Dem Mann aus Hellersdorf (32) blieb wegen Corona eine längere U-Haft erspart
Verurteilter Räuber bedankt sich
Still ist es im Kriminalgericht Moabit, dem größten Strafgericht Europas. Der Betrieb ist wegen der Coronavirus-Pandemie heruntergefahren worden. Wo sich üblicherweise um die 2.000 Menschen am Tag aufhalten und mehr als 300 Prozesse in etwa 90 Sälen verhandelt werden, ist nur noch wenig Bewegung. Was nicht nötig ist, wird vertagt. Auch die Justiz ist im Krisenmodus. Nur noch dringende Termine werden verhandelt. Einer davon betrifft Christoph R.* aus Hellersdorf.
Der 32-Jährige war vor rund vier Monaten verhaftet worden. Er soll für einen Überfall auf eine Tankstelle verantwortlich sein. In ersten Vernehmungen bei der Polizei hatte R. eine Räuberpistole
aufgetischt und sich eher als Opfer dargestellt. Zwei gefährliche Männer hätten ihn gezwungen, für sie Geld zu erbeuten, gab er zu Protokoll. Die angeblichen Hintermänner könne er nicht verraten
– aus Angst vor Rache.
Aufgeregt und nervös wirkt Christoph R. nun. „Ich will gestehen“, erklärt er. Mit einer echt wirkenden Pistolenattrappe und einer schwarzen Skimaske in der Tasche sei er losgezogen. „Angetrunken war ich und sauer.“ Weil er seinen Job los war, die Freundin ihn vor die Tür gesetzt hatte und er ohne Geld dastand. Mit dem Fahrrad sei er zuerst zum Spätkauf in der Nähe seiner Wohnung gefahren, so der Angeklagte. „Da waren aber Kunden.“ Am Abend radelte er dann angetrunken zur Tankstelle.
Vermummt zückte er die Pistolenattrappe. „Geld her“, brüllte R. und warf dem bedrohten Mitarbeiter eine Tüte zu. Der 46-jährige Mann blieb ruhig und sagte, dass er nur wenige Scheine in der Kasse habe. „Der Chef hat gerade Abrechnung gemacht.“ Da stand der Gangster ein paar Sekunden regungslos und machte dann ohne Beute kehrt. Ein Zeuge nahm die Verfolgung auf und sorgte für die Festnahme des Gescheiterten.
Christoph R. befindet sich seitdem in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Moabit. Etwa 850 Männer sitzen dort, die meisten sind wie R. in Untersuchungshaft. In der JVA sind 560 Bedienstete im Drei-Schicht-System tätig. Die Coronakrise ist in Strafanstalten eine besondere Herausforderung. Schließlich treffen dort Gefangene und Justizwachtmeister auf engem Raum aufeinander. Abstand halten scheint nicht so einfach. Besuch dürfen die Inhaftierten in den Berliner Gefängnissen wegen der Pandemie nicht mehr empfangen.
„Ich habe Angst vor einer Infektion“, sagt der Angeklagte. „Auf so einen Virus ist eine Haftanstalt doch nicht eingestellt.“ Der Verteidiger erklärt, sein Mandant Christoph R. könnte bei Entlassung aus der JVA zu seiner Schwester ziehen. „Er würde sich in seinem Zimmer für die nächsten Wochen verbarrikadieren und das Haus nicht verlassen.“ Ein Schreiben der Familie legt der Anwalt vor. Darin versichert die Schwester, dass sie R. einen Wohnraum zur Verfügung stellen und ihn finanziell unterstützen könne.
Auch die Gerichte ringen in der Corona-Krise um angemessene Lösungen. Im Prozess gegen R. will der Richter ohne Zeugen auskommen. Und er hat nur die Hälfte der vorhandenen Plätze für Zuhörer freigegeben, damit für ausreichend Abstand im Saal gesorgt ist. Um die 20 Verfahren sind es derzeit täglich, die trotz aller Einschränkungen im Justizbetrieb als unaufschiebbare Termine geprüft werden müssen. Es geht schließlich um die Freiheit von Menschen.
Für Christoph R., einen gelernten Koch, kommt aus Sicht des Staatsanwalts keine Bewährungsstrafe in Betracht. Zweieinhalb Jahre Haft verlangt er gegen den vorbestraften Angeklagten. Von weiterer Untersuchungshaft sei Christoph R. allerdings gegen Meldeauflagen zu verschonen. Dem folgen die Richter. R. ist erleichtert: „Vielen Dank!“
Kerstin Berg
(*Name von der Red. geändert)
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