Schon immer stolz darauf, ein Teil des Bezirks zu sein

Ingold Kühne war schon immer stolz darauf, ein Teil des Bezirks zu sein

Abschied nach fast 34 Jahren BVV-Büro

Die Malve gehört zur kleinen Pflanzensammlung, die Ingold Kühne mit ihrer Tätigkeit im BVV-Büro verbindet.
Die Malve gehört zur kleinen Pflanzensammlung, die Ingold Kühne mit ihrer Tätigkeit im BVV-Büro verbindet.

In unserer Rubrik „EINFACH MACHEN“ berichten wir über langjährig berufstätige, engagierte Menschen, die sich guten neuen Ideen und der Suche nach Lösungen hingeben, statt einfach nur Dienst nach Vorschrift zu machen. Ingold Kühne vom Büro der BVV hat sich nicht nur die Hochachtung der meisten Bezirksverordneten erarbeitet und ihre Herzen gewonnen. Sie stand kontinuierlich für Akribie und gute Ordnung und hat in ihrem Umfeld immer auch ein verbindlich-freundliches Miteinander gefördert.

 

Frau Kühne, die Malve in Ihrem Garten hat einen individuellen Namen – warum?

Sie gehört zur kleinen Pflanzensammlung, die ich mit meiner Zeit im Büro der BVV verbinde. Da gibt es einen Gummibaum Liesbeth mit Bezug zu Frau Lohrmann, eine Porzellanblume Mia, einst erhalten von Frau Georgy. Und im Garten gedeiht jene wunderschöne Malve „Borki“, benannt nach Ulrich Bork. 

 

Die Pflanzen wirken top gepflegt. Könnte man das ähnlich von Ihren Beziehungen zu Menschen sagen?

Wenn Sie das so ausdrücken – ja!  Es war mir schon immer wichtig, mit wem ich es zu tun habe und wie sich mein persönliches Verhältnis zu Menschen entwickelt. Das betrifft meine Familie bis hin zu den Urgroßeltern genauso wie das herzliche, enge Band in meiner eigenen Familie. Natürlich weiß ich noch viele Namen und kenne die Geschichten von Menschen aus meiner beruflichen Tätigkeit – und das von den 1980er Jahren an.

 

In den 1980er Jahren sind Sie nach Marzahn gekommen. Wie war das damals für Sie?

Es war Liebe auf den ersten Blick. Das Wachsen der Wohngebiete verfolgte ich schon als Studentin während der Bahnfahrten von und zu meinem Heimatort Wesenberg bei Neustrelitz. Als diplomierte Lehrerin für Kunsterziehung und Deutsch arbeitete ich zunächst zwei Jahre lang in der Uckermark. Nach Marzahn zog ich 1980 mit meinem Mann und unserem gerade erst geborenen Sohn. Anfangs hatten wir keinen Krippenplatz und ich war zwei Jahre lang Hausfrau.

 

Waren Sie da „nur“ Mutter und Hausfrau oder haben Sie etwas aus Ihrer Situation gemacht?

Ich nähte Bekleidung für eine Berliner Boutique und brachte mich ehrenamtlich beim Frauenbund DFD ein. 1984 wurde ich dann vom DFD für die Stadtbezirksversammlung Marzahn vorgeschlagen. Da ging es zum Beispiel um die dringende Versorgung mit einem Telefonanschluss, etwa für ein erblindetes Ehepaar oder für eine Band-Managerin. Neben solchen Tätigkeiten zu Eingaben organisierte ich kulturelle Veranstaltungen für Abgeordnete und Mitmenschen aus dem Kiez. Ich war sehr stolz darauf, ein Teil des Großprojektes Marzahn zu sein.

 

In der Legislative waren Sie selbst aktiv und ab 1986 arbeiteten Sie beim Rat des Stadtbezirks im „Abgeordnetenkabinett“. Heute heißt das Büro der BVV. 

Am Freitag, dem 13. Januar 1989, zog ich mit dem damaligen Büro­ der Stadtbezirksversammlung (SBV) in mein geliebtes Rathaus Marzahn ein, wo ich bis zuletzt gearbeitet habe. Seit 1990 heißt es also das Büro der Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Nur die Bezeichnungen des Büros wechselten – mein Arbeitsort nie wieder!

 

Doch die Arbeit war sicher von Wechseln und Wandel geprägt.

Im Bezirk Marzahn und später im fusionierten Bezirk Marzahn-Hellersdorf habe ich natürlich viel erlebt: Schlimmes in der Wendezeit, die ersten Computer, technische Übergänge von den alten Spulen-Tonbändern bis zum heutigen Audioprogramm, außerdem zum Beispiel die anfänglichen Nachwende-Kontakte zu unserem Westberliner Partnerbezirk, das Hineinwachsen in eine demokratische Kommunalpolitik. Wir arbeiteten immer eng mit unseren Vorstehern zusammen, die jeweils ganz eigene Vorlieben, Themen und Ideen hatten.

 

Fünf Vorsteher in 30 Jahren sind gar nicht mal viel.

Ja, das waren Udo Hanke (Bündnis 90), Ursel Liekweg (SPD), Rüdiger Heise (CDU), Petra Wermke (PDS/Die Linke) und seit 2011 Kathrin Henkel von der CDU. Absolute Loyalität gegenüber jeder Fraktion und allen Bezirksverordneten gehören zu unseren Standard-Regeln. Aber manchmal ging es nur um formale Erschwernisse, zum Beispiel wenn Drucksachen der Fraktionen zu spät kamen und die Geschäftsordnung nicht eingehalten wurde.

 

So was nervt doch.

Also ich persönlich stehe auf Termintreue und möchte gerne, dass alles seine gute Ordnung hat. Sich türmende Aktenberge und ungeklärte Fragen sind nicht mein Ding. So habe ich oft freiwillig an Lehrgängen teilgenommen, um immer auf der Höhe zu sein. Einmal ging es um Haushaltsrecht und siehe da: Eine Zeit später bekam das Büro die Aufgabe, die Verwendungsnachweise der Fraktionen tiefgründig zu prüfen. Nach der Verwaltungsreform im Jahr 1996, dem Einzug der Informationstechnik oder neuer rechtlicher Anforderungen, wie zum Beispiel beim Datenschutz, sind immer wieder mal neue Aufgaben für uns definiert und höhere Anforderungen an uns gestellt worden. Jedoch die Lohneingruppierung ist strukturell noch immer die von (West)Berlin, Stand 1977.  Und trotzdem: Ich hätte mir keine andere Arbeit vorstellen können.

 

Wofür ist das Büro zuständig?

Ehrlich gesagt, kann man hier gar nicht alles aufzählen. Im Mittelpunkt stehen immer eine gute Organisation und all die Haken und Ösen im Verborgenen – was also­ niemand von außen sieht. Mit jetzt vier Vollzeitstellen ist das Büro Dienstleister im weitesten Sinne. Er ist Ansprechpartner für die Einwohnerschaft, leistet Zuarbeiten für die Vorsteherin und in Rechtsfragen. Meines Erachtens ist die Tätigkeit der Referenten der Bezirksamtsmitglieder sehr ähnlich.

 

Und dann wären da noch die Sitzungen der BVV-Mitglieder.

Natürlich bereiten wir die monatliche BVV-Sitzung vor und sind für die Protokollierung und Überwachung der Beschlüsse zuständig. Monatlich zu organisieren sind im Durchschnitt auch 18 Ausschuss-Sitzungen, die von Anfang bis Ende betreut werden. Da geht es dann auch um Eingabenbearbeitung und Zahlung von Sitzungsgeld. Allein die Zusammensetzung und Betreuung des Jugendhilfeausschusses ist eine Wissenschaft für sich. Dazu kommen die Live-Übertragung der BVV-Sitzungen ins Internet, das Organisieren von Veranstaltungen und die Anleitung von Azubis. Wissen Sie, das Pensum war all die Jahre sehr groß und zunehmend in den letzten Jahren so gewachsen, dass ich sogar mal eine Überlastungsanzeige schrieb. 

 

Hat sich danach etwas geändert?

Arbeitsmäßig eher nicht. Doch nach den vielen Jahren mit nur drei Mitarbeiterinnen bekamen wir endlich eine vierte Stelle dazu. Aber bei all dem möchte ich auch sagen: Die Arbeit war für mich ganz klar auch immer ein Zugewinn! Ich durfte viele interessante und bekannte Menschen kennenlernen, hatte engagierte Kolleginnen und Kollegen und erinnere mich gern an ganz besondere Aktionen, die mit meinem Steckenpferd Kultur verbunden waren. Da wären zunächst die Exkursionen unseres Teams, die uns allen immer sehr viel bedeutet haben. Gewissermaßen teambildend und mit viel Freude verbunden war die Weihnachtspäckchenaktion für Kriegsflüchtlingskinder oder auch die Anti­-Aids-Aktion „Mützen für Afrika­“ in Namibia. Besonders am Herzen liegt uns allen die langfristige Vorbereitung für den Marzahn-Hellersdorfer Tag des Ehrenamtes, der jedes Jahr im Dezember stattfindet und auf einen Beschluss der BVV aus dem Jahr 2003 zurückgeht.

 

Frau Kühne, Sie bezeichnen sich selbst als Azubi-Rentnerin. 

Ja, denn ich bin neu in dem „Job“! „Rentner haben niemals Zeit“, das lerne ich gerade. Heim und Garten brauchen hier und da eine Überarbeitung. Erfreulicherweise liegt bei mir jetzt mehr Musike in der Luft, denn mein Klavier kommt zu neuen Ehren. Kultur durchzieht eben mein Leben, deshalb bin ich auch im Förderverein des Landestheaters Neustrelitz. Ich denke oft über die Schicksale in den Familien meiner Eltern nach und widme mich einer besonderen Art der Ahnenforschung, die es mir möglich machte, drei Stolpersteine in der Greifswalder Straße verlegen zu lassen, denn jüdische Verwandte meines Vaters wurden im KZ ermordet. Mein Papa selbst ist mit 95 Jahren gestorben und ich vermisse ihn sehr. An seinem Grab auf dem Friedhof in Ahrensfelde singe ich ihm immer ein Lied.

 

Gespräch: Ute Bekeschus