Nina W.* gibt es zweimal. In ihrem Namen wurde Betrug begangen
Identitätsklau-Opfer auf der Anklagebank
Ein Lego-Güterzug sollte auf die Reise gehen. 35 Euro hatte ein Mann dafür gezahlt und dann auf die Ware gewartet. Als die Fristen verstrichen waren, schickte er Mahnungen. Dann zeigte er die angebliche Verkäuferin an. Zwei Jahre später sitzt Nina W. vor Gericht. Die Anklage lautet auf Betrug. Die Beschuldigte wiederholt, was sie schon gegenüber Polizeibeamten erklärte: „Ich hatte nie einen Lego-Güterzug und ich habe kein Geld von dem Mann bekommen.“
„Ich habe mit dem Betrug nichts zu tun“, beteuert sie. Die Richterin scheint nicht überrascht. Sie blättert in der Akte. „In Belgien wurde Anfang 2020 mit Ihren Personalien ein Paypal-Konto eröffnet“, hält sie der Angeklagten vor. Nina W. zuckt hilflos mit den Achseln. „Ich war nie in Belgien.“ Doch glaubt man ihr? Sie blickt sich unsicher um. „Ich weiß nicht, wie ich meine Unschuld beweisen soll.“
Es gibt sie im Internet laut Ermittlungen zweimal. „Vieles spricht dafür, dass Ihre Daten von jemanden genutzt werden“, sagt die Richterin.
Die 31-jährige Angeklagte rückt leise mit der Sprache heraus: „Im Frühjahr 2019 kam mein Personalausweis abhanden, vielleicht hängt es damit zusammen.“ Sie blieb untätig, als ihr Ausweis vermutlich gestohlen worden war. Wenn sie sich identifizieren musste, nahm Nina W., die damals in Hellersdorf wohnte, ihren Reisepass. Eigentlich habe sie damals an eine Anzeige gedacht, so die Angeklagte. „Doch es fehlte mir einfach die Zeit, um zur Polizei zu gehen.“ Sie hatte damals gerade eine Ausbildung im Gesundheitswesen begonnen und „irgendwann den Personalausweis total vergessen.“ Die Richterin kann nur den Kopf schütteln: „Sie müssen einen solchen Verlust unbedingt anzeigen, dokumentieren.“ Schließlich seien Daten „wahnsinnig viel wert“. Personalausweise lassen sich erst recht missbrauchen und vergolden. Betrüger nutzen eine solche Beute immer wieder zum Identitätsdiebstahl und begehen in fremdem Namen Straftaten. Bankkonten werden damit eröffnet, Kredite aufgenommen, Geld gewaschen, Bestellbetrügereien begangen. Wem die Identität gestohlen wurde, kann wie Nina W. unter Verdacht geraten und muss belegen, dass er für die in seinem Namen getätigten Geschäfte nicht verantwortlich ist. „Die Recherchen bestätigen ganz klar, dass Ihr Ausweis bei dem Warenbetrug eingesetzt wurde“, sagt die Richterin. Ob es ein einmaliger Vorgang war, sei völlig unklar. „Irgendwer jedenfalls hat ihre Daten und scheut nicht davor zurück, sie kriminell einzusetzen.“
Nina W. ahnt, dass dieser Prozess möglicherweise der Anfang einer Reihe von Strafanzeigen gegen sie sein könnte. Und bis heute hat sie den Diebstahl ihres Personalausweises nicht angezeigt.
Für die Frau, die nun in der Kinderkrankenpflege tätig ist, endet ihr erster und hoffentlich letzter Strafprozess glücklich. Staatsanwalt und Richterin sind sich einig, dass nicht die Angeklagte hinter dem betrügerischen Geschäft mit dem Lego-Güterzeug steckt. Aber an ihrem Umgang mit ihren Daten zumindest im Zusammenhang mit ihrem Ausweis müsse sie arbeiten und den Verlust durch Anzeige schleunigst aktenkundig machen. Das Urteil lässt Nina W. aufatmen: Freispruch auf Kosten der Landeskasse.
Kerstin Berg
(*Name von der Red. geändert)