Kaum Räume und hohe Mieten:
Kleine Gewerbetreibende schlagen Alarm
Berlin boomt und es wird eng. Das gilt nicht nur für den Wohnungsmarkt, auch die Gewerbemieten steigen. Kleinere Unternehmen stellt das vor große Probleme, vor allem wenn sie auf der Suche nach einem Standort sind. Gewerbeflächen stehen kaum noch zur Verfügung und wenn ja, sind sie verglichen mit den Verhältnissen vor einigen Jahren sehr teuer. Nach den Vorstellungen der Linken und der CDU im Bezirk soll der der Senat daher landeseigene Gewerbeflächen zur Verfügung stellen.
Wie brisant die Situation für eine Reihe von Gewerbetreibenden inzwischen ist, zeigt das Gut Hellersdorf. Rund um das ehemalige Stadtgut baut die Gesobau 1.500 Wohnungen. Das Gut selbst soll denkmalgerecht saniert werden. Inwieweit dann noch Platz für traditionelles Gewerbe sein wird, ist noch offen. Lediglich zwei Unternehmen haben die Möglichkeit erhalten, während der Bauzeit auf dem Gelände zu bleiben, in einer auf eigene Kosten errichteten Leichtbauhalle. Die meisten Firmen sind inzwischen weggezogen. Ob ein größerer Teil davon zurückkehren wird, ist fraglich.
Einer schmeißt auf jeden Fall hin: Mike Dummer (51). In seiner Autowerkstatt „Mike´s Garage“ werden auf dem Gutsgelände seit 1992 Fahrzeuge repariert und umgebaut. Viele Kunden machen das mit den Geräten und Werkzeugen dort auch selbst. Der Eigentümer wird den Betrieb aufgeben. „Für mich heißt das danach Hartz IV“, sagt er. Dummer beklagt, dass weder die Gesobau ihm annehmbare Vorschläge für einen Ausweichstandort gemacht habe noch ausreichende Hilfe seitens des Bezirksamts kam. „Zu den heute üblichen Marktpreisen von zehn bis zwölf Euro pro Quadratmeter lässt sich mein Unternehmen nicht mehr wirtschaftlich betreiben“, erklärt er.
Weitermachen wollen hingegen Stefan Rätz (52) und Nils Raetzel (49) mit ihrer Tischlerwerkstatt „Kühl & Deibel“. Sie wissen aber noch nicht wo. Erst vor wenigen Jahren sind sie von der Alten Börse in Marzahn in das Stadtgut Hellersdorf gezogen. „Damals hieß es von der Gesobau: Kommt her, hier habt ihr eine Perspektive“, erzählt Rätz. Nun wieder mit ihren schweren Maschinen umziehen zu müssen, bereitet den beiden große Probleme. Neue, bezahlbare Räume haben sie im Bezirk nicht gefunden. In Hoppegarten haben sie Aussicht auf einen neuen Standort. Dieser wird aber frühestens im kommenden Frühjahr zur Verfügung stehen. Offiziell gekündigt wurden Stefan Rätz und Nils Raetzel von der Gesobau zu Ende September. Sie hoffen nun, dass ihr bisheriger Vermieter im Stadtgut sie nicht einfach räumen lässt.
Ähnlich wie ihnen ist es zahlreichen anderen Gewerbetreibenden im Bezirk ergangen. Einer der wichtigsten Gründe war die Aufgabe von Gewerbeflächen für den Wohnungsbau, wie etwa beim alten Gutsgelände in Biesdorf. Der nächste Aderlass ist an der Chemnitzer Straße absehbar. Dabei lässt sich nicht leugnen, dass die Bezirkspolitik das Problem nicht sieht. Gegen den Bau von neuen Wohnungen auf einem ehemaligen Knorr-Bremse-Gelände am S-Bahnhof Marzahn hat sich das Bezirksamt lange gesträubt, bis die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung das Verfahren an sich zog.
Im Januar 2019 wurde das Bezirksamt auf Antrag der Linksfraktion aufgefordert, sich beim Senat für die Gründung einer landeseigenen Gesellschaft einzusetzen, die preiswerte Gewerbeflächen anbietet. Im Mai dieses Jahres teilte Wirtschaftsstadträtin Nadja Zivkovic (CDU) dazu mit, dass der Bezirk dem Beschluss nicht folgen werde. Es gäbe bereits mit der WISTA Management GmbH eine landeseigene Standortentwicklungs- und Dienstleistungsgesellschaft zum Betrieb von Gewerbeflächen. Im selben Bericht teilte Zivkovic der BVV mit, sie sei mit der Wista über einen neuen bezirklichen Gewerbehof-Standort im Gespräch.
Währenddessen ist die Zeit für gegenseitige Schuldzuweisungen für das Ausbluten des Gewerbes im Bezirk gekommen. Die CDU sieht die Hauptverantwortung bei Bürgermeisterin Dagmar Pohle (Linke). Diese müsse über ihre Abteilung Stadtentwicklung ausreichend Gewerbeflächen im Bezirk sichern. „Frau Pohle hat die Verantwortung für vieles, vielleicht für allzu vieles übernommen“, sagt der CDU-Abgeordnete Christian Gräff. Da rutsche eben manchmal etwas durch. Sein Kollege Mario Czaja kritisiert, dass der Bezirk inzwischen Schwerpunkt des Wohnungsbaus in Berlin sei, was auch zulasten des Gewerbes ginge.
Bjoern Tielebein, Fraktionsvorsitzender der Fraktion der Linken in der BVV, hält dagegen. Er fordert, auch Wirtschaftsstadträtin Zivkovic solle ihre Hausaufgaben machen. Als Reaktion auf den BVV-Beschluss hätte sich Tielebein gewünscht, dass Zivkovic dem Land eine Liste mit möglichen Gewerbeflächen im Bezirk vorlegt. „Im Übrigen hätte sie nach der Freigabe des Grundstücks an der Straße An der Schule für die Feuerwache Mahlsdorf anregen können, die gesamte Fläche für Gewerbe zu kaufen“, sagt er. Die Sicherung von Gewerbestandorten sei eine Aufgabe des gesamten Bezirksamtes. In einem sind sich die Parteien einig: Es muss endlich etwas getan werden, um besonders auch kleinere Gewerbetreibende im Bezirk zu halten.
Harald Ritter