrfamilienhäusern in unserem Bezirk machte sie während zweier Wettbewerbe für Plattenbauten. Zusammen mit ihrem Lebenspartner, dem Lichtkünstler Hans Kotter lebt und arbeitet sie seit einigen Jahren in Biesdorf. Das Atelier ist Refugium und Nest für das Reifen der jeweils aktuellen Arbeit. Doch den Kern für Erfolg und guten Namen bilden in verschiedene Richtungen fließende Kreativität, eine besondere Ausdauer und Konzentrationsfähigkeit, eine vielseitige Neugier und ein natürlicher Charme im Umgang mit Menschen. Kein Wunder, dass die Künstlerin bereits in vielen Fachgremien tätig war, dass sie schon eine große Zahl von Vorträgen gehalten hat und dass sie als Wissenschaftlerin auch im Lehrbereich tätig ist. Zur Corona-Zeit unterrichtet Professorin Zinsmeister online, doch vorher pendelte sie regelmäßig und geduldig zwischen Frankfurt/Main und Berlin. 

 

Halbe Sachen liegen ihr nicht, das verrät allein der Blick auf die beeindruckende Künstlerin-Vita. Arbeiten von ihr wurden in doppelt so vielen Ausstellungen gezeigt wie sie selbst an Jahren zählt. 2015 klopfte sogar das renommierten New Yorker Kunstmuseum MoMa bei ihr an, um eine Arbeit zum Thema Plattenbau und – überhaupt Zinsmeisters Generalmotiv – zum Thema Raum ausstellen zu können. Nach ihrem Entwurf baute man im fernen Amerika eine große Installation. Auch kaufte das Museum zwei „Zinsmeister“ für die eigene Sammlung. 

 

An Aufträgen mangelt es bis heute nicht. Allein seit Januar 2021 hatte die Künstlerin Ausstellungen in Taipeh/Taiwan, Stuttgart, Berlin-Kreuzberg und, wie erwähnt, ist sie auch bei uns im Schloss Biesdorf mit einem Werk vertreten (Die Ausstellung „Zeitumstellung” ist bis 21. August zu sehen). Gerade erst hatte in Tübingen eine 20 Meter hohe, grafisch faszinierende Installation an drei Hochhausfassaden vis-à-vis der Kunsthalle Premiere. Buchstäblich „hoch hinaus“ zu streben, das hat bei Annett Zinsmeister eine solide Basis.

 

Ute Bekeschus