Bedingungsloses Grundeinkommen, jetzt?


Pro & contra der Abgeordneten Stefan Ziller (Grüne) und Christian Gräff (CDU)

Bedingungsloses Grundeinkommen, jetzt?

In der Corona-Krise bekommt die jahrzehntelange Debatte um das „Bedingungslose Grundeinkommen“ (BGE) neuen Aufwind. Befürworter sehen darin die Chance für eine gerechtere Gesellschaft. Gegner befürchten, es setze falsche Anreize und würde den Kollaps des Sozialstaats bedeuten. Was halten Abgeordnete aus Marzahn-Hellersdorf vom „Geld für alle“ – ohne Gegenleistung? Wäre nicht jetzt der richtige Zeitpunkt für einen Testlauf?

Wir haben bei Stefan Ziller und Christian Gräff nachgefragt.

PRO

Stefan Ziller (Bündnis 90/Die Grünen)

Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses

 

Wir leben in einer Zeit großer Verunsicherung. Ein „Bedingungsloses Grundeinkommen“ würde den Menschen die finanziellen Existenzängste nehmen. Es kann zu einem solidarischen Miteinander beitragen und Potenziale kreativer Krisenbewältigung freisetzen.

Nehmen wir einmal an, jeder Mensch bekäme 1.000 € im Monat. Dafür zahlen wir alle mehr Steuern. Am Ende hätte nicht jeder zusätzlich 1.000 € auf dem Konto, aber mindestens so viel. Ziel ist also das Versprechen von gesellschaftlicher Teilhabe statt finanzieller Existenzangst – ermöglicht durch ein gerechteres Steuersystem, in dem starke Schultern mehr zum Gemeinwohl beitragen.

Derzeit erleben wir Hilfsprogramme vor allem für große und kleine Unternehmen in einem bisher unvorstellbaren Ausmaß. Ein BGE, ausgezahlt von den Finanzämtern, könnte einen Teil der Hilfen einfacher gestalten und ohne viel Bürokratie kurzfristig die finanzielle Existenz aller sichern. Vielen der etwa 200.000 Solo-Selbstständigen in Berlin zum Beispiel, aber auch etlichen Beschäftigten im Handel, der Gastronomie und anderen Branchen wäre das Zittern davor, ob die Soforthilfen auch ihnen oder ihren Arbeitgeber*innen helfen, erspart geblieben.

Weil es Ängste nimmt, hat das Grundeinkommen das Zeug dazu, kreative und produktive Potenziale freizusetzen. Und was benötigen wir jetzt mehr als kreative Ideen, um das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben neu zu gestalten? 

Richtig aber ist: Der Systemwechsel hin zu einem dauerhaften „Bedingungslosen Grundeinkommen“ geht nicht mal einfach so. Es braucht gleichzeitig eine Steuerreform. Aber wenn es gelänge, uns kurzfristig wenigstens die finanziellen Existenzängste zu nehmen, könnten wir uns auf das Wesentliche konzentrieren: den Schutz vor der Ausbreitung des Virus, die solidarische Unterstützung unserer Nachbar*innen und der Held*innen dieser Krise sowie den Erhalt des wirtschaftlichen Lebens – für ein Leben nach der Pandemie.


CONTRA

Christian Gräff (CDU)

Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses

 

Die Corona-Krise stellt die größte Herausforderung nach der deutschen Wiedervereinigung dar. Daran besteht kein Zweifel. Viele Selbstständige bangen um ihre Existenz, viele Mitarbeiter um ihren Arbeitsplatz.

Die Bundesregierung und die Länder haben beispiellose finanzielle Hilfen beschlossen, um Unternehmen und Bürgern etwa durch Änderungen bei der Zahlung der Miete zu helfen. Wird das reichen? Ganz klar: Nein!

Meiner Meinung nach bedarf es einer riesigen Unterstützung und Solidarität unterein­ander. Aber ist dies der richtige Zeitpunkt für die Einführung eines „Bedingungslosen Grundeinkommens‘‘? Ich glaube, dass die guten Fragen, die es auch vorher zu diesem Instrument gegeben hat, heute mehr denn je gelten. Würden mit dem BGE sämtliche anderen Sozialleistungen gestrichen werden? Was passiert mit dem deutschen Rentensystem? Bekommen dann Senioren noch ihre Rente? Muss man in die Rentenkasse einzahlen? Und woher soll eigentlich das ganze Geld kommen, wenn Steuereinnahmen zurückgehen? –  So wie wir es übrigens gerade in der Corona-Krise erleben.

Für mich persönlich aber ist die wichtigste Frage: Sollen wirklich alle Menschen das Geld bekommen? Und wenn dem nicht so wäre, ab welcher Einkommensgrenze stünde es Arbeitnehmern nicht mehr zu? Aus welcher Motivation heraus sollten diese Menschen dann eigentlich überhaupt noch arbeiten gehen, wenn andere Monat für Monat das Geld „einfach so“ überwiesen bekommen?

Ich bin dafür, dass wir mit niedrigeren Steuern und längerer Unterstützung für Unternehmen Arbeitsplätze sichern – etwa mit Kurzarbeitergeld, das zu 100 Prozent gezahlt wird. Das „Bedingungslose  Grundeinkommen“ bleibt unbezahlbar – wie alle Modellrechnungen zeigen – und es ist zutiefst unsolidarisch.