32 Jahre freiwillig hinter Gittern

Knastgeschichten von Arzt und Tatort-Darsteller Joe Bausch

32 Jahre freiwillig hinter Gittern

Sollte eigentlich im Dezember nach Marzahn kommen: Joe Bausch
Sollte eigentlich im Dezember nach Marzahn kommen: Joe Bausch

Sein erstes Mal in Marzahn-Hellersdorf muss warten. Am 5. Dezember sollte Joe Bausch mit seinem Buch „Gangsterblues“ im Gepäck ins Freizeitforum Marzahn kommen. Doch seit Mittwoch steht fest, was viele schon geahnt hatten: Die Corona-Beschränkungen gehen in die Verlängerung und die ausverkaufte Lesung fällt aus. Mit der „Hellersdorfer“ sprach der bekannte Schauspieler und pensionierte „Knastarzt“ vergangene Woche am Telefon über seinen Bestseller und die Arbeit hinter Gittern.

Die JVA Werl in Nordrhein-Westfalen gilt als eine der härtesten Gefängnisse Deutschlands. Hier sitzen nur die ganz schweren Jungs ein: Mörder, Sexualverbrecher, Drogendealer, Bankräuber und Geiselnehmer. Joe Bausch hatte mehr als 30 Jahre lang tagtäglich mit ihnen zu tun. Er war gewissermaßen ihr Hausarzt, also alles in einer Person: Internist, Orthopäde, Dermatologe, Psychiater, Chirurg – mit den entsprechenden Qualifikationen. 2018 gab er die Knast-Schlüssel ab und verabschiedete sich in den Ruhestand.

 

Langeweile dürfte bei dem 67-Jährigen allerdings nicht aufkommen. 

Wenn nicht gerade eine Pandemie alles lahmlegt, tourt er äußerst erfolgreich mit seinen Lesungen durch die Republik und schlüpft regelmäßig für den Kölner „Tatort“ in die Rolle des mürrischen Rechtsmediziners Dr. Joseph Roth. „Der tägliche Umgang mit den Patienten fehlt mir aber schon ein bisschen“, gesteht Bausch und sagt, er würde seine Fähigkeiten als Arzt gern hier und da noch einbringen wollen – etwa bei den bevorstehenden großangelegten Impfaktionen, für die gerade Leute vom Fach gesucht werden.

 

Dabei war das mit der Medizin eher Liebe auf den zweiten Blick. Schon zum Studium kam Joe Bausch erst über Umwege. Zuvor hatte er es mit Theaterwissenschaft, Politik, Germanistik und Jura versucht. Als er dann 1987 die Stelle im frisch eröffneten Justizkrankenhaus Fröndenberg antrat, wollte er eigentlich nicht länger als zwei Jahre bleiben. Doch es kam anders. „Die Medizin in den Gefängnissen war seinerzeit bei Weitem nicht auf dem Stand, wie sie es hätte sein sollen. Das alles ein bisschen nach vorne zu bringen, war mein Ansporn.“

 

Außerdem habe er sich von Anfang an gern der Herausforderung gestellt, auch mit schwierigen Patientinnen und Patienten klarzukommen. In gesellschaftspolitisch hochspannenden Zeiten bekam es der „Doc“ zunächst mit den RAF-Terroristinnen der zweiten Generation und ihren Hungerstreiks zu tun. Er könne sich noch gut erinnern, sagt der Leitende Regierungsmedizinaldirektor im Ruhestand, wie damals die ganze Öffentlichkeit auf den Knast guckte. Bald darauf galt es, die über 80-jährigen KZ-Täter vernehmungsfähig zu halten. „Später kamen die HIV-Positiven, die Drogenabhängigen und eh ich mich versah, war ich sechs Jahre da.“ Bausch blieb. Nur einmal, 1992 – seine Tochter war noch im Kleinkindalter –, habe er ernsthaft überlegt, ob er weitermachen solle. Zum Grübeln brachte ihn eine dramatische Geiselnahme in Werl, bei der eine Arzthelferin und ein Krankenpfleger mit Wundbenzin übergossen, angezündet und schwer verletzt wurden. Ihn selbst erreichten Anfang der 90er die ersten Todesdrohungen am Telefon. „Da wurde mir bewusst: Das ist ein gefährlicher Job.“

 

Sein erstes Buch über diesen gefährlichen Job veröffentlichte Joe Bausch 2012 unter dem Titel „Knast“. Das Debüt wurde ein Bestseller. „Da blieb es halt nicht aus, noch ein zweites Buch zu machen“, äußert sich der Mann mit der Glatze und dem blonden Schnauzer trocken zu seinen Beweggründen, noch mal als Autor tätig zu werden. „Gangsterblues“ besteht aus zwölf Episoden, die auf tatsächlichen Begebenheiten beruhen und von realen Personen handeln: Wie den drei alten Männern, die noch ein letztes großes Ding drehen, oder dem Schwerverbrecher, der unerwartet erbt und nun alles daransetzt, in Freiheit die Millionen zu verprassen.

 

Allein schon um die Schweigepflicht zu wahren, erzählt Bausch die mal brutalen, mal tragischen, mal nachdenklichen und mal witzigen Geschichten verfremdet, anonymisiert und fiktionalisiert. Ihm selbst gehe es dabei nicht um die Einzelschicksale, sondern darum, den Leserinnen und Lesern einen Einblick ins Knastleben zu geben und auch zu zeigen, wie sich die Welt hinter Gittern gewandelt habe: „Heute sitzen zum Beispiel viel mehr dissoziale Psychopathen ein als früher. Und auch die Alten kommen wieder. Vielleicht weil sie keinen Bock haben, Flaschen zu sammeln.“

Auf die Frage, was ihn an den Biografien seiner inzwischen Ex-Patienten besonders interessiere, antwortet der Mediziner, es sei nicht so sehr das Verbrechen an sich. Ihn bewege vielmehr die Frage, wie jemand zum Täter werde, wann es anfange und wie man es möglicherweise im Heranwachsenden-Alter verhindern könne.       

 

Gangsterblues: 

Harte Geschichten

20,00 €, Hardcover, 240 Seiten

ISBN-13 : 978-3864930560