Als Team in der Krise noch enger zusammengerückt

Rettungsstellen-Chefin M.-B. Naumann über die Arbeit im Krisenmodus

Als Team noch enger zusammengerückt

Seit 1981 arbeitet Maria-Barbara Naumann im Krankenhaus Kaulsdorf. Eigentlich hätte die Ärztliche Direktorin und Chefin der Rettungsstelle schon in Rente gehen können, doch Corona hat das verhindert. Als Pandemiebeauftragte führt sie das Klinikum seit über 14 Monaten durch die stürmische Zeit. Im Interview spricht die 67-jährige Notfallmedizinerin, der im November das Bundesverdienstkreuz verliehen wurde, über das Krisenmanagement in Kaulsdorf, den Klinikalltag im Ausnahmezustand und die Stimmung in der Belegschaft.

Frau Naumann, Sie haben in Ihrem Berufsleben schon viel gesehen und erlebt. Ist die Pandemie für Sie denn die bislang schwierigste Zeit Ihrer Laufbahn als Ärztin? 

Es ist zweifellos die herausforderndste. Im Krankenhaus gleicht zwar sowieso nie ein Tag dem anderen, aber die Krise verlangt uns allen noch einmal eine Extra-Portion Flexibilität und Kraft ab. Anfangs mussten sämtliche Strukturen und Prozesse neu gedacht werden. Auch jetzt sind wir noch ständig damit beschäftigt, die Behandlungskapazitäten und den Klinikbetrieb immer wieder an das Infektionsgeschehen und die sich ändernden Vorgaben anzupassen. Der Arbeitsaufwand ist enorm und niemand hier hätte wohl vor einem Jahr gedacht, dass uns Corona so lange begleitet. 

 

Sie sind viele Jahre als Rettungsärztin im Notfallwagen mitgefahren und kennen sich in der Katastrophenmedizin bestens aus. Hilft Ihnen das in der Krise?

Ich würde schon sagen, dass ich von diesen Erfahrungen jetzt als Pandemiebeauftragte profitiere. Ganz wichtig ist auch, dass wir als kleines, dafür aber top aufgestelltes Pandemie-Team mit dem Technischen Leiter, unserem Pflegedirektor, einer Koordinatorin, der Hygieneärztin, einer Hygienefachkraft und dem Chefarzt der Anästhesie und Intensivmedizin wirklich sehr gut funktionieren und dass alle Beschäftigten im Krankenhaus die Maßnahmen mittragen. 

 

In Kaulsdorf wurde der berlinweit zweite Covid-Patient behandelt. Herrschte damals eigentlich große Aufregung im Haus?

Die Kolleginnen und Kollegen waren gut vorbereitet und wussten, was zu tun ist. Alle haben sehr professionell reagiert. Man muss dazu sagen, dass wir solche Situationen in unserer Rettungsstelle auch schon seit Langem trainieren. Dreimal im Jahr finden sogenannte Dekon-Übungen statt, bei denen wir das Vorgehen im Katastrophenfall trainieren. Das sind jedes Mal groß angelegte Aktionen mit Darstellerinnen und Darstellern, die in die Rollen der Patientinnen und Patienten schlüpfen. Aufgabe des Personals ist es dann zum Beispiel im Falle eines Chemieunglücks in kurzer Zeit eine Dekontaminations­strecke aufzubauen, die Opfer da durchzuschleusen und dann im Krankenhaus weiter zu behandeln. Der Ablauf muss genauestens koordiniert werden und jedes Rädchen ins andere greifen. Denn im Ernstfall ginge es um Leben und Tod. Auch der Umgang mit der Schutzausrüstung wird bei den Übungen geprobt. 

 

Viele Menschen kommen über die Rettungsstelle in die Klinik. Damit ist Ihre Station eigentlich auch das Haupteinfallstor für Viren. Wie haben Sie es bislang geschafft, Übertragungen zu verhindern?

Wir haben jetzt gewissermaßen zwei Rettungsstellen. Die Kurzliegerstation 7.1 wurde zur „Infektions-Notaufnahme“ umgerüstet. Sie verfügt wie die normale Rettungsstelle über komplett ausgestattete Behandlungszimmer und entsprechendes Personal. Auch ein Schockraum ist vorhanden. Patientinnen und Patienten mit Symptomen, die auf eine Corona-Infektion hindeuten wie Husten, Schnupfen oder Fieber werden in dieser separierten Rettungsstelle aufgenommen, diagnostiziert und behandelt. Gleich zu Beginn wird ein Antigen-Schnelltest gemacht.

 

Und wie geht’s nach dem Aufenthalt in der Rettungsstelle weiter?

Das hängt vom Testergebnis ab. Patientinnen und Patienten, deren Abstrich negativ war und die nicht stationär aufgenommen werden, können wieder nach Hause gehen. Bei allen anderen wird ein PCR-Test vorgenommen, denn der gilt als sicherstes Verfahren, um eine Infektion nachzuweisen. So lange die Laborergebnisse ausstehen, werden Corona-Verdachtsfälle streng getrennt von nachweislich Infizierten auf unserer Station A.1 versorgt. Patientinnen und Patienten mit einem negativen Schnelltest kommen in einen dritten Bereich – die Screening-Zone. Erst wenn durch den PCR-Test feststeht, dass sie kein Corona haben, können sie auf eine reguläre Station verlegt werden. 

 

Was machen Sie, wenn die Covid-Station voll ist?

Um flexibel auf das Infektionsgeschehen reagieren zu können, wird dann in unserem Bettenhaus die Station in der vierten Etage für Screening- und Verdachtsfälle freigehalten.

 

Das heißt, Sie mussten die Kapazitäten im Normalbereich drastisch reduzieren.

Ganz genau. Der Bettenverlust ist enorm. Hinzukommt, dass für die Non-Covid-Stationen ja auch strenge Hygienevorschriften und Abstandsregeln gelten. Deshalb sind unsere Vierbettzimmer nur noch zur Hälfte belegt. 

 

Viren mutieren – das ist deren Überlebensstrategie. Inwieweit erschweren die neuen Corona-Varianten die Arbeit in der Klinik?

Es bedeutet zusätzlichen organisatorischen Aufwand, weil Patienten mit verschiedenen Virusvarianten getrennt voneinander versorgt werden müssen und nicht in einem Zimmer zusammengelegt werden dürfen. Inzwischen überwiegt hier allerdings die britische Corona-Mutation.

 

Auf der Covid-Station arbeiten Pflegekräfte, die vorher in anderen Bereichen tätig waren. Viele kommen aus der Geriatrie. Wie sind sie mit der Umstellung zurechtgekommen und wie geht es den Frauen und Männern „an der Front“ aktuell?

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort managen das ganz hervorragend und machen einen tollen Job. Ihre geriatrische Qualifikation ist ein großer Gewinn für die Station, auch weil sie sehr viel Empathie mitbringen. Allerdings haben sie in den letzten Monaten auch sehr belastende Situationen auf der Arbeit erlebt. Um Weihnachten herum sind viele hochbetagte Menschen auf der Station an Corona gestorben. Das ging allen sehr nahe. Wir haben versucht, füreinander da zu sein und miteinander zu reden. Ich denke, wir sind in dieser Zeit noch etwas enger zusammengerückt. Glücklicherweise hat sich die Lage etwas entspannt. Das Impfen der älteren Menschen macht sich bemerkbar. Was wir jetzt beobachten, ist, dass immer mehr jüngere Leute schwerer erkranken.

 

Müssen Sie sich im Klinikalltag häufig mit Maskenmuffeln und Corona-Leugnern herumärgern?

So oft kommt das nicht vor. Aber wir nehmen schon wahr, dass Covid-19 noch immer nicht für alle greifbar ist.  Einige verharmlosen das Virus, bis sie selbst betroffen sind oder Menschen, die ihnen lieb waren und mit denen sie noch vor drei Wochen geredet haben, plötzlich nicht mehr da sind. Corona muss also erst ein Gesicht bekommen, damit manchen Leuten die Gefährlichkeit der Erkrankung bewusst wird. Das ist sicher menschlich, aber auch sehr schade.

 

Dieser Text ist als Sonderveröffentlichung in unserer Mai-Ausgabe erschienen.