Ein Orchester im Schrank

Gründerzeitmuseum beherbergt technisches Wunderwerk

Ein Orchester im Schrank

In der Ecke eines Zimmers steht ein großer, dennoch unscheinbarer Schrank. Wenn sich die Türen öffnen, geht ein Raunen durch die Reihen. Und wenn dann die ersten Melodien erklingen, sind die Besucher nicht mehr zu bremsen. Die Musik lädt einfach zum Tanzen und Schunkeln ein. Vor allem ältere Semester kennen die Texte und singen mit.

Dieser Schrank voller Musik steht im neogotischen Zimmer im Gründerzeitmuseum Mahlsdorf. Weil sich hinter den Türen ein kleines Tanzorchester verbirgt, wird der Schrank als Tanzsaal-Orchestrion bezeichnet. Charlotte von Mahlsdorf (1928-2002)  hat in ihrem Museum nicht nur die Wohnkultur einer vergangenen Zeit ausgestellt, sondern auch technische Errungenschaften der Gründerjahre gesammelt. Mit  dem „Orchestrion Nr. VII“, hat sich Horst Riesebeck vom Förderverein Gutshaus Mahlsdorf schon Mitte der 1970er Jahre beschäftigt. „Es wurde 1907 oder 1908 bei der Firma Etzold und Popitz in Leipzig, Querstraße 4-6 gebaut“, erklärt Riesebeck. Das Schild auf dem Schrank „Horman Rostock“ verweist auf die Vertriebsfirma, hat er herausgefunden.

 

Damals kostete so ein Gerät rund 1.400 Goldmark. Das entspricht  laut Angaben im Internet ungefähr einem Pfund Feingold. – Gutes Geld für beste Unterhaltung! Das Orchestrion des Gründerzeitmuseums hat in einem Ausflugslokal in Eichwalde zum Tanz gespielt und somit viele Menschen glücklich gemacht. Man musste einen Groschen opfern, wenn man tanzen wollte.

Charlotte von Mahlsdorf hat das Gerät von einem Schrotthändler in Altglienicke bekommen. 

Die Musikinstrumente hinter der Schranktür sind gut erkennbar:  große Trommel, kleine Trommel, Becken, Klavier, Xylophon und eine Sternradmandoline. Die Musik ist auf einer Walze gespeichert. Eine Vielzahl an Stiften und Brücken ist für alle sichtbar. Damit werden die Claviszähne angehoben, die wiederum die Musikinstrumente anschlagen. Dazu gehören 26 Töne auf dem Klavier, 13 Töne auf dem Xylophon und zehn Töne der Sternradmandoline sowie Trommel und Becken. Acht Melodien sind auf einer Walze gespeichert. „Solche Walzen konnte man auch mit aktuellen Melodien nachbestellen“, erklärt Horst Riesebeck.

Die Walze wird von einem Stahlgewicht auf der Rückseite gezogen. Ein Drahtseil zieht das Getriebe, ein Fliehkraftregler sorgt für einen gleichmäßigen Lauf. Die Besucher sehen eine Vielzahl von Zahnrädern, Ketten und Achsen.

 

Die Geräte stammen aus einer Zeit, in der die Berliner am Wochenende mit Kind und Kegel hinaus ins Grüne zogen, um sich in den Biergärten oder in den Ausflugsgaststätten zu erholen. Nicht immer hatten die Betreiber das Geld, um sich eine Kapelle ins Haus zu holen. Also übernahm das Orchestrion die Funktion. Der Wirt konnte einstellen, ob der Titel einmal oder dreimal gespielt wurde. Lief der Titel dreimal, sagten die Leute: „Oh, der Wirt hat aber heute gute Laune!“

 „Die Industrialisierung nach 1871 hat diese Technik erst möglich gemacht“, erklärt Riesebeck. Zahnräder und Getriebe konnten industriell vorgefertigt werden, sodass die Geräte in großen Stückzahlen gefertigt werden konnten.    

 

„Seit 1975 kenne ich diese Maschine“, sagt Horst Riesbeck. Er hatte damals Charlotte von Mahlsdorf bei der Reparatur geholfen. Nun war nach vielen Jahren aber eine Sanierung fällig. Genau vor zwei Jahren hatte Riesebeck das Orchestrion komplett auseinander genommen. Das Klavier musste überholt werden, der Geldeinwurf wurde wiederhergestellt. Seit zwei Jahren spielt das Orchestrion wieder im Museum in Mahlsdorf bei jeder Führung.

 

Text und Foto: Klaus Teßmann