Die Kenner der Platte

20 Jahre Kompetenzzentrum Großsiedlungen 

Die Kenner der Platte

Das Kompetenzzentrum Großsiedlungen ist 20 Jahre alt geworden. „Die Hellersdorfer“ traf den Leiter des Vereins, Ralf Protz, anlässlich des Jubiläums zum Interview.

Vor 20 Jahren wurde das Kompetenzzentrum Großsiedlungen gegründet. Warum eigentlich?

Im Jahr 1999 bewarben sich Wohnungseigentümer und der Bezirk Hellersdorf (damals noch ohne Marzahn) als eines der weltweiten Projekte bei der EXPO 2000 in Hannover. Diese Bewerbung war so erfolgreich, dass wir uns nicht nur hier in Hellersdorf, sondern auch als ein Projekt auf der EXPO in Hannover präsentieren durften. Und mit dem „Hellersdorf-Projekt“ haben wir uns hier vor Ort mit Veranstaltungen und Themen-Rundgängen, die im Übrigen auch von Bewohnern aus Hellersdorf geführt wurden, einem breiten und internationalen Publikum zeigen können. Die Resonanz war für uns damals überwältigend, über 20.000 Besucherinnen und Besucher, Fachleute wie Laien, wollten sich in den sechs Monaten die Entwicklung dieses Ortes anschauen. Für uns war dies die Erkenntnis, dass Berlin mit seiner Großsiedlungsstrategie ein Alleinstellungsmerkmal besaß und damit auch der Auftrag, diese Strategie und seine Ergebnisse weiterhin einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Die Idee für das Kompetenzzentrum Großsiedlungen war geboren. 

 

Wie ging es dann weiter?

In diese Zeit fiel auch die Osterweiterung der Europäischen Union und das Land Berlin suchte Projekte und Ideen, um sich als wichtiger „Anlaufpunkt“ für die zukünftigen Mitgliedsländer aus dem Osten präsentieren zu können. Plattenbauten stehen nun mal nicht nur in den ehemals sozialistischen Ländern, aber hier sind es besonders viele, und der Transformationsprozess von einer sozialistischen Planwirtschaft in die soziale Markwirtschaft betraf eben auch die Wohnungen in den Plattenbauten. So wurde das Kompetenzzentrum Großsiedlungen vom Berliner Senat mitgegründet und als Anlaufpunkt für die vielen Delegationen aus den Partnerstädten und darüber hinaus etabliert. 

 

Passt das Kompetenzzentrum noch in die heutige Zeit?

Aus einer ehemals Berliner oder besser „Hellersdorfer Pflanze“ ist nach und nach ein bundesweit tätiger Verein mit über hundert Mitgliedern, darunter Wohnungsunternehmen von München bis Flensburg, von Bochum bis Cottbus, weiterhin Ingenieure, Architekten, Stadtplaner, Stadtsoziologen, Wissenschaftler und vielen Privatpersonen geworden – und auch ein Mitglied aus der Schweiz und eines aus Schweden sind dem Verein beigetreten. 

Die aktuellen Entwicklungen machen den Austausch untereinander nicht überflüssig, im Gegenteil. Zu DDR-Zeiten gab es den Spruch: „Der Erfahrungsaustausch ist die kostengünstigste Investition“. Das ist unter marktwirtschaftlichen Bedingungen vielleicht kein so schlechter Ansatz. Und die Häuser und Siedlungen sind ja auch noch da. Insofern gehen die Themen und Diskussionen nicht aus.

 

Braucht man in Osteuropa immer noch Beratung und Hilfe?

Es gibt weiterhin eine ungebrochene Nachfrage aus diesen Ländern. In der Vor-Corona-Zeit hatten wir durchschnittlich eine Delegation pro Woche zu Besuch Heute finden diese Kontakte per Videokonferenzen statt und das sind oft mehr als eine pro Woche. Die Probleme sind oft andere als bei uns So wurden fast überall die Wohnungen an die Mieter „verschenkt“, viele von ihnen sind inzwischen verarmt und wissen nicht einmal, wie sie ihre Betriebskosten bezahlen sollen. Sanierung und Modernisierung sind unter diesen Bedingungen viel schwerer umsetzbar, wenn zudem staatliche Förderprogramme fehlen. Hier helfend und beratend zur Verfügung zu stehen ist natürlich eine Daueraufgabe, aber die Menschen und die Kolleginnen und Kollegen in den Ländern wissen diese Hilfe aus Deutschland sehr zu schätzen.

 

Das Kompetenzzentrum berät immer noch die kleine westukrainische Stadt Zhovkva – ein schönes Beispiel für solidarische Unterstützung?

Nicht nur, aber dies ist ein besonders erfolgreiches Projekt. 2015 halfen wir der Stadt bei der Beantragung europäischer Fördermittel und konnten damit bis 2017 einen Kindergarten sanieren, in dem vorher Schimmel an den Fenstern klebte und der Keller voller Wasser stand. Im Winter gab es nur einen Raum mit zweistelligen Temperaturen, etwa 14 Grad. Das war die Ausgangssituation. Die Kinder wärmten sich alle Stunde in einem großen Raum mit Tanzen und Sport auf. Nun haben sie und auch die Erzieher einen Ort, an dem sie sich wohlfühlen und auf den sie auch besonders stolz sind. Kinder, Eltern und Erzieher sowie die Verantwortlichen in der Stadt erzählen natürlich überall von diesem Projekt und machen so Werbung für uns, die wir als kleiner Verein so nicht leisten könnten.

Die internationale Zusammenarbeit wie zum Beispiel mit Osteuropa ist ein wichtiger Teil der Arbeit des Kompetenzzentrums, auch wenn es nicht immer zu anrechenbaren Ergebnissen, wie in Zhovkva kommt. Ich finde, es ist schon ein Erfolg, wenn wir mit den Menschen auf bürgerschaftlicher und fachlicher Ebene den Kontakt halten, miteinander reden, diskutieren, Lösungen suchen und manchmal auch streiten, egal, wie gerade die politische Großwetterlage ist.