Interview mit STADT-UND-LAND-Geschäftsführer Ingo Malter
Start ins Jahr mit über 50.000 Wohnungen
Seit 2014 hat die landeseigene STADT UND LAND 10.899 neue Wohnungen fertig gebaut und angekauft. Zum Jahreswechsel knackte das Unternehmen die Marke von 50.000 Wohnungen im eigenen Bestand. Doch der nach wie vor angespannte Markt erlaubt keine Verschnaufpause. Im Interview spricht Geschäftsführer Ingo Malter über weitere Wachstumsziele, die es unter schwierigen Rahmenbedingungen zu erfüllen gilt, und über die turbulente Corona-Zeit. Außerdem wirft er einen Blick auf Zukunftsthemen wie die Energiewende.
Herr Malter, 50.000 Wohnungen sind eine stolze Zahl. Aber wird die STADT UND LAND auch ihr angepeiltes Wachstumsziel für 2021 erreichen?
Ja. Wir wollen in diesem Jahr rund 450 weitere Wohnungen fertigstellen, davon 138 auch hier in Marzahn-Hellersdorf in der Hoyerswerdaer Straße. Damit erreichen wir das vom Land Berlin vorgegebene Zwischenziel. Allerdings ist dieser Erfolg ganz wesentlich auf unsere Ankaufsstrategie zurückzuführen. Beim Wohnungsbau hängen wir ehrlich gesagt noch etwas hinterher. Aber da holen wir derzeit auf. Die Zeichen stehen gut, weil wir über genügend Grundstücke verfügen. Das geht nicht allen Unternehmen so. In diesem Jahr bringen wir über 1.500 Neubauwohnungen an den Start.
Warum läuft der Neubau teilweise schleppend? Wer oder was bremst Sie aus?
Es spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Mal gibt es Verzögerungen, weil in einigen Bezirksämtern Personal fehlt, mal durchkreuzen Funde von geschützten Tier- und Pflanzenarten unsere Pläne, mal der Denkmalschutz. Eigentlich läuft selten alles glatt. Hinzukommt, dass die betroffene Nachbarschaft häufig nicht begeistert ist, wenn vor ihrer Haustür etwas Neues entsteht.
Die klassische „Not in my backyard“-Attitüde also. Nervt es Sie, dass die Menschen zwar mehr bezahlbare Wohnungen fordern, diese aber bitte nicht im unmittelbaren Umfeld entstehen sollen?
Ich finde das menschlich nachvollziehbar, aber es bedeutet für uns, dass wir mitunter enormen kommunikativen Aufwand betreiben müssen, um Akzeptanz für ein Vorhaben zu erzeugen und voranzukommen. Häufig holt die Anwohnerschaft sich politische Unterstützung, die dann moderieren und dafür sorgen soll, dass kleinere Baukörper, weniger Wohnungen und mehr Parkplätze errichtet werden. So verstreichen schnell Wochen – und aus Wochen werden dann oft Monate.
Gelingt denn Bürgerbeteiligung in Corona-Zeiten überhaupt?
Ja, durchaus. Wir haben noch im Oktober letzten Jahres mit entsprechenden Hygienekonzepten sogar einige Partizipationsveranstaltungen vor Ort durchgeführt. Sie fanden in großen luftigen Zelten und zeitlich gestaffelt statt. Aber das zu organisieren ist sehr aufwendig und kostenintensiv. Ansonsten halten wir die Menschen im Kiez auch mit Informationsschreiben über das Baugeschehen auf dem Laufenden. Nachfragen und Anregungen können an unsere Servicebüros gerichtet werden.
Einige Kritikpunkte an Bauvorhaben sind wahre Dauerbrenner: Häufig geht es um den Wegfall von Freiraum, fehlende Parkplätze und um soziale Infrastruktur, die mit dem Bevölkerungswachstum nicht Schritt hält.
Auch wenn hier gerade viel gebaut wird, gibt es in Marzahn-Hellersdorf erfreulicherweise noch ausreichend Freiräume und Grünflächen. Die anderen beiden Punkte sind in der Tat knifflig. Sie haben die soziale Infrastruktur angesprochen. Wir sind auf dem Gebiet alles andere als untätig. In Alt-Biesdorf konnten wir zum Beispiel dem Wunsch des Bezirks nachkommen und Räume für ein Stadtteilzentrum vorhalten. Zudem unterstützt unser Tochterunternehmen SOPHIA mit einer Vielzahl von Betreuungsangeboten betagte Mieterinnen und Mieter dabei, möglichst lange in ihren eigenen vier Wänden leben zu können. Der Bedarf ist riesig, darum wollen wir diesen Service auch weiter ausbauen.
Die Stellplatz-Thematik begegnet Ihnen ebenfalls bei jedem Bauvorhaben, oder?
So ist es. In Berlin besteht bei Wohnungsbauvorhaben derzeit keine Verpflichtung aus der Bauordnung zur Errichtung von PKW-Stellplätzen, weil der Senat den motorisierten Individualverkehr bekanntlich nicht unbedingt protegieren möchte. Aber wir wissen aus teilweise sehr emotional geführten Gesprächen mit den Anwohnerinnen und Anwohnern, dass ihnen Parkplätze wiederum sehr wichtig sind – gerade in den Außenbezirken. Als städtische Wohnungsbaugesellschaft müssen wir diesbezüglich eine gewisse Gratwanderung hinbekommen.
Und wie sieht diese Gratwanderung aus?
Meistens planen wir Stellplätze mit, wenn auch nicht für jede Wohnung. Auf dem Gut Alt-Biesdorf zum Beispiel wird es Parktaschen im Außenbereich und eine Tiefgarage geben. Grundsätzlich denken wir als Wohnungsbauunternehmen nicht bis morgen oder übermorgen, sondern möchten Quartiere schaffen, die zukunftsfähig sind. Dabei muss das Thema Mobilität neu und anders gedacht werden als bisher. Beispielsweise an E-ladesäulenfähige Stellplätze, Carsharing in den Außenbezirken oder verbesserte Anbindungen durch Infrastrukturmaßnahmen oder weitere Transportangebote.
Der Mietendeckel ist vor ziemlich genau einem Jahr in Kraft getreten. Die Corona-Krise traf uns zur gleichen Zeit – aber ohne Ankündigung. Muss die STADT UND LAND angesichts dieser ökonomischen Herausforderungen und der ambitionierten Wachstumsziele bei Investitionen in den Bestand künftig etwas zurückhaltender agieren?
Wir haben Mindereinnahmen, das ist nicht zu leugnen. Bislang bewegen sich die Einnahmeverluste aber in der erwarteten Größenordnung. Auch im Jahr 2020 haben wir wieder mehr Geld in Modernisierungen und Instandhaltungen investiert als im Jahr zuvor. Und 2021 legen wir noch einmal eine Schippe drauf, weil es uns wichtig ist, trotz des Neubaus die Bestände nicht zu vernachlässigen. Im Schnitt werden jedes Jahr etwa 3.000 Wohnungen saniert. Eine wesentliche Rolle spielt auch der dezentrale Ausbau von Photovoltaikanlagen auf Gebäuden. Hier sind wesentliche Verbesserungen möglich, um die Energiewende gemeinsam mit den Mieterinnen und Mietern voranzubringen. Dazu müssen Mieterstromprojekte flächendeckend ermöglicht werden. Mit anderen Worten: Mieterstrom sollte zu Quartiersstrom werden.
Wie lange halten Sie den Kurs, den Sie aktuell fahren, wirtschaftlich noch durch?
Noch einige Jahre. Wir stecken da aber durchaus in einem Dilemma: Auf der einen Seite lautet unser Auftrag, viel Geld zu investieren und zu wachsen. Auf der anderen Seite sind unsere Erlöse durch scharfe Restriktionen im Mietenbereich stark gedeckelt – da geht eine Schere auseinander. Zum Glück sind die Konditionen für Kredite weiterhin günstig. Lägen die Zinsen im üblichen Bereich von vier oder fünf Prozent, könnten wir das alles gar nicht leisten.
Wie können Wohnungsunternehmen auch künftig beim Neubau klotzen und gleichzeitig sozial verträgliche Mieten anbieten, ohne irgendwann in eine wirtschaftliche Schieflage zu geraten?
Es gibt Lösungsvorschläge. Ich sympathisiere zum Beispiel mit der Idee von einkommensabhängigen Mieten. Klar, das ist eine Titanen-Aufgabe und schmeckt nicht jedem, aber es spricht für mich nichts dagegen, dass ein wohlhabender Haushalt eine höhere Miete zahlt, damit wir Menschen mit kleinem Geldbeutel eine günstige Miete anbieten können. Auch das ist eine Frage von Solidarität.
Sie haben gelegentlich darauf verwiesen, dass wir rein rechnerisch gar nicht so viele zehntausende Wohnungen mehr bräuchten, wenn wir ein bisschen enger zusammenrücken würden.
Berlin hat jetzt mehr Wohnungen als jemals zuvor in seiner Geschichte. Trotzdem wird über Wohnungsnot geklagt. Das liegt auch daran, dass die beanspruchte Wohnfläche pro Kopf mit über 38 Quadratmetern im Vergleich zu anderen Großstädten weltweit nach wie vor sehr hoch ist. Der Anteil an Single-Haushalten in Berlin beträgt 54 Prozent. Natürlich gibt es auch viele Familien, die in sehr beengten Wohnverhältnissen zurechtkommen müssen. Aber an vielen Orten in der Stadt leben Menschen sehr großzügig und zum Teil allein, obwohl sie es nicht müssten und viel Geld sparen könnten, wenn sie mit anderen zusammenleben würden.
Sicher ist: Die Entlastung des Wohnungsmarkts wird Berlin und Ihr Unternehmen noch eine Weile beschäftigen. Darüber hinaus kommt eine Reihe von Zukunftsthemen auf Sie zu. Was haben Sie besonders im Blick?
Sehr spannend wird nach meiner Einschätzung die Energiewende, weil die Wohnungswirtschaft dabei eine Schlüsselrolle spielen kann. Aktuell ist der Fokus noch stark auf die Gebäudehülle gerichtet. Die Wärmedämmung allein wird jedoch nicht der große Wurf sein, um unseren Klimazielen näherzukommen. Vielmehr geht es um die Wärmeerzeugung, dort liegt das größte CO2-Einsparpotenzial.
Dass wir aus der Verbrennung fossiler Energieträger herauskommen müssen, ist ja unbestritten. Die Diskussionen über den richtigen Weg, die effektivsten Maßnahmen, besten Technologien und die Frage, wie diese Wärmewende bezahlbar bleibt, werden künftig noch interessant.
Weil es unser aller Alltag nach wie vor beschäftigt, erlauben Sie uns zum Schluss noch eine Frage zur Corona-Situation: Aktuell wird viel über die Homeoffice-Pflicht diskutiert. Wie klappt das bei der STADT UND LAND?
Das funktioniert hervorragend. Schon vor der Pandemie haben wir die technischen Voraussetzungen für das Arbeiten von zu Hause geschaffen. Das hat uns seit Beginn der Pandemie vieles erleichtert. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind mit Laptops und weiterem Equipment ausgestattet, sodass sie an jedem beliebigen Ort ihren Job machen können. Je nach Infektionslage haben wir im vergangenen Jahr mal mehr und mal weniger Homeoffice forciert. Momentan sind alle Mitarbeitenden angehalten, zu Hause zu bleiben – abgesehen natürlich von unseren Hauswarten, die trotz Corona weiterhin vor Ort sind und dafür unseren allergrößten Respekt verdienen. Ich selbst gehe auch nur einmal in der Woche ins Büro und arbeite ansonsten von daheim.
Und wie geht es nach der Krise mit dem flexiblen Arbeiten weiter?
Wir werden allen Angestellten ermöglichen, ein bis zwei Tage in der Woche mobil zu arbeiten. Eine entsprechende Betriebsvereinbarung wurde bereits geschlossen. Allerdings sollte in den -Teams abgestimmt werden, wer wann im Homeoffice ist. Was die Arbeitswelt angeht, so ist die Corona-Krise im positiven Sinne sehr lehrreich gewesen. Der Arbeitsalltag ist digitaler geworden und wir haben erfahren, dass unser Unternehmen auch handlungsfähig bleibt, wenn die Präsenz im Büro begrenzt ist. Ich bin wirklich berührt davon, wie gut die gesamte Belegschaft hier mitgezogen hat.