Mahlsdorfer Kita am Limit

Träger und Einrichtungsteam schreiben Brandbrief an Senatorin und Ministerin

Mahlsdorfer Kita am Limit

Ein Notbetrieb, der keiner mehr ist, Erzieherinnen und Erzieher, die auf dem Zahnfleisch kriechen, den Unmut der Eltern zu spüren bekommen und sich von der Politik im Stich gelassen fühlen: Die Kita „KiKu Kinderland Mahlsdorf“ ist am Limit. Mit einem offenen Brief haben sich der Geschäftsführer des freien Trägers und das Einrichtungsteam an Bundesfamilienministerin Franziska Giffey und Berlins Familiensenatorin Sandra Scheeres (beide SPD) gewandt. 

Wie alle Kitas in Berlin ist auch die Einrichtung in der Dirschauer Straße 7 seit dem 8. April formal geschlossen. Für Kinder mit besonderem Förderbedarf, Kinder von Alleinerziehenden ebenso wie für Kinder, deren Eltern in einem systemrelevanten Beruf arbeiten und die keine andere Betreuungsmöglichkeit organisieren können, wird ein Notbetrieb angeboten.

 

In dem nun veröffentlichten Schreiben der Mahlsdorfer Kita an die Politik heißt es, das Wort „Notbetreuung“ sehe auf dem Papier gut aus. Man verbinde damit die Annahme, Kinder, Erzieherinnen und Erzieher würden geschützt und Kontakte minimiert. Aber davon könne im „KiKu Kinderland Mahlsdorf“ nicht die Rede sein. Lediglich fünf von insgesamt 70 Mädchen und Jungen seien derzeit nicht anspruchsberechtigt. Das bedeutet eine Auslastung von 92,9 Prozent. Zurückzuführen sei dies auf die inzwischen 31 Seiten lange Liste systemrelevanter Berufe und diverse Sonderregelungen. Statt Notbetreuung herrscht in der Einrichtung also quasi Regelbetrieb. Dass nur eine Handvoll Familien keinen Anspruch auf Angebote der frühkindlichen Bildung hat, empfinden die Verfasser*innen als ungerecht: „Dies ist keine Kontaktminimierung, sondern eine Diskriminierung einiger weniger.“

 

Erzieher*innen fühlen sich nicht ausreichend geschützt

Die Auslastungsquote der Mahlsdorfer Kita scheint allerdings ein Extremfall zu sein. Aus der Pressestelle der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie heißt es, im Schnitt seien die Berliner Kitas im Notbetrieb zu 50 bis 60 Prozent belegt. Das deckt sich auch mit den Schätzungen des Jugendamts in Marzahn-Hellersdorf. Doch unabhängig davon, drangen in den letzten Wochen immer mehr Hilferufe aus den Einrichtungen an die Öffentlichkeit. Gerade seit die Corona-Mutante B.1.1.7 um sich greift, fürchten viele Erzieherinnen und Erzieher um ihre Gesundheit. Laut einer AOK-Studie gehört ihr Job tatsächlich zu den gefährlichsten, was das Infektionsrisiko angeht. Keine Berufsgruppe war zwischen März und Oktober 2020 häufiger wegen Corona krankgeschrieben.

Im „KiKu Kinderland“ müssen aktuell Beschäftigte aus Risikogruppen in voll belegten Gruppen arbeiten, um den Betrieb zu gewährleisten, da es derzeit reichlich krankheits- und urlaubsbedingte Ausfälle gibt. „Alle Mitarbeiter setzen täglich ihre Gesundheit und die ihrer Familienmitglieder aufs Spiel“, schreiben die Leiterin und ihr Team. Auch die nun zur Verfügung stehenden zwei Schnelltests pro Woche würden ihnen keine große Sicherheit geben.

 

Selbsttests für Kitakinder in dieser Woche verteilt

Die Senatsverwaltung hat angesichts des aktuellen Pandemiegeschehens nun bei den Infektionsschutzmaßnahmen für Kitas nachgelegt und wie angekündigt sowohl FFP2-Masken als auch zusätzlich zu den Schnelltests für das pädagogische Personal Selbsttests für Kinder bereitgestellt. In Marzahn-Hellersdorf wurde das Material in dieser Woche über das Jugendamt an die Träger verteilt. Pro Kind sollen damit in den kommenden drei bis vier Wochen zunächst drei anlassbezogene Tests zur Verfügung stehen. Sie werden den Eltern bei Bedarf ausgehändigt. Außerdem wurden die Corona-Regeln für Kinder mit Erkältungssymptomen verschärft.

 

Impfungen des Personals gehen schleppend voran

Seitens der Mahlsdorfer Kita wird aber auch das schleppende Impftempo beklagt. Erst für Ende April bis Mitte Juni hatten die Mitarbeitenden Termine für die Erstimpfungen in den Impfzentren erhalten. Gäbe es die Hausärzte nicht, wäre bislang nur ein Kollege erstgeimpft worden. Nun seien es immerhin sieben von 15 Erzieherinnen und Erziehern, berichtet Kita-Leiterin Jenny Sonnenstädt der „Hellersdorfer“. 

Mit dem offenen Schreiben gehe es ihr und ihren Kolleg*innen nicht darum, konkrete Forderungen zu stellen. „Auch wir sind keine Wissenschaftler und möchten uns nicht herausnehmen, dem Senat zu sagen, was pandemisch sinnvoll und notwendig ist“, bemerkt Sonnenstädt. „Wir wollten mit unserem Brandbrief nur die derzeitigen Zustände und Überlastungen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufzeigen.“

 

Konflikte mit den Eltern nehmen zu

Schwer zu schaffen mache dem Personal zum Beispiel auch, dass nach einem Jahr Pandemie und ständig wechselnden Regelungen das Vertrauensverhältnis zwischen Pädagog*innen und Eltern gestört sei. Widersprüchliche Aussagen und schwammige Formulierungen des Senats würden häufig für Unmut und Diskussionsstoff sorgen. „Die Verantwortung für die Umsetzung wird auf die Leitung und die Erzieher abgewälzt.“ Diese sind seit Monaten gefordert, sich vor den Mamas und Papas für die Entscheidungen der Politik zu rechtfertigen. Die Nerven liegen mitunter blank. „Die uns so wichtige Elternarbeit ist nach einem Jahr nachhaltig gestört.“ 

 

Zum Schluss heißt es in dem Brief, in dem auch ausführlich beschrieben ist, wie sich die Umsetzung der Hygienestandards auf die Organisation des Kita-Alltags auswirkt: „Das, liebe Politiker, ist die Realität in unserer Einrichtung und führt unweigerlich dazu, dass Erzieher erkranken oder ausbrennen!“

 

Der ganze Brandbrief zum Nachlesen