BVV fordert spezielle Angebote, um ausgefallenen Unterricht nachzuholen
Nichtschwimmer-Welle türmt sich auf
Seit Jahren schon warnt die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) vor einem gefährlichen Trend: Immer weniger Kinder lernen richtig schwimmen. Zwar ist es in Berlin zuletzt gelungen, die Nichtschwimmerquote zu senken, doch das war vor der Pandemie und den monatelangen Bäderschließungen. Mittlerweile warten Tausende Kinder darauf, endlich ihre Seepferdchen oder andere Jugendschwimm-Abzeichen machen zu können. In der vergangenen Sitzung des Marzahn-Hellersdorfer Bezirksparlaments forderten Verordnete fraktionsübergreifend, den Stau am Beckenrand schleunigst abzubauen.
Die Nachricht von der verschobenen Eröffnung der sanierten Schwimmhalle „Helmut Behrendt“ kam zur Unzeit. Eine Woche bevor die Halle am Helene-Weigel-Platz nach zweijähriger Bauzeit und mehrfachen Verzögerungen den Betrieb eigentlich wieder hätte aufnehmen sollen, teilten die Berliner Bäder-Betriebe mit, sie werden den 25. Mai als Termin nicht halten können. „In der Begründung hieß es, es seien weitere technische und hygienische Abnahmen notwendig“, berichtete Schul- und Sportstadtrat Gordon Lemm (SPD). Nun ist der Start für den 19. Juli avisiert. Im 273.000-Einwohner-Bezirk, wo es ohnehin nur drei Bäder gibt, sorgt die Verschiebung für großen Unmut.
Wegen Corona: zu wenig Schwimmunterricht in Klasse drei
Um den Wegfall der Zeiten in der Helmut-Behrendt-Schwimmhalle zumindest teilweise zu kompensieren, wird seit September im bezirkseigenen Freizeitforum Marzahn Schulschwimmen angeboten. „Wir haben uns beim Senat erfolgreich für die Finanzierung eingesetzt“, so Lemm. Es sei jedoch nicht möglich, die fehlenden Kapazitäten komplett auszugleichen, da die kleine Schwimmhalle an der Marzahner Promenade nur über ein 25-Meter-Becken mit fünf Bahnen verfügt, wohingegen es am Helene-Weigel-Platz insgesamt acht 50-Meter-Bahnen gibt.
Damit geht weitere wertvolle Zeit für die Drittklässlerinnen und Drittklässler verloren, die lange genug in diesem Schuljahr auf dem Trockenen saßen. Aufgrund von Lockdown, Wechselmodell und betriebsbedingten Schließzeiten standen laut Senatsbildungsverwaltung nur 21 von 35 Stunden für den verbindlichen Schwimmunterricht zur Verfügung. Weil noch dazu einige Grundschulen in der herausfordernden Corona-Zeit nicht alle Angebote fürs Schulschwimmen wahrgenommen haben, konnten die wenigsten Kinder ihre Abzeichen machen.
Vereine mit langen Wartelisten für Schwimmanfänger
Noch gravierender als auf den Schwimmunterricht, der seit 9. März wenigstens in begrenztem Umfang wieder stattfinden kann, sind die Auswirkungen von Corona auf den Vereinssport. Das letzte Wassertraining liegt ein halbes Jahr zurück, berichtete der erste Vorsitzende des BSV Medizin Marzahn, Marcel Hieronimus, im Sportausschuss der BVV Mitte Mai. „Wir leben davon, Kinder aufzunehmen, ihnen das Schwimmen beizubringen und sie dann auch in den weiteren Altersklassen begleiten zu dürfen.“ Seit der Pandemie und der Sanierung der Helmut-Behrendt-Schwimmhalle sei dies nicht mehr möglich. „Die Austritte sind auf dem Niveau der Vorjahre geblieben, aber uns fehlen die Neuaufnahmen“, so Hieronimus. Laut Schatzmeister André Hänsel schrumpfte der Verein in den vergangenen zwei Jahren von 800 auf 680 Mitglieder. Dass es bislang nicht noch dicker für Medizin Marzahn gekommen ist, verbuchen die beiden Vorstandsleute als großen Erfolg. „Wir sind aktuell nicht in einer Schieflage, weil uns viele Sportlerinnen und Sportler die Treue halten.“ André Händel befürchtet allerdings, dass irgendwann auch bei den treuesten Mitgliedern irgendwann das Verständnis schwinden werde. „Damit alles noch ein gutes Ende nimmt, sollten wir spätestens mit Beginn des neuen Schuljahres unseren Schwimmbetrieb wieder aufnehmen dürfen.“
Die Warteliste für Neuanmeldungen wird indes länger und länger. Marcel Hieronimus spricht von 200 bis 400 Kindern, die wegen des Corona-Trainingsstopps und ausgeschöpfter Wasserzeiten beim BSV nicht ausgebildet werden können. Heike Streit vom SC Eintracht Berlin verweist auf 4.000 Anfragen von Eltern, „die gern hätten, dass ihre Vorschulkinder bei uns schwimmen lernen.“ Hinzu kämen 1.800 Anträge auf eine Mitgliedschaft. Sie könne die Flut an E-Mails überhaupt nicht mehr bezwingen, ächzt die hauptamtliche Schwimmtrainerin.
Nichtschwimmer-Generation verhindern
Expertinnen und Experten warnen inzwischen vor einer heranwachsenden „Generation von Nichtschwimmern“. Um das zu verhindern, müsse dringend gegengesteuert werden, lautete der allgemeine Tenor in der vergangenen Bezirksverordnetenversammlung. Mehrere Anfragen und zwei Anträge von CDU und SPD, die am Ende mehrheitlich beschlossen wurden, hatte es zum Thema Schwimmausbildung gegeben. Der SPD-Verordnete Dmitri Geidel blickte in seinem Redebeitrag mit Sorge auf den anstehenden Sommer. Gerade an den bezirklichen Gewässern, die teilweise nicht bewacht sind, weil dort das Baden eigentlich verboten ist, sei das Risiko für Badeunfälle groß, schlägt Geidel Alarm.
Bäder-Betriebe sollen auf Sommerschließzeiten verzichten
Um die ausgefallenen Schwimmstunden schleunigst nachzuholen, fordert die BVV nun zusätzliche Angebote in den Sommerferien und an den Samstagen. Jennifer Hübner und Axel Hoppe (beide SPD) regen in ihrem Antrag Aktionstage oder -wochen an, die der Bezirk gemeinsam mit verschiedenen Organisationen oder freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe umsetzen könnte.
Eine Maßnahme, die bereits sicher ist, sind die Sommerferien-Schwimmkurse des Landes Berlin. Sie werden auch in diesem Jahr wieder von der Sportjugend Berlin in Kooperation mit den Vereinen angeboten und richten sich an alle Kinder, die in der dritten Klasse kein Seepferdchen oder Jugendschwimmabzeichen in Bronze machen konnten. Allerdings waren die Intensivkurse im letzten Jahr extrem schnell ausgebucht. (Infos gibt es hier: www.schwimmkurse-sportjugend.de).
Bezirksstadtrat Lemm spricht sich außerdem dafür aus, in diesem Jahr komplett auf die Sommerschließzeiten in den Hallenbädern zu verzichten, „damit den Kindern hier die Möglichkeit gegeben wird, entsprechende Wassergewöhnung durchzuführen oder auch Schwimmabzeichen abzulegen“, sagte er in der BVV. Ein entsprechendes Schreiben hat er bereits an die Berliner Bäder-Betriebe gerichtet, bislang aber noch keine Antwort erhalten.
Lemms Forderung nach einer Öffnung der Schwimmhallen in den großen Ferien sei ein „erster wichtiger und richtiger Schritt“, bemerkt Robert Kovalev (CDU). „Der Sommer naht und wir müssen es schaffen, durch vermehrte Angebote zum Schwimmenlernen lebensbedrohliche Risiken abzubauen, bevor Kinder baden und im schlimmsten Fall untergehen.“ Das könne aber nur gelingen, wenn das Schul- und Vereinsschwimmen in den Bädern Priorität genieße und verstärkt werde. Dabei soll auch eine mögliche Nutzung von Hallen und Freibädern in den Nachbarbezirken und in den umliegenden Gemeinden geprüft werden. In Aussicht gestellt haben die Bäder-Betriebe dem Bezirk Zeiten für Schwimmkurse im Lichtenberger Hallenbad in der Sewanstraße. Wie viele Kurse dort möglich sein werden, steht noch nicht fest.
Linken-Fraktionschef fordert neben dem Kombibad eine weitere Schwimmhalle
In jedem Fall aber wird es schwer, den kompletten Stau abzubauen, der durch die Pandemie und die Pannenserie bei den Schwimmbadsanierungen im Bezirk entstanden ist. Selbst wenn die drei Hallen in Kaulsdorf, im Freizeitforum und am Helene-Weigel-Platz wieder regulär betrieben werden können, reichen die Wasserflächen für den Schwimmunterricht, den Vereinssport und den öffentlichen Badebetrieb nicht aus. Einmal mehr zeigt sich, wie dringend Marzahn-Hellersdorf das geplante Kombibad im Jelena-Šantić-Friedenspark braucht. Dem Linken-Fraktionschef Bjoern Tielebein reicht das aber noch nicht aus. Im wachsenden Bezirk werde eine weitere Schwimmhalle benötigt, meint Tielebein, der vergangene Woche erneut den Vorschlag seiner Partei ins Gespräch brachte, nach dem Vorbild des Kreuzberger Prinzenbads eine Schnellbau-Schwimmhalle in Marzahn-Hellersdorf zu errichten. Dazu gab es im August 2020 einen BVV-Beschluss.