Mit spitzer Feder dem Schalk auf den (V)Fersen

Wolfgang Reuter beschreibt unsere Welt in Reimen

Mit spitzer Feder dem Schalk auf den (V)Fersen

Wolfgang Reuter liebt Marzahn und lebt heute in Biesdorf. Er veröffentlichte bisher sechs Bücher, weitere sind in Arbeit.
Wolfgang Reuter liebt Marzahn und lebt heute in Biesdorf. Er veröffentlichte bisher sechs Bücher, weitere sind in Arbeit.

Mit 77 ist Wolfgang Reuter einer dieser agilen „jungen Alten“. Mit klarem Blick, kritischem Geist und flinken Fingern am Klavier bleibt er allem, was ihn bewegt – ob politisch oder alltäglich – hintergründig auf den (V)Fersen. Zahllose Gedichte und Lieder sind bereits entstanden. Als Reuter nach der Abwicklung des DDR-Fernsehens, einem Jahr Arbeitslosigkeit und 15 Jahren Sendeleiter des DSF (heute SPORT1) mit 65 in Rente ging, reimte er sich seinen Weg zu einem satire-interessierten Publikum in Marzahn-Hellersdorf und anderswo.

Da er einstmals Lehrer war, hat er als Alleinunterhalter im Klassenzimmer so seine Erfahrungen. Also traute er sich nun auf so manche Bühne – und seitdem singt und musiziert er und erzeugt in den Sälen manch heiteres Vergnügen. Nach der Corona-Zeit wird er wieder öffentlich auftreten.

 

Herr Reuter, woher kommt Ihre Lust am Frohsinn?

Frohsinn in Gemeinschaft steckt tief in mir drin, dafür begeisterte mich bereits meine Mutter. Auch sie verfasste Verse und spielte Klavier. Sie entstammte einer Wiener Familie und war für mich und meine zwei Geschwister unsere Party-Queen, die liebenswerteste Deko- und Verkleidungsfee, die ich je erlebte. All das war in den 1940ern und 1950ern absolut nicht üblich. Den meisten Menschen hing noch der Krieg an, und gearbeitet wurde etwa 50 Stunden pro Woche.

 

Musste Ihr Vater auch so lange arbeiten?

Gelegentlich sogar noch mehr, da er als Goldschmied in Heimarbeit tätig war und weniger die Stunden, als viel mehr die Ergebnisse zählten. Wenn mal versehentlich ein Brillant zu Boden fiel und nicht mehr auffindbar schien, war Panik in der Bude, das können Sie sich vorstellen. Vom Vater erbte und erlernte ich vor allem Disziplin. as passt auch sehr gut zu meinen kulturellen Aktivitäten. Später als Lehrer in Laubusch, Kreis Hoyerswerda, baute ich einen Singeklub auf, den Jugendklub des Ortes und organisierte die monatlichen Schüler­fahrten ins Theater der Bergarbeiter Senftenberg.

 

Kein Wunder, dass die FDJ Sie zum Kulturfunktionär machte.

Ich wurde in die FDJ-Kreisleitung, dann in die Bezirksleitung und schließlich in den Zentralrat nach Berlin geholt. Hier kümmerte ich mich DDR-weit um die Jugendklubs, die Jugendtanzmusik, die Singebewegung und die Berliner Festivals des politischen Liedes.

 

Später wurde Ihr Klientel jünger, doch der Job sicher lukrativ.

Beim Kinderfernsehen der DDR, dessen Chefredakteur ich schließlich wurde, arbeiteten überwiegend Frauen, was mir sehr gefiel, auch wenn es nicht immer leicht war, zwischen ihnen Frieden zu stiften. Doch wenn es um Pittiplatsch & Co. ging, zogen alle an einem Strang. Mein Job führte mich damals auch zum Kinderfilmfestival „Goldener Spatz“ nach Gera. Dort ergab es sich, dass ich Musicals für Kinder schreiben durfte. Die liefen im „Haus der Kultur“ in den Sommerferien und vor Weihnachten. Eines, das zur Wendezeit aufgeführt wurde, nannte ich „Weihnachten im Wilden Westen“, und ich sage Ihnen, die Pointen saßen!

 

Im Osten war man stolz auf das „bessere“ Kinderfernsehen.

Das bin ich natürlich auch heute noch, sehe andererseits so manches kritisch an den aktuellen Animationsfilmen für Kinder, etwa von Disney. Da wird mit Essen rumgesaut, es wird geschlagen und getreten und Hälse werden in die Länge gezogen, von Rasereien mit chaotischen Unfällen ganz zu schweigen. Ist das als Anregung für Kinder gedacht?

 

Für Sie verlief die Wende mehr eiter als heiter. Was hat gestört?

Mich störte von Anfang an das ganze Wende-Theater mit den jahrzehntelang immer gleichen Bildern in den Medien von strahlenden Menschen in ihren Trabis und jubelnden Mauerkletterern. Gab es nicht auch Verlierer, vor allem auf dem Gebiet der DDR? Als die Treuhand kam, war die Feierlaune im Osten verflogen. Den Beitritt der DDR zur BRD nannte ich deshalb gerne Bei-Tritt und unser neues Heimatland High-Matt-Land.

 

Denken Sie heute anders?

Nein. Meine bissige „Fabel vom Hund und den Wölfen“ musste im vorigen Jahr einfach mal raus. Mag sein, dass wir braven Ost-Hunde für das Leben unter gerissenen West-Wölfen nicht so recht geschaffen sind. Aber dass uns nicht mal mehr unser bescheidener Hof gehört und manche Hütte (z. B. Palast der Republik?!), ärgert mich.

 

Beschreiben Sie auch den Bezirk?

Ja, es gibt einige Gedichte und Lieder über unseren Stadtbezirk, beispielsweise meine „Marzahn-Hymne“, „Ich mag die Platte“, „Marzahn bleibt bunt“, der „Schloss-Biesdorf-Walzer “ oder „Ich fahr so schrecklich gerne Lift“.

 

Herr Reuter, Sie lieben die Platte, wohnen in Biesdorf. Doch Ihr Herz haben Sie verloren ...

... zunächst einmal an meine Frau Hanne, die gebe ich auch nach 52 Jahren Ehe nicht mehr her. Geografisch gesehen bin ich meiner Heimatstadt Görlitz verfallen. Meine Schwester wohnt noch dort, und ich besuche sie liebend gern. Denn wir Görlitzer sind nun mal alle unverbesserliche Lokal-Patrioten.

 

Gespräch: Ute Bekeschus