Bei JAO dürfen alle Kinder wieder in die Kita


Der freie Träger hat einen Weg gefunden, mehr Familien zu entlasten

Bei JAO dürfen alle Kinder wieder in die Kita

In Berlin dürfen wieder mehr Kinder in die Kita gehen. Seit 25. Mai haben auch Fünfjährige und ihre Geschwister Anspruch auf einen Halbtagsplatz. In den kommenden Wochen sollen weitere Jahrgänge nach absteigendem Alter in die Einrichtungen zurückkehren. Einen genauen Zeitplan hat der Senat dafür aber noch nicht vorgelegt. Beim freien Träger Jugendwerk Aufbau Ost JAO gGmbH ist man da schon ein ganzes Stück weiter. In den insgesamt zehn Marzahn-Hellersdorfer JAO-Kitas erhalten ab sofort alle Kinder ein Betreuungsangebot. Wie das möglich ist und warum sie von den Empfehlungen des Senats abweichen, erläutern Geschäftsführer Thomas Knietzsch und Kita-Bereichsleiterin Martina Werthmann im Interview.

 

Herr Knietzsch, haben Sie eigentlich von Anfang an Ihr eigenes Ding gemacht?

Thomas Knietzsch: (lacht) Eigenes Ding – Das haben wir vorher nicht gemacht und machen es jetzt auch nicht! Wir sind den Vorgaben des Senats eins zu eins gefolgt: Erst hatten nur Eltern in systemrelevanten Berufen Anspruch auf einen Kita-Platz für ihre Kinder. Später wurde diese Gruppe erheblich ausgeweitet und die Zwei-Eltern-Regelung aufgehoben. Zusätzlich erhielten Alleinerziehende und Familien in herausfordernden Situationen Betreuungsangebote. 

 

Und wie sind Sie dann zu Ihrem aktuellen Notbetreuungsmodell gekommen?

Thomas Knietzsch: Als die stufenweise Öffnung verkündet wurde, haben wir eine Bestandsanalyse in allen unseren Kitas gemacht. Mit der Rückkehr der Schulanfänger*innen und ihrer Geschwister am 14. Mai waren unsere Einrichtungen schon zu über 50 Prozent ausgelastet. Wir wussten, wir können nicht länger Woche für Woche neue Gruppen aufmachen und gleichzeitig am Prinzip der kleinen festen Gruppen festhalten, weil dafür weder das Personal noch die Räume ausgereicht hätten. Um weitere Kinder aufnehmen zu können, musste also ein eigenes Modell her, das jederzeit das Hygienekonzept des Senats berücksichtigt und auch die Kinder im Blick hat.

 

Als Antwort auf den Raummangel hatte sich der Senat ja für den Halbtagsanspruch ausgesprochen.

Thomas Knietzsch: Richtig – als eine Möglichkeit. Die Gestaltung obliegt ja den Kindertagesstätten und Trägern. Der Halbtagsanspruch hätte eine Schichteinteilung in Vormittags- und Nachmittagsbetrieb bedeutet und wäre für unsere 460 Mitarbeiter*innen nicht umsetzbar gewesen. Den meisten berufstätigen Eltern ist auch nicht geholfen, wenn sie ihr Kind nur für vier Stunden in die Einrichtung bringen können. Außerdem birgt das Stufenmodell die Gefahr, dass einige Kinder – zum Beispiel Einjährige ohne Geschwisterkind – erst im Juli ihre Kita und ihre Spielkamerad*innen wiedersehen. Dagegen haben wir uns gesträubt. Wir betreuen schon jetzt alle Altersgruppen.

 

Wie stellen Sie das an, die Kita für alle Kinder zu öffnen?

Thomas Knietzsch: 50 Prozent der Kinder haben Anspruch auf ein tägliches Betreuungsangebot. Das sind die bereits erwähnten Mädchen und Jungen, deren Eltern in systemrelevanten Berufen arbeiten, alleinerziehend sind oder zu Hause besondere Herausforderungen zu meistern haben.

Für die andere Hälfte der Kinder gibt es zwei mögliche Modelle: Entweder sie gehen alle zwei Wochen ganztägig von Montag bis Freitag in die Kita oder sie werden jede Woche betreut – mal zwei Tage, mal drei Tage – immer im Wechsel.

Damit haben wir täglich maximal 75 Prozent der Kinder in der Kita und alle Familien wissen, woran sie sind. Auch unsere Kolleg*innen können so besser planen.

 

Dürfen sich die Eltern aussuchen, ob sie ihre Kinder alle zwei Wochen oder an zwei bzw. drei Tagen pro Woche in die Kita bringen?

Thomas Knietzsch: Die Elternvertreter*innen haben gemeinsam mit den Kitaleitungen besprochen, was für ihre Familien am günstigsten ist. Viele nutzen das 3/2-Modell. Andere Eltern bevorzugen es, in einer Woche voll zu arbeiten und in der anderen mit dem Kind ins Homeoffice zu gehen. Schlussendlich hat sich jede einzelne Kita für ein Konzept entschieden, das dann für alle Eltern der Einrichtung bindend ist.

 

Wie finden die Eltern die neue Regelung?

Martina Werthmann: Wir sind damit ja erst gestartet, haben aber überwiegend positive Rückmeldungen bekommen. Die Mütter und Väter sind dankbar, dass sie bis zu unserer Schließzeit nun endlich eine Perspektive haben. 

 

Sie halten also an der Schließzeit fest? 

Thomas Knietzsch: Ja, wir planen weiterhin, die Kitas vom 13. bis 31. Juli zu schließen. In zwei Häusern wird eine Notbetreuung angeboten. Eltern, die im vergangenen Dezember für die Sommerschließzeit einen Platz beantragt haben, steht dieser selbstverständlich zur Verfügung. 

Martina Werthmann: Es gab kürzlich noch mal eine Abfrage bei den Eltern, ob der Bedarf weiterhin besteht. Sollten Plätze in der Notbetreuung frei werden, können diese wochen- oder tageweise an Nachrücker*innen mit besonderen Bedarfen vergeben werden. 

 

Einige Träger überlegen, auf die Sommerschließzeit zu verzichten, weil es heißt, viele Eltern hätten wegen der Corona-Krise bereits ihren Jahresurlaub verbraucht. War das für Sie nie ein Thema?

Thomas Knietzsch: Bislang betrifft das nur ganz wenige unserer Eltern. Für die versuchen wir eine Lösung zu finden. Aber wir sagen auch ganz klar: Es gibt Arbeitnehmer*innenrechte. Unsere Kolleg*innen sollen ihren zugesagten Urlaub nehmen dürfen. 

Hinzukommt, dass wir das neue Betreuungsmodell auch nur aufrechterhalten können, wenn das komplette Personal in den kommenden sieben Wochen an Bord ist und alle dann im Juli gleichzeitig in die Ferien gehen.

Martina Werthmann: Die Mitarbeiter*innen brauchen einfach die Gewissheit, dass ihr geplanter Urlaub steht. Nach den drei Wochen Schließzeit kommen sie hoffentlich erholt wieder und starten mit voller Energie in das neue Kita-Jahr.

 

Sie haben erwähnt, dass Ihr Modell nur funktioniert, wenn alle Mitarbeiter*innen am Start sind. Gilt das auch für die Risikogruppen?

Thomas Knietzsch: Wenn alle Über-60-Jährigen im Homeoffice wären, müssten wir auf 25 Prozent des Personals verzichten und könnten nicht über 1.000 Kinder notbetreuen. Daher haben wir das Thema Gesundheit und Eigenverantwortung mit den Kolleg*innen ganz ausführlich besprochen. Wer für sich feststellt, zur Risikogruppe zu gehören, lässt das ärztlich checken und geht gegebenenfalls in die Krankschreibung. Unsere Erfahrung ist, dass die meisten Erzieher*innen nicht pauschal aus dem Dienst herausgenommen werden wollen, nur weil sie 55 oder 60 Jahre alt sind.

Martina Werthmann: Ganz genau. Die möchten arbeiten und sind gerade total motiviert. Viele genießen es, endlich kleinere Gruppen zu haben und Dinge umsetzen zu können, die vorher nicht möglich waren.

 

Wie groß sind die Gruppen denn?

Thomas Knietzsch: Es gibt keine konkreten Vorgaben vom Senat. Im Hygienekonzept wird die Richtgröße zehn genannt. Wir haben mit acht Kindern pro Gruppe begonnen und sind jetzt in der Regel bei zehn. Mitunter gibt es auch Zwölfer-Gruppen. Das hängt von den räumlichen Bedingungen, dem Alter der Kinder und von Geschwisterkonstellationen ab.

 

Wie hat sich der Kita-Alltag durch Corona sonst noch verändert?

Martina Werthmann: Damit nicht alle Kinder auf einmal kommen, wurden unterschiedliche Bringezeiten eingeführt. Die Eltern tragen einen Mund-Nasen-Schutz, wenn sie die Kita betreten. Auch für den Aufenthalt im Garten gibt es zum Teil unterschiedliche Zeiten oder auch bestimmte Bereiche, in denen sich die Gruppen bewegen dürfen. Unsere Hygieneregeln haben die größeren Kinder schon ziemlich gut drauf. Sie geben ihr Wissen auch gern weiter. Letztens meinte ein Fünfjähriger: „Wir müssen uns noch schnell die Hände waschen, dann kommt Corona nicht weit.“ Solche Äußerungen zaubern den Erzieher*innen natürlich ein Lächeln ins Gesicht.

Thomas Knietzsch: Die größte Einschränkung ist sicher, dass die offenen und teiloffenen Angebote ausgesetzt sind und die Kinder sich nicht so frei bewegen können, wie sie es gewohnt sind. Alle Funktionsräume wurden aus Platzgründen in Gruppenräume umgewandelt. Der Kita-Alltag findet überwiegend in den festen Gruppen und im Freien statt. Trotzdem sind wir stolz darauf, allen Kindern endlich ein verlässliches Angebot machen zu können und ihnen das zu geben, was sie brauchen: andere Kinder zum Spielen und wieder mehr Normalität.

Dafür möchte ich den Kolleg*innen ein dickes Lob aussprechen. Gerade auch unsere Kitaleitungen leisten gerade Großartiges: Sie sind ständig mit den Eltern, den Pädagog*innen, dem Kita-Management und dem Senat im Austausch, führen ununterbrochen Telefonate, schreiben E-Mails, erstellen Listen und sind vor Ort.

 

Apropos Applaus: Der Senat zahlt Landesbediensteten, die während der Corona-Krise wichtige Teile des öffentlichen Lebens am Laufen halten, eine „Heldenprämie“ von bis zu 1.000 Euro. Auch die Kita-Angestellten der freien Träger sollen berücksichtigt werden. 

Thomas Knietzsch: Wir freuen uns natürlich über jedes Signal der Wertschätzung. Zumal die freien Träger 81 Prozent aller Kitaplätze in Berlin bewirtschaften und auch den Großteil im Neubau wuppen. Kritisch sehen wir allerdings, dass die Prämien mit Ausnahme der Kitas nur für Beschäftigte des Landes Berlin vorgesehen sind. Das heißt, andere Angestellte der freien Träger wie zum Beispiel Familienhelfer*innen und Schulsozialarbeiter*innen gehen leer aus, obwohl sie genauso gute und wichtige Arbeit leisten. 

Viel wichtiger als eine Prämie wäre uns die weitere Aufwertung der sozialen Berufe – spürbar im Gehalt und in der Anerkennung. Es merken doch gerade alle, dass ohne Kitas die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht möglich ist.