Was Dagmar Pohle noch packen will

Mit Volldampf ins letzte Amtsjahr

Was Dagmar Pohle noch packen will

Dagmar Pohle gehört seit fast zwei Jahrzehnten dem Bezirksamt an. © pressefoto-uhlemann.de
Dagmar Pohle gehört seit fast zwei Jahrzehnten dem Bezirksamt an. © pressefoto-uhlemann.de

2020 war ein Ausnahmejahr, 2021 wird wieder so eines. Im Schatten der Coronakrise sind die Parteien jetzt im Wahlkampf-Modus. Denn im Herbst wird gleich über drei Parlamente abgestimmt: den Bundestag, das Abgeordnetenhaus und die BVV. Eine, die sich das bevorstehende Spektakel ganz relaxt anschauen könnte, ist Dagmar Pohle (67). Marzahn-Hellersdorfs Bezirksbürgermeisterin zieht aus dem Rathaus aus und geht in den Ruhestand. Die Linken-Politikerin verrät, ob sie tatsächlich entspannt auf ihr letztes Amtsjahr blickt und welche Projekte sie noch ins Rollen bringen möchte.

Frau Pohle, Sie gehören seit fast zwei Dekaden dem Bezirksamt an. War für Sie 2020 rückblickend von allen das schlimmste Jahr?

Nein, das würde ich nicht sagen. Die Coronakrise ist natürlich eine besondere Herausforderung, weil sie so viele Menschen hart trifft und weil für uns auf kommunalpolitischer Ebene das Beherrschen der Pandemie zum normalen Tagesgeschäft im Bezirksamt noch obendrauf gekommen ist. Aber wenn ich auf die letzten vier Wahlperioden zurückblicke, bleibt für mich die Einführung von Hartz IV als das größte Negativerlebnis in Erinnerung. Es hat mich unglaublich belastet und mir schlaflose Nächte bereitet, gegen meine politische Überzeugung dieses Gesetz umzusetzen – noch dazu in einem, wie ich fand, rasenden Tempo.

 

Können Sie denn jetzt gut schlafen?

Zumindest habe ich keine Albträume. Natürlich ist das Krisenmanagement anspruchsvoll, weil es ständig neue Entwicklungen, Erkenntnisse und Entscheidungen gibt. Du brauchst ja abends nur den Fernseher anschalten und fragst dich gleich wieder, was das jetzt für uns bedeutet und wie wir das am besten umsetzen. Aber auch wenn in der Presse meist nur zu lesen ist, was nicht funktioniert, muss ich sagen: In der Bezirksverwaltung wird wirklich sehr verantwortungsbewusst und engagiert gearbeitet. Allein die Mitarbeitenden im Gesundheitsamt leisten seit Monaten großartige Arbeit. Sie machen eben nicht Dienst nach Vorschrift, sondern sind pausenlos im Einsatz. Inzwischen sind sowohl unsere befristeten Mitarbeiter*innen für die Kontaktnachverfolgung als auch die Bundeswehrsoldat*innen so gut eingearbeitet, dass wir die Gesundheitsaufseher*innen demnächst etwas entlasten können.

 

Welche Erkenntnisse nehmen Sie aus der Pandemie mit?

Als die Krise losging, war eine unserer ersten Schlussfolgerungen, dass wir nach Corona auf jeden Fall eine gründliche Auswertung vornehmen werden und uns damit auseinandersetzen, wie unser Pandemieplan künftig auszusehen hat. Der alte lag zehn Jahre in der Schublade. Da standen zum Teil Namen mit Verantwortlichkeiten drin, die gar nicht mehr im Dienst sind. Schlussfolgernd heißt das auch für die Katastrophenschutzplanung, dass diese regelmäßig auf den Prüfstand gehört.

Und ja, die Pandemie hat uns auch ganz klar vor Augen geführt, wie weit wir beim Ausbau der IT-Infra­struktur in der öffentlichen Verwaltung zurück sind. Wir arbeiten intensiv daran, in dem Bereich aufzuholen.

 

Telefon- und Videokonferenzen sind aus unserem Berufsalltag nicht mehr wegzudenken. Selbst das Bezirksparlament tagt inzwischen online. Fällt Ihnen persönlich digitales Arbeiten eigentlich schwer?

Es ist gut, über diese Möglichkeiten zu verfügen, aber ich finde es schon schade und auch belastend, dass wir seit so vielen Monaten kaum noch Veranstaltungen, Vor-Ort-Termine und andere Begegnungen im Stadtraum haben. Ein Videocall kann ein persönliches Gespräch nicht ersetzen. Für mich zeigt sich zudem, dass durch die Anonymität im Netz die Hemmschwelle für beleidigende Äußerungen und Hasskommentare zunehmend sinkt. Daher bin ich sehr gespannt, wie unsere Bürgerveranstaltungen ablaufen werden ....

 

... die erstmals digital stattfinden

Ganz genau. Wir haben uns für zunächst drei Freitagabend-Termine entschieden. In der ersten Informationsveranstaltung am 19. März dreht sich von 17 bis 20 Uhr alles um Marzahn, am 26. April dann um das Siedlungsgebiet und am 28. Mai um Hellersdorf. Eigentlich waren Präsenzveranstaltungen geplant, aber Corona hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wir wollen jetzt einfach mal probieren, wie das digitale Format von den Bürger*innen angenommen wird. Denkbar wäre, daraus Hybridformen zu entwickeln. Das heißt, in Nicht-Pandemiezeiten könnte künftig eine Einwohnerversammlung vor Ort zusätzlich live im Internet übertragen werden. 

 

Im Herbst machen Sie den Sessel der Rathauschefin frei. Was sollte Ihr Nachfolger oder Ihre Nachfolgerin mitbringen?

Auf jeden Fall ein gewisses Maß an Gelassenheit, denn ich glaube, die Arbeit wird nicht einfacher. Wobei das nicht nur für den oder die Bezirksbürgermeister*in gilt, sondern allgemein für alle Stadträt*innen. Wer diese Ämter ernsthaft ausübt, hat keinen Acht-Stunden-Job, sondern eher Sieben-Tage-Wochen. Daher zolle ich gerade jungen Leuten mit Familie, die sich in diese Verantwortung begeben, meinen größten Respekt. In der nächsten Legislaturperiode bekommen die Bezirksämter sehr wahrscheinlich einen sechsten Stadtratsposten. Das halte ich angesichts der gestiegenen Anforderungen und gewachsenen Aufgaben auch für sinnvoll. 

 

Apropos Gelassenheit: Juckt Sie der Wahlkampf, der in diesem Jahr wieder toben wird, denn überhaupt?

Da bin ich tatsächlich etwas ambivalent, denn Wahlkampfzeiten sind immer besonders anstrengend. Klar, man wird nach über 30 Jahren Lokalpolitik etwas entspannter. Aber ich musste in dieser Zeit auch immer wieder die Erfahrung machen, dass Menschen auf Dinge, die sie vor den Wahlen geäußert haben, hinterher nicht mehr viel gaben und völlig anders agierten. Solche Unaufrichtigkeiten nerven mich nach wie vor. Ansonsten sehe ich meine Verantwortung vor allem darin, den Wahlkampf möglichst aus dem Bezirksamt herauszuhalten, damit wir diese Legislatur ordentlich zu Ende bringen. 

 

Gibt es Projekte im Bezirk, die Sie sehr gern noch vollendet oder angeschoben sehen würden?

Ja, sogar einige, zum Beispiel die Umsetzung der denkmalgerechten Sanierung des Rathauses Marzahn. Das Gebäude ist ein bedeutender Standort für den Bezirk. Wir müssen mit der Vorbereitung der Maßnahme weiter zügig vorankommen, damit ab 2023 gebaut werden kann. Das Haus der Gesundheit in der Etkar-André-Straße ist ein weiteres wichtiges Projekt. Das hat mir ehrlich gesagt zuletzt viele graue Haare beschert. Jetzt aber bahnt sich eine Lösung an. Außerdem freue ich mich auf die Fertigstellung des neuen Vivantes-Pflegeheims auf dem Krankenhausgelände in Kaulsdorf und ich bin zuversichtlich, dass in diesem Jahr auch noch der Spatenstich für das Demenzdorf am Wernersee gesetzt werden kann. Was unsere Investitionsplanung angeht: Da können wir hoffentlich schwerpunktmäßig den weiteren Ausbau unserer Schulinfrastruktur sichern. Fällt mir noch etwas ein? Ja, die Neubebauung des östlichen Helene-Weigel-Platzes.

 

Sie meinen das Gelände rund um das ehemalige Kino Sojus? Wie ist da der Stand?

Ursprünglich war geplant, die kommunalen Flächen an einen privaten Investor zu verkaufen. Das Land hat neue Entscheidungen in der Liegenschaftspolitik beschlossen, weshalb die Flächen an eine städtische Wohnungsbaugesellschaft übertragen und vom Investor bebaut werden sollen. Nach wie vor ist ein Mix aus Einzelhandel und Wohnen vorgesehen. Die Gespräche laufen. Wenn ich aus meiner Wohnung an der Allee der Kosmonauten auf den Platz schaue, sehe ich jedes Mal die Ruine des Sojus. Ich wünsche mir sehr, dass der Standort schon bald ein neues Gesicht bekommt.