Petra Pau ist fest gewillt, ihren Wahlkreis zum sechsten Mal direkt zu gewinnen
Die Wiederholungstäterin
Fünf Mal schon hat Petra Pau im Bezirk das Bundestagsdirektmandat geholt. Im September soll ihr sechster Streich folgen. Doch das wird alles andere als ein Selbstläufer, denn die Linken-Hochburg Marzahn-Hellersdorf wankt. Ungeachtet dieses Trends kommt die Politikerin mit der auffälligen roten Igelfrisur bei den Leuten nach wie vor gut an. Sie kennt den Bezirk, lebt hier seit drei Jahrzehnten und ist präsent – ob in ihrer Sprechstunde, beim Arbeitseinsatz im Schulgarten oder dem Stadtteilfest. Petra Pau sucht die Nähe zu den Menschen, begegnet ihnen auf Augenhöhe, sie hört zu und kümmert sich. Im aufgeregten, lauten Politikzirkus schlägt die Bundestagsvizepräsidentin eher leise Töne an. Ruhig ist sie aber keineswegs – schon gar nicht wenn es um „ihre“ Themen Bürgerrechte und Demokratie, den Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus geht. Mit der „Hellersdorfer“ spricht die 57-Jährige über den bevorstehenden Wahlkampf und ihr neues Buch „Gott hab sie selig“.
Wer sich Ihr erstes Erinnerungsbuch „Gottlose Type“ kaufen möchte, sucht im Buchladen seit einiger Zeit vergebens. Was ist da los?
Das Buch ist restlos ausverkauft. Eine siebte Auflage wird es nicht geben, aber ich habe mir noch einige Exemplare gesichert, die auf Nachfrage zum Verkaufspreis abgeben werden können. Mit diesem Buch war ich seit 2015 landauf, landab in Ost und West, Nord und Süd unterwegs – 163 Mal. Dann kam Corona …
… und Sie haben die Lesungen ins Internet verlegt: Jede Woche gab es eine Episode auf die Ohren. Jetzt ist ihr Buch-Podcast ausgelesen. Es wurde also höchste Zeit für neue Anekdoten aus Ihrem persönlichen Erleben und dem Politikbetrieb.
Da die gesellschaftlichen Entwicklungen seit Erscheinen des ersten Buches im rasanten Tempo weitergegangen sind, habe ich bei meinen Lesungen immer mal wieder auch einige ungedruckte Geschichten eingestreut. Es dauerte nicht lange, da reichte der Stoff für ein zweites Buch, das nun im Quintus-Verlag erschienen ist.
Nehmen Sie sich nach der Arbeit noch die Zeit, Erlebnisse und Gedanken aufzuschreiben oder ist das in Ihrem Kopf abgespeichert?
Als ich 1998 das erste Mal in den Bundestag gewählt wurde, hat mir mein langjähriger Mitarbeiter Axel Hildebrandt ein blaues Notizheft mit der dringenden Empfehlung geschenkt, ich möge doch darin bitte ein paar Aufzeichnungen machen, wenn mir etwas Interessantes widerfährt. 2014 haben wir für die „Gottlose Type“ in Erinnerungen gekramt und mussten feststellen: Die Seiten waren komplett leer. Den Fehler mache ich nicht noch einmal. Jetzt notiere ich mir abends gelegentlich ein paar Begebenheiten.
„Gott hab sie selig“ umfasst 44 kurzweilig geschriebene Anekdoten. Manche sind zum Schmunzeln, andere sind bitterernst und nicht so leicht zu verdauen. Haben Sie eine Lieblingsepisode?
Nein, aber es gibt ein Kapitel, das ich niemanden bei den Lesungen ersparen werde. Es heißt „Erich Kästner“. Da geht es um ein Zitat des Schriftstellers anlässlich des 25. Jahrestages der Bücherverbrennung und darum, wie die AfD rhetorische Brandsätze im Plenum und außerhalb legt.
Kästner hatte gesagt, dass die Ereignisse von 1933 bis 1945 in Deutschland spätestens 1928 hätten bekämpft werden müssen. Danach sei es zu spät gewesen.
Mich hat die Frage beschäftigt, wie er genau auf die Jahreszahl 1928 gekommen ist. Dabei bin ich auf ein Zitat des späteren NS-Reichspropagandaministers Joseph Goebbels gestoßen. Der hatte zu den Zielen der NSDAP im Reichstag mal gesagt: „Wir kommen nicht als Freunde, auch nicht als Neutrale. Wir kommen als Feinde. Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir.“ Das war 1928. Diese „Wolf und Schaf“-Bezüge, die die Nazis in ihrer Propaganda einsetzten, höre ich von der AfD seit Sommer 2018 in fast jeder Plenardebatte. Auch andere Äußerungen, insbesondere von Gauland und Höcke, die rhetorisch sehr nah an denen der Nationalsozialisten platziert sind, können in dem genannten Kapitel nachgelesen werden.
Sie haben auch dem fiktiven SPD-Abgeordneten Jakob Maria Mierscheid eine Episode gewidmet. Die Leserinnen und Leser erfahren zudem, dass sie großer Fan der vom Aussterben bedrohten Roten Mangalitza-Wollschweine sind.
So ist es. Mein erstes Patenschwein hieß Erna. Es folgten Frieda, Gerda und dann Oskar. Letzterer wurde übrigens auf der Hellen Tierarche geboren und sollte im Neuruppiner Tierpark Kunsterspring für Nachwuchs sorgen. Oskar starb an einem heißen Sommertag, weil er sich bei der Fortpflanzung zu sehr verausgabt hatte. Diese Episode trägt den Titel „Finale Liebe“.
Und der erneut göttliche Titel Ihres Buches ist sicher nicht zufällig gewählt. Sie stammen aus einem christlichen Elternhaus und sind ein gläubiger Mensch. Nicht wenige Linke fremdeln hingegen mit Religiosität. Warum passen Sozialismus und Religion für Sie gut zusammen?
Am Ende des Buches bemerke ich zu dieser Frage leicht zugespitzt, dass engagierte Linke durchaus Christen sein können und gute Christen eigentlich immer links sein müssten. Nehmen wir doch nur mal die Abwendung der Klimakatastrophe. Da geht es um die Bewahrung der Schöpfung und meiner Ansicht nach um die größte soziale Frage unserer Zeit.
Auch als Ihr Motto haben Sie einen Bibel-Vers auserkoren.
Im Westen ist manchmal die Verwunderung groß, dass die Linken-Politikerin Petra Pau mit dem Bibel-Wort „Einer trage des anderen Last“ daherkommt. Im Ostteil des Landes erinnern sich zumindest die Älteren gern an den gleichnamigen DEFA-Film. So oder so: Dieser Satz beschreibt ziemlich genau die Gesellschaft, in der ich leben möchte und für die ich auch streite.
Veranstaltungen sind nun endlich wieder möglich. Wann gehen Sie mit dem neuen Buch auf Lesetour?
Der Auftakt ist am 12. Juli. Die Lesung bildet den Abschluss meines traditionellen Allgäu-Tages. Schon seit vielen Jahren mache ich in der Gegend Urlaub. Einen Tag nehme ich mir aber immer Zeit für die dort aktive Linkspartei. Da stehen dann viele Termine auf dem Programm. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass ich in keinem anderen Bundesland in so vielen Goldenen Büchern stehe wie in Bayern.
Die Leute in Marzahn-Hellersdorf müssen sich folglich noch gedulden, bis Sie auch hier live lesen.
Ja, aber ich freue mich schon sehr darauf. Die Lesungen sind immer eine ganz wunderbare Erfahrung, weil man miteinander ins unmittelbare Gespräch kommt. Die Menschen erhalten einen kleinen Einblick in den Alltag der Politik und außerdem erreicht man Leute, die wahrscheinlich sonst nie am Wahlkampfstand stehen bleiben würden oder zu einer Podiumsdiskussion kämen.
Sie haben den Wahlkampf angesprochen. Das wird kein Spaziergang für Sie.
Meine Erfahrung ist, jeder Wahlkampf ist der schwerste und dieser jetzt findet unter ganz speziellen Bedingungen statt. Aber mein Ziel ist klar: Ich möchte den Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf wieder verteidigen und den Bezirk weiterhin im Bundestag vertreten.
Die Berliner Linke hat Sie zur Spitzenkandidatin gewählt. Sie müssen also nicht unbedingt das Direktmandat holen, um wieder in den Bundestag einzuziehen. Über die Liste dürfte es auch klappen.
Ich fühle mich sehr geehrt, dass meine Partei mich auf Platz eins der Landesliste gewählt hat, aber auch das ist keine Garantie. Im Frühjahr 2002 lag die Linke bundesweit bei den Umfragen auch bei acht Prozent. Am Wahlabend sind wir knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Das vergesse ich nicht. Gesine Lötzsch und ich, die wir unsere Direktwahlkreise gewonnen hatten, saßen plötzlich ohne Fraktion im Bundestag.
Klingt ein wenig pessimistisch.
Ich will damit nur deutlich machen: Noch ist überhaupt nicht abzusehen, wohin die Reise bei der Bundestagswahl geht. Insofern setzen Gesine Lötzsch in Lichtenberg, Gregor Gysi in Treptow-Köpenick und ich in Marzahn-Hellersdorf alles daran, die drei Direktmandate zu holen, die nötig sind, um es als Linksfraktion in jedem Fall in den Bundestag zu schaffen. Gleichzeitig werbe ich an der Seite unserer wunderbaren Kandidatinnen und Kandidaten in ganz Berlin um möglichst viele Zweitstimmen.
Es könnte eine Regierungsbeteiligung winken. Sind Sie dafür bereit?
Wenn es in Deutschland sozial gerechter, demokratischer und friedlicher zugehen soll, braucht es neue Mehrheiten im Bund. Ich sage das auch den Wählerinnen und Wählern, von denen ich häufig gefragt werde, warum bestimmte Dinge wie die Rentenangleichung noch immer nicht erfolgt sind. Die Antwort lautet also: Ja, wir sind bereit.
Für welche Marzahn-Hellersdorfer Themen wollen Sie sich in der kommenden Legislaturperiode im Bund starkmachen.
Die Pandemie hat wie unter einem Brennglas deutlich gemacht, was in unserem Land schon seit Längerem schiefläuft – sei es beim Thema Bildung, der Digitalisierung oder Pflege. Da muss endlich was passieren und das hätte dann natürlich auch Auswirkungen auf den Alltag und das Leben der Menschen hier im Bezirk. Außerdem ist bezahlbarer Wohnraum ein wichtiges Thema. Wie wir nun wissen, braucht es eine bundesweite Mietendeckel-Regelung, weil das Land Berlin das Mietpreisrecht nicht regeln darf. Und mir liegt viel daran, dass Marzahn-Hellersdorf endlich das langersehnte Freibad bekommt und ich mit meiner Familie da auch hingehen kann.
Petra Pau – Gott hab sie selig.
ISBN: 978-3-96982-006-3